Schweißgebadet brütete ich über meiner Steuererklärung. Um des lieben Geldes wegen sparte ich doch in diesem Jahr meinen Steuerberater ein. Was habe ich mir da nur angetan?
In mühevoller Kleinarbeit und zähen unendlich erscheinenden Stunden füllte ich eine Spalte nach der anderen dieser Formulare aus. Suchte in Haufen von umher liegendem Papier nach irgendwelchen Belegen. Schließlich fand ich wieder eine Rechnung, verglich deren Absetzbarkeit mit dem dicken Steuerempfehlungsbuch und addierte diese dazu oder knallte sie auf den anderen Haufen für unabsetzbares Zeugs. Endlich geschafft, endlich waren alle Kästchen mit diversen Zahlen gefüllt. Ein letzter prüfender Blick jagte über die Blätter. Alles, aber auch alles war sorgfältig eingetragen. Ein Jubelschrei entglitt meinem Mund und ich ließ mich erschöpft aufs Sofa fallen. Voller Stolz wollte ich gleich meine Arbeit beim Finanzamt abgeben.
Siegessicher griff ich zum Telefon und wählte die Nummer der Behörde. Die Dame in der Zentrale war zuvorkommend und verband mich mit meinem angeblichen Ansprechpartner. Es klingelte. Es klingelte immer noch. Es klingelte immer noch. Aus! Nur noch durchdringendes Piepen ertönte aus dem Hörer. Also wählte ich noch einmal die Nummer. Wieder die Dame aus der Zentrale. Vorsichtig trug ich mein Anliegen erneut vor und erklärte, dass ich ja vor ca. zehn Minuten schon einmal mit ihr telefonierte. Selbstverständlich hielt die nette Dame eine für mich verständliche Entschuldigung parat und leitete mich abermals weiter.
Es klingelte, es klingelte. Da hallte auf einmal eine Stimme an mein Ohr:
„Jaaa?“
„Guten Tag, ich bin Frau Musterline und würde gerne wegen meiner Steuererklärung vorbei kommen!“
„Wer ist da?“
„Frau Musterline, Hellen.“
„Muster ..., Musterin?“
„Nein! Ich heiße Hellen Musterline.“
„So, so Musterline. Also wie Martin.“
„Martin? Nein Martin heiß ich nicht, ich bin ...“
„Nun hören Sie mal zu, gute Frau ...“, er schniefte ins Telefon, „ich bin für Sie nicht zuständig. Ich bearbeite Buchstabe Norbert!“
„Norbert? So heißt mein Mann mit Vornamen, ja das stimmt!“
„Neeeeeeee! Nicht Norbert, sondern N wie Norbert.“ brüllte er jetzt ins Telefon.
Ich zuckte zusammen, hielt den Hörer ein klein wenig von meinem Ohr entfernt und flüsterte: “Entschuldigung. Was, was hat das denn mit Musterline zu tun?“
Das war es wohl! Stille – plötzlich lautes Knacken, so als ob jemand in den Hörer beißt. Dann hallte es schrill: „Nichts, gar nichts. Ich bearbeite Sie nicht, verstehen Sie?“
„Nein!“ erwiderte ich jetzt auch etwas lauter. „Sie sollen mich ja auch nicht bearbeiten. Ich will nur meine Einkommenssteuererklärung abgeben. Sonst will ich nichts!“
„Also, Frau Norbert, dann vereinbaren wir einen Termin!“
„Ich bin Frau Musterline, Hellen!“ rief ich zornig in den Hörer.
„Also, Frau Musterline, dann verbinde ich Sie eben mit meinem Kollegen, der Martin bearbeitet.“
„Martin? Martin - nein so heiß ich auch nicht!“
„Aber ich bin für Sie nicht zuständig, Frau Norbert Martin!“
Jetzt reichte es, ich konnte nicht mehr.
Pause – Beide überlegten wir wohl. Schließlich gab ich es auf, mit dem Buchstabenknaben zu telefonieren.
„Dann verbinden Sie mich bitte weiter!“ rief ich flehentlich ins Telefon. Total konfus stapfte ich mit dem Telefon am Ohr unruhig in meinem Wohnzimmer hin und her. Ich spürte, wie aufkommende Wut auf mein Gemüt schlug, meine Sinne vernebelte. Meine Wangen glühten wie im Fieber und ich wollte doch nur einen Termin.
Es klingelte, es klingelte. Da hallte auf einmal eine Stimme an mein Ohr:
„Jaaaaa ...“ kurzes Räuspern, „bitte. Was wünschen Sie?“
„Guten Tag. Ich bin Frau Norbert Martin und will meine Einkommenssteuererklärung abgeben!“
„Frau Norbert-Martin, habe ich Sie richtig verstanden?“
„Nein, nein. Entschuldigung. Ich, ich bin Frau Musterline, Hellen und ich will ...!“ ein verzweifeltes Piepsen durchfuhr meine Kehle.
„Frau Musterline, ich glaube, wir besprechen das vor Ort. Können Sie heute Nachmittag gegen 15.00 Uhr zu mir her kommen?“
„Heute Nachmittag? Ja, ja klar ich habe Zeit!“
„Frau Musterline, dann sehen wir uns heute gegen 15.00 Uhr. Bitte melden Sie sich in der Rezeption an. Die Dame wird Ihnen dann erklären, wo Sie mich finden!“
„Danke!“ und das Gespräch war fürs Erste beendet.
Ich verfluchte mich selber, verfluchte meine Idee, den Steuerberater einzusparen und war von diesem Telefonat geschockt. Daraufhin polterten wirre Vorstellungen in meinem Kopf umher. Was oder besser gesagt „Wer“ wird mich empfangen? Ganz bestimmt so ein Beamter. Auf alle Fälle würde ich mich auf eine längere Wartezeit einstellen müssen. Fünfzehn Uhr – Kaffeezeit! Durch das ganze Amt zieht bestimmt der Hauch vom frisch aufgebrühten Kaffee, er wird mir höllischen Appetit machen und ich werde mit tropfendem Zahn in einem dieser Kunden unfreundlichen Wartezimmer hocken. Ich werde in irgendeinem Zimmer fröhliches Lachen hören, buntes Plaudern vernehmen, während ich frustriert auf dem unbequemen Stuhl sitze. Später würde eine Tür aufgehen und irgendeiner brüllte dann meinem Namen durch den gesamten Flur. Alle anderen Leute werden sich zu mir umdrehen und sie werden genau jeden meiner Schritte beobachten, bis ich in einem dieser Zimmer verschwunden bin.
Dann er, der Beamte, wird mir, hinter seinem Schreibtisch sitzend, mit dem Stuhl wippend, ab und an am Bleistift knabbernd beweisen, dass ich alles Falsch gemacht habe. Das ich ein Nichts bin. Arrogant wird er meine so sauer erstellten Formulare zurück weisen. Und mit einem gekonnten hochnäsigen Lächeln sagen: „Noch einmal das Ganze, bitte!“
Also betrat ich pünktlich 14:30 Uhr mit weichen Knien das Gebäude. Zielstrebig steuerte ich die Rezeption an. Hinter dieser stand eine ältere Dame. Sie kramte in einem Kasten mit vielen Karteikarten umher und ließ mich warten. Ich holte tief Luft, ich räusperte vornehmlich laut und trommelte nervös mit meinen Fingern auf der Theke umher. Schließlich drehte sie sich netter Weise um und ging auf mich zu.
„Sie wünschen?“
„Ich habe einen Termin um 15:00 Uhr.“
„Bei wem?“
Ich blickte diese Frau an, zuckte hilflos mit den Schultern: „Das weiß ich nicht!“
„Na, Sie müssen doch wissen, zu wem zu wollen!“
„Nö, dass weiß ich nicht.“
Pause! Wir stierten uns an. Und meine schlimmsten Befürchtungen würden sich wohl bestätigen. Ich begann, wütend zu werden, aber wie. Mein Gesicht schien zu kochen, die Farbe rot war ein bestimmender Faktor in ihm.
Plötzlich mischte sich eine andere jüngere Frau ein.
„Was wollen Sie?“
Kläglich antwortete ich: „Ich will doch nur meine Steuererklärung abgeben!“
„Das ist kein Problem ...“, sie klopfte mir beruhigend auf meine Schulter, „Wie heißen Sie?“
„Ich, ich heiße Hellen, Hellen Musterline.“
„Dann wird Herr Copy auf Sie warten.“ und winkte mir mit einer einladenden Geste entgegen, „kommen Sie, ich bringe Sie hin!“
„Danke!“ murmelte ich und tippelte ihr durch die langen Gänge hinter her.
Verwundert stellte ich fest, dass uns kein Kaffeeduft begleitete. Im dritten Stock, beim Zimmer 347 blieben wir stehen. Diese Fremde trat ins Zimmer und nach wenigen Sekunden wurde abermals die Tür geöffnet und ein schlanker großer Herr kam mir entgegen. Er reichte mir zum Willkommensgruß seine Hand und bat mich in den Raum.
„Guten Tag Frau Musterline. Schön das Sie es einrichten konnten!“
„Ja, klar doch.“ stotterte ich als Antwort.
„Haben Sie ihre Unterlagen dabei?“
„Ja, habe ich“ und holte all die notwendigen und nicht notwendigen Utensilien aus meiner Tasche heraus und breitete diese ohne zu fragen auf seinem Tisch aus. Mit sicherem Blick sortierte er in Windeseile alles Brauchbare heraus und gab mir den Rest zurück.
Ich saß mucksmäusestill auf meinem Stuhl und beobachtete ihn. Er prüfte auch gleich die ausgefüllten Vordrucke und fragte mich bei der einen oder anderen Spalte etwas. Nach einer knappen halben Stunde war er fertig. Ich auch! Alles, aber auch alles konnte geklärte werden. Keine offenen Fragen blieben übrig. Er lobte mich sogar und machte mir Mut für das nächste Jahr.
Zum Abschied reichte er mir abermals seine Hand und ich ging zufrieden nach Hause.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.05.2003.
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Meine Gedanken bewegen sich frei
von Andreas Arbesleitner
Andreas ist seit seiner frühesten Kindheit mit einer schweren unheilbaren Krankheit konfrontiert und musste den größten Teil seines Lebens in Betreuungseinrichtungen verbringen..Das Aufschreiben seiner Geschichte ist für Andreas ein Weg etwas Sichtbares zu hinterlassen. Für alle, die im Sozialbereich tätig sind, ist es eine authentische und aufschlussreiche Beschreibung aus der Sicht eines Betroffenen.
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