oder das Märchen
von den gläsernen blauen Segeln |
Sie war sehr aufgeregt, als sie sich
in ihrem faltenfreigebülgelten Sonntagkleidchen mit den dazu passenden
weißen Söckchen und den schwarzen Lackschühchen auf den staubigen Boden
warf. Ihre Chance war gering! Das war ihr bewusst! Aber vielleicht hatte sie
ja Glück!!!!!!
Ihr kleines spitzmäusiges Gesichtchen wurde noch
schmaler. Entschlossen kniff sie die Augen zusammen. Sie fixierte das Ziel.
Zögerte. Endlich setzte sie vorsichtig den Zeigfinger an, schloss die Augen.
Sie war eins von den "hässlichen Entlein". Ein kleines immer
kränklich-blasses Mädchen von 8 Jahren mit viel zu langen dünnen Armen und
Beine.
Gerne wäre sie mit den Jungen und Mädchen johlend auf Bäume
geklettert, mit ihnen um die Wette gelaufen ...
Aber ihre Mutter sagte,
sie dürfe sich nicht überanstrengen. So stand sie immer
ABSEITS
War Zuschauerin. Und in ihren
stets frischgebügelten und gestärkten Kleidchen wirkte sie wie eine leblose
Puppe.
Dagegen die anderen Kinder gezeichnet vom Spiel mit roten
Wangen, aufgekratzen Knien, zerrissenen Kleidern! IHN bewunderte sie aus der
Ferne. ER war der schnellste, stärkste und mutigste: ein hochgewachsener
13-jähriger Junge und mit großen braunen Augen und dichtem schwarzen Haar.
Etwas Wildes umgab ihn.
Sie war in ihn verliebt, soweit ein kleines
Mädchen zu diesem Gefühl fähig ist.
ER schaute sie verwundert
an, als sie so vor IHM stand und ihm diesen merkwürdigen Tausch anbot. Ihre
lächerlichen 50 bunten Tonmurmeln gegen seine Glasperle mit den blauen
Segeln. Alle Kinder beneideten IHN um diese Rarität! Jetzt wollte diese
Kleine, mit der eh keiner etwas zu tun haben wollte, mit ihm tauschen!
Ihr Verhalten war so sonderbar, dass ER zunächst sprachlos war. Die
anderen begannen zu lachen. Zu blöd diese Kleine! Aber irgendetwas in ihrem
Blick veranlasste IHN zu den Worten: "Lass uns spielen! Wenn du gewinnst
bekommst du sie. Ein Spiel mit je 3 Murmeln! Mehr nicht!"
Großzügigerweise ließ ER sie anfangen. Sie war so aufgeregt, dass sie
sehr schlecht warf. ER postierte seine - wie erwartet - günstig. SEIN Sieg
war so gut wie sicher!. ER ließ sie zappeln. Setzte seine Murmeln nicht
sofort ins Ziel. Wartete bis es 2:2 stand. Ihre letzte Murmel lag weit
ABSEITS
selbst für IHN wäre es schwierig
gewesen.
Ihre Lippen bewegten sich schwach. Es war so als ob
sie eine ZAUBERFORMEL vor sich hin murmele.
"psssssssssssssssssssssssssssssch-klack".
Alle verstummten
Sie
hatte das (für sie) fast Unmögliche geschafft!
ER
schaute verdutzt auf die Kleine.
"Noch ein Spiel!" riefen seine
Paladine. "Das Spiel gilt nicht!"-"Jag die dumme Kleine nach Hause!"
ER
zögerte.
SEINE Kumpels hätten verstanden, wenn ER das Spiel für
ungültig erklärt hätte.
Auf ein neues Spiel wollte ER sich auf keinen
Fall einlassen.
Dies wäre doch zu blamabel!
Sich geschlagen geben:
das fiel IHM sichtlich schwer!
SEIN Gesicht verfinsterte sich für den
Bruchteil einer Sekunde!
Mit einer "tieferen" Stimme murmelte ER etwas
unverständliches und reichte ihr schließlich
die Glasperle mit den
blauen Segeln.
Und für einen kurzen AUGENBLICK berührte
seine verschwitzte, WARMe Hand ihre kleine stets sich irgendwie KALT
anfühlende.
Bald zog sie mit ihren
Eltern weit weg, in ein Land, wo alles für sie fremd war. Wenn sie so
verloren
ABSEITS
stand auf dem
Schulhof - all die spielenden Kinder um sie herum -, hielt sie in ihrer
Jackentasche die Glasperle mit den bauen Segeln, um sich an ihr zu
*
*
*
WÄRMEN.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.05.2003.
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