Klaus-Peter Behrens

Artefaktmagie, Teil 42

 

Sein Herz klopfte bis zum Hals, als er tief geduckt durch die Schwärze der Nacht den rutschigen Hang hinunter schlich und sich nur noch von seinem Instinkt leiten ließ. Sein Verstand hatte ohnehin längst die Arbeit eingestellt, denn das, was er hier tat, hatte mit einer vom Verstand gesteuerten Handlung nichts mehr zu tun. Gelegentlich hielt er an und lauschte nach verdächtigen Geräuschen, doch bis auf sein stoßweises Atmen und das Heulen des Windes konnte er nichts vernehmen.

Vorsichtig glitt er weiter den Hang hinab, bis er schließlich die Ebene erreichte und sich nun im Schutz des dichten Unterholz leise vorarbeitete, bis das Lager direkt vor ihm lag.

Wie bereits von der Hügelkuppe aus festgestellt, schliefen die meisten Dämonen, soweit er das von seiner Position aus beurteilen konnte, tatsächlich an den flackernden Lagerfeuer, von denen der Nachtwind ein paar Rauchschwaden zu ihm hinüber trieb. Mit gerümpfter Nase stellte er fest, daß sie einen unangenehmen, fauligen Geruch mitbrachten. Aufmerksam sah er sich weiter um, wobei er sorgfältig darauf bedacht war, sich außerhalb des Lichtscheins der flackernden Feuer zu halten.

Daß seine Vorsicht nicht übertrieben war, stellte er einen Augenblick später fest, als er jeweils gut fünfzig Meter rechts und links von seinem Versteck aus zwei finstere Wachen entdeckte, die am Rand des Lagers standen und gelangweilt in die Dunkelheit starrten. Michael, der sich daraufhin erschrocken tiefer in das dichte Unterholz zurückzog, hoffte inständig, daß sie nicht genauso gut sahen wie der Troll. Aus dem sicheren Schutz seines Verstecks heraus machte er sich ein Bild von den Wachen, die es zu überlisten galt. Vom Körperbau unterschieden sie sich deutlich von denjenigen Dämonen, die Michael bisher auf seiner Reise kennen gelernt hatte. Beide waren hoch gewachsen und von muskulösem Körperbau. Ihre Haut war pechschwarz und ihre kantigen Schädel, in denen schwefelgelbe Augen tückisch blitzen, wurden von zwei aufwärts gebogenen Hörnern gekrönt. Die vorspringenden Unterkiefer, aus denen zwei gut zehn Zentimeter lange, dolchspitze Zähne herausragten, rundeten das erschreckende Bild ab. Abgesehen von einem ledernen Brustpanzer und einer eben solchen Hose waren die Geschöpfe unbekleidet. In dem Bewußtsein, daß er selbst völlig unbewaffnet und damit wehrlos war, sollte eines der Ungeheuer ihn entdecken, musterte Michael unbehaglich die schwere Bewaffnung der Wachen. Zwei Schwerter waren jeweils kreuzweise auf dem Rücken der Wachen befestigt. Am linken Arm trugen sie einen kleinen Rundschild, während die Klauen ihrer rechten Hand einen bösartig aussehenden Sperr umklammerten, auf den sie sich müde stützen.

Doch Michael gab sich keiner Illusion hin.

Die Wachen mochten zwar schläfrig wirken, aber er hatte hier trotzdem noch immer Kampfmaschinen vor sich, gegen die er selbst bewaffnet nicht den Hauch einer Chance hätte, es sei denn, er hätte eine Schnellfeuerwaffe Kaliber fünfundvierzig im Handgepäck. Da dies nicht der Fall war, mußte er auf jeden Fall eine Konfrontation mit diesen Ungeheuern vermeiden.

Hier war List statt Gewalt gefragt.

Zu seiner Freude stellte er bald fest, daß die eine oder andere Wache gelegentlich für einen Augenblick verschwand, um sich an einem der Lagerfeuer aufzuwärmen. Anscheinend ging das schlechte Wetter selbst an den Dämonen nicht spurlos vorüber. Michael mußte also nur abwarten, bis beide Wachen zugleich das Bedürfnis nach Wärme verspüren würden. Das wäre dann der richtige Zeitpunkt, um das Lager zu betreten, und der kam schneller, als ihm lieb war.

Als kurze Zeit später der Nieselregen wieder einsetzte, gaben beide Wachen wie auf ein geheimes Kommando hin plötzlich ihren Posten auf, um zu einem der nahen Lagerfeuer hinüber zu schlendern, wo sie Speere und Schilde ablegten, um sich die Klauen am Feuer zu wärmen. Michael, dem das Herz bis zum Hals klopfte, war klar, daß er jetzt handeln mußte, da er eine solche Gelegenheit höchst wahrscheinlich nicht noch einmal erhalten würde. Also erhob er sich mit zitternden Knien, warf seine Kapuze über und huschte zum Lager hinüber, während er gleichzeitig versuchte, die Wachen im Auge zu behalten. Dies war der kritischste Moment des Plans, da wahrscheinlich selbst die müdeste Wache stutzig werden würde, wenn sie plötzlich ihren Anführer aus dem Wald kommend ins Lager schleichen sehen würde. Doch der Moment verging, ohne daß jemand sein Kommen bemerkte, zumal ein paar Rauchschwaden, die in diesem Moment vom Lager zum Wald hinüber trieben vermischt mit den Regenschleiern ihn so gut wie unsichtbar machten. Trotzdem drohte Michael das Herz vor Aufregung aus der Brust zu springen, als er den Lagerrand erreichte. Beruhigend redete er sich ein, daß das erste große Hindernis überwunden war und er im Lager kaum Argwohn erwecken würde, sollte jemand ihn zufällig von weitem zu Gesicht bekommen.

Seine Tarnung würde ihn schützen.

Jedenfalls solange es dunkel war, rief er sich in Erinnerung. Allzuviel Zeit blieb ihm also nicht. Gleichwohl wartete er noch einen Augenblick, bis er sich genug gefangen hatte, um tiefer in das Lager vorzudringen. Dabei zwang er sich zu einer gemächlichen Gangart, in der Hoffnung, so möglichst selbstbewußt zu wirken und keinen Argwohn zu erwecken. Sorgfältig war er darauf bedacht, kein unnötiges Risiko einzugehen und nutzte, wann immer es ging, die Schatten zwischen den Lagerfeuern aus, um unauffällig vorwärts zu kommen. Zwar schienen in diesem Abschnitt des Lagers alle Dämonen zu schlafen, trotzdem achtete er darauf, daß seine Kapuze immer tief ins Gesicht gezogen und seine geschwärzten Hände in den weiten Ärmeln verborgen waren.

Als er nach einer Weile vorsichtig zurückblickte, registrierte er zu seiner Beruhigung, daß die Wachen ihre Posten zwischenzeitlich wieder eingenommen hatten und erneut gelangweilt in die Dunkelheit starrten.

Erleichtert atmete er auf.

Sein Kommen schien tatsächlich völlig unbemerkt geblieben zu sein. Doch schon bald stand er vor dem nächsten Problem.

Vom Kamm des Hügels aus hatte es so ausgesehen, als wären die Zelte problemlos ausfindig zu machen, hier unten am Boden sah die Sache jedoch ganz anders aus. Nach seiner Planung hätte er das Zelt inzwischen längst erreicht haben müssen, doch statt dessen zwangen ihn beißende Rauchschwaden, die ihm die Tränen in die Augen trieben und Katapulte, an denen finster aussehende Gestalten werkelten sowie unzählige Dämonen, die um die Lagerfeuer herum verstreut schliefen, immer wieder zu Umwegen und ließen das Lager größer und größer erscheinen. Schon bald kam er sich vor, als wäre er in einem surrealen Albtraum gefangen, aus dem es kein Entrinnen gab. Wie betäubt schlich er nahezu orientierungslos durch das nächtliche Lager und fragte sich, ob er das Zelt jemals finden würde. Gerade als ihn die Panik zu übermannen drohte, entdeckte er voraus den schwarzen Wimpel der Standarte, die ihm vor einer halben Ewigkeit vom Hügel aus aufgefallen war. Dort, im Schatten eines Katapults, mit dem zum Glück gerade keiner der Dämonen beschäftigt war, standen die gesuchten Zelte.

Das Ziel war endlich erreicht!

Ein Blick in den Nachthimmel verriet ihm, daß der Mond inzwischen ein gutes Stück weiter gewandert war.

Viel Zeit blieb ihm also nicht mehr.

Vorsichtig näherte er sich auf einem Umweg dem Schatten des Katapults, wo er erneut die beiden Zelte musterte. Nur aus einem drang Licht, und vor dem hielt ein müde wirkender Dämon Wache. Michael lauschte, aber bis auf das gelegentliche Knarren der ledernen Rüstung des Dämonen, wenn dieser versuchte, eine bequemere Stellung einzunehmen, war kein Geräusch zu vernehmen. In den Zelten war alles ruhig.

Das war positiv.

Nun mußte er nur noch herausfinden, ob Taren sich tatsächlich in diesem Zelt befand. Entschlossen nahm Michael eine, wie er hoffte, drohende Haltung ein, überprüfte seine Tarnung, holte noch ein paar Mal tief Luft, dann schritt er festen Schrittes auf das dunkle Zelt zu.

Noch nie in seinem Leben hatte er so eine Furcht verspürt.

Sollte er sich irren oder seine Tarnung auffliegen, würde er keine Minute überleben. Als ihn noch zehn Meter von dem Zelteingang trennten, nahm die Wache zu seiner Erleichterung eine stramme Haltung ein. Innerlich fiel Michael ein Stein vom Herzen.

Die erste Täuschung war gelungen.

Ohne die Wache eines Blicks zu würdigen, trat Michael an ihr vorbei und schob die Plane des Zelteingangs zur Seite. Dann trat er ins Innere und verschloß die Plane wieder sorgfältig hinter sich. Freude und Schrecken hielten sich die Waage als er Taren lebend an den Pfahl gefesselt, bewacht von einem weiteren Dämonen entdeckte, der unterwürfig neben zwei Tischen auf dem Boden kniete. Mit einem gewissen Stolz erkannte Michael, daß seine Tarnung selbst Taren nicht auffiel, die ihn kreidebleich vor Entsetzen anstarrte, als er zum Beistelltisch hinüber ging und ein besonders schweres Instrument in die Hand nahm.

"Bitte nicht", flüsterte Taren entsetzt, die nun befürchtete, einen qualvollen Tod erleiden zu müssen. Doch zu ihrer Verwunderung holte der vermeintliche Wandler mit dem Folterinstrument weit aus und ließ es dann mit vernichtender Gewalt auf den Schädel des noch immer demütig niederkauernden Dämonen herabsausen, der daraufhin sein Leben aushauchte. Sofort wirbelte der Wandler zu der fassungslosen Taren herum und legte den demonstrativ den linken Zeigefinger vor die dunkle Kapuze, die daraufhin noch verwirrter wurde. Ängstlich verkrampfte sie sich, als die unheimliche Gestalt zu ihr hinüber huschte.

"Jammer ein wenig, damit es echt wirkt. Ich bin hier, um dich herauszuholen", flüsterte Michael, worauf Taren vor Freude beinahe gejubelt hätte, als sie Michaels Stimme hinter der dunklen Maske erkannte. Sofort fing sie an, angstvoll um Gnade vor drohenden Qualen zu betteln und bewies damit, daß sie ein würdiges Mitglied des fahrenden Schaustellervolkes war.

Währenddessen war Michael damit beschäftigt, die Stricke mit einem der Skalpelle durchzuschneiden. Dankbar rieb Taren sich einen Augenblick später die Handgelenke, allerdings ohne in ihrer Vorstellung innezuhalten. Sie staunte nicht schlecht, als Michael sich die schwarze Kutte über den Kopf zog und darunter eine zweite zum Vorschein kam. Michael bedeutete ihr, die Kutte überstreifen und reichte ihr ein schwarzes Tuch für das Gesicht. Dann trat er dicht an sie heran und flüsterte ihr ins Ohr: "Ich trenne jetzt die rückwärtige Zeltwand auf. Verlasse das Lager in Richtung Norden. Unsere Gefährten warten oberhalb des Lagers auf einem Hügel, aber nur bis zum Morgengrauen. Dann ziehen sie weiter. Du mußt dich also beeilen. Achte auf die Wachen am Rand des Lagers. Sie stehen weit auseinander. Mit ein wenig Glück sollte es dir gelingen, ungesehen an ihnen vorbeizukommen. Unsere Gefährten hingegen werden es mitbekommen, wenn du das Lager verläßt und dich finden. Erklimme einfach den ersten nördlichen Hügel auf den du triffst. Aber wir müssen getrennte Wege gehen. Zwei Wandler auf einmal dürften diese Bestien ein wenig stutzig machen. Ach ja, da wäre noch etwas. Wenn du fertig bist, stöhne noch einmal kräftig, als ginge es mit dir zu Ende, damit das Schweigen, wenn wir fort sind, die Wache draußen nicht zu stutzig macht. Hoffen wir, daß es eine Weile dauert, bevor sie nachsieht, was hier drinnen los ist. Das wäre der ganze Plan. Alles klar?"

Taren nickte und hauchte ein "Danke". Dann fing sie an, sich das Gewand überzustreifen und die Maske anzulegen, wobei sie fortwährend jammerte, während Michael mit Hilfe des Skalpells einen schmalen Schnitt in die rückwärtige Zeltplane zauberte. Auf sein Zeichen stöhnte Taren herzerweichend und war dann still. Angestrengt lauschten sie ein paar Sekunden, doch vor dem Zelt rührte sich nichts.

Anscheinend war der Plan bis hierher aufgegangen.

Eilig winkte Michael die nunmehr in die dunkle Kutte gekleidete Taren zu sich herüber. Zufrieden mit sich selbst stellte Michael fest, daß die Maskerade auch ihn getäuscht hätte. Mit ein wenig Glück sollte es ihnen daher eigentlich gelingen, das Lager zu verlassen. Vorsichtig quetschte er sich als erster durch den schmalen Spalt und hielt nervös die Luft an, als er im Schatten des Zeltes die Umgebung sondierte. Ihm war nur zu bewußt, daß sich keine fünf Meter entfernt auf der anderen Seite des Zeltes die Wache befand. Als er nichts feststellen konnte, bedeutete er Taren zu folgen, die einen Augenblick später neben ihm stand und sich ebenfalls beklommen umsah. Unweit entfernt stand das düstere Zelt, in dem vermutlich der Wandler nächtigte. Schaudernd wandte sie den Blick ab. Michael gab ihr in der Zeichensprache zu verstehen, daß sie sich zunächst Richtung Süden wenden und dann in einem Bogen nach Norden zurückkehren sollte. Zum Zeichen des Verstehens hob Taren ihren rechten Daumen, dann verschwanden sie nacheinander lautlos in der Nacht.

 

Auf dem Hügel wurden die Gefährten allmählich nervös.

"Das schaffen die nie", brummte Grimmbart pessimistisch. "Ein paar von uns sollten hinunter gehen und ihren Rückzug decken, nur für den Fall, daß etwas passiert.

"Damit riskiert du unser aller Leben", warf Grüneich ein. "Denk an die Worte Glyfaras. Das Schicksal aller Völker steht auf dem Spiel." Die tiefschwarzen Augen fixierten Glyfara, die einen höchst unglücklichen Eindruck machte. Sie wußte, daß Grüneich Recht hatte, aber auf der anderen Seite konnte sie sich nicht damit anfreunden, Michael im Stich zu lassen.

"Wir müssen eben vorsichtig sein, wenn wir dort hinunter gehen und kein unnötiges Risiko eingehen. Sollten die zwei in Schwierigkeiten geraten und eine Unterstützung sinnlos sein, ziehen wir uns zurück. Ansonsten helfen wir ihnen."

Mit diesen Worten stand Glyfara auf und schulterte ihren Bogen. "Wer kommt mit?"

Zögernd standen alle Gefährten auf und bekundeten ihre Zustimmung. Glyfara lächelte erfreut darüber, beschied ihren Gefährten jedoch, daß sie beabsichtigte, lediglich zu zweit dort hinunter zu schleichen, um das Risiko der Entdeckung gering zu halten. Angesichts der geballten Feuerkraft der Tötzwanzig entschied sie schließlich, daß Grüneich sie begleiten sollte. Wie zwei Gespenster in finsterer Nacht verschwanden die beiden den Hügel hinunter und ließen ein paar höchst besorgte Gefährten zurück.

"Gibt Ärger", brummte der Wühler.

 

Michael schwitzte unter seiner Kutte als befände er sich in einer Sauna. Der Morgen graute allmählich und mit ihm geriet das Lager nach und nach in Bewegung. Ein paar Mal war er gerade noch im letzten Moment in die Schatten eines der gewaltigen Katapulte abgetaucht und hatte so das Zusammentreffen mit ein paar der zwischenzeitlich erwachten Dämonen vermieden, die sich untereinander in einem unverständlichen Kauderwelsch unterhalten hatten. Doch wie lange würde das noch gut gehen? Die Zeit lief ihm davon, und noch immer hatte er die Grenze des Lagers nicht erreicht. Zumindest schien auch Tarens Flucht bisher noch unentdeckt geblieben zu sein, denn ansonsten hätte sich das Lager vermutlich in einen Hexenkessel verwandelt. Michael war jedoch sehr wohl bewußt, daß sich dies jederzeit ändern konnte. Die ganze Aktion glich einem Drahtseilakt über einem Vulkan. Jeder neue Schritt konnte der letzte sein. Michael entschied sich daher zu einer schnelleren Gangart und bewegte sich nun zügiger durch das Heer seiner Feinde. Sein Herz machte einen Freudensprung als er nach einer Weile endlich die ersehnte Lagergrenze vor ihm auftauchte. Soweit er es beurteilen konnte, hatte er Glück und das Lager wurde an dieser Stelle nicht bewacht. Geradewegs voraus stand lediglich ein unbemanntes Katapult. Das lief besser, als er es zu wünschen gewagt hatte. In der freudigen Erwartung, den Schrecken bald hinter sich gelassen zu haben, eilte er um die Ecke des Katapults und stand plötzlich vor einer Gruppe von vier sitzenden Dämonen, die im blassen Licht des Mondes offenkundig eine Art von Würfelspiel spielten, wobei die Gegenstände, die als Würfel dienten, verdächtig an ein paar sauber polierte Knochen erinnerten. Michael erschrak bis ins Mark, die Dämonen nicht minder. Eilig sprangen sie auf die Füße und nahmen eine unterwürfige Stellung ein. Einer von ihnen rang sich unter sichtlicher Anspannung dazu durch, einen Schritt vorzutreten und Michael anzusprechen. Der verstand kein Wort und bemühte sich, nicht wie Espenlaub zu zittern. Offenkundig bedienten sich die Dämonen untereinander einer Sprache, die er nicht verstehen konnte. Mit diesem Problem hatte er nicht gerechnet, und nun sah es ganz danach aus, als würde ihm das zum Verhängnis werden. Er mußte sich dringend etwas einfallen lassen. Sein Blick fiel auf das Katapult, das keinen sehr gepflegten Eindruck machte. Vielleicht war das die Rettung.

Als der Dämon mit seiner Ansprache einen Augenblick später fertig war und Michael ängstlich ansah, wies der energisch auf das Katapult und knurrte irgend etwas Unverständliches. Sofort fuhr der Dämon seine Gefährten an, die loshasteten, um sich an dem Katapult zu schaffen zu machen. Auch ihr Anführer wandte sich ab, nicht jedoch ohne Michael einen mißtrauischen Blick zuzuwerfen, dessen Herz bis zum Hals pochte, als er gemessenen Schrittes die Katapultbesatzung hinter sich ließ und sich dem Ende des Lagers näherte. Ihm war bewußt, daß die Blicke der Besatzung jeden seiner Schritte argwöhnisch beäugten. Würde sein Bluff auffliegen? Schritt für Schritt näherte er sich der Freiheit, und noch immer konnte er keine hastigen Schritte hinter sich hören oder eine Pranke auf seiner Schulter spüren. Vielleicht hatte er ja doch noch Glück im Unglück. Die Lagergrenze, die in regelmäßigen Abständen durch Fackeln markiert wurde, lag nun unmittelbar vor ihm, als ein harter Ausruf hinter ihm ihn erstarren ließ. Der Anführer der Katapultbesatzung hatte seine Scheu überwunden und war seinen natürlichen Instinkten gefolgt, die ihm sagten, daß hier etwas nicht stimmte. Also hatte er einer der Wachen, die ein gutes Stück weiter entfernt gelangweilt in das trübe Grau des erwachenden Morgens starrte, mitgeteilt, daß der Wandler sich nähere. Auf diese Weise hatte er die Verantwortung von sich geschoben, ohne sich den Zorn seines Anführers zuzuziehen, falls er sich getäuscht hatte und doch alles in Ordnung war. Zu Michaels Entsetzen tauchte aus den Schatten nun im Laufschritt eine der schrecklichen Kreaturen auf, die er vor einer halben Ewigkeit aus der Sicherheit seines Verstecks heraus beobachtet hatte. Michael war am Verzweifeln. Die Freiheit hatte schon zum Greifen nah vor ihm gelegen, und nun war alles aus. Sein Fluchtimpuls war gerade zu übermächtig, doch er wußte auch, daß er damit Tarens Schicksal besiegeln würde. Seine Flucht würde das Lager in Aufruhr versetzen und Taren jede Fluchtmöglichkeit nehmen, es sei denn, sie hätte das Lager bereits verlassen, wovon er jedoch nicht ausging. Abgesehen davon, glaubte er nicht ernsthaft daran, dieser durchtrainierten Kraftmaschine entkommen zu können, die da im federnden Schritt auf ihn zulief. Aber hatte er eine andere Wahl? In diesem Moment ertönte der alarmierende Klang eines Horns, worauf der Dämon keine zwanzig Schritt entfernt von Michael überrascht innehielt und sich unschlüssig dem Lager zuwandte, wo sich hektische Betriebsamkeit einstellte. Michael war klar, was das bedeutete. Tarens Flucht war entdeckt worden. Erneut erklang der klagende Ton des Horns, während Michael sehnsüchtig die nahe Waldgrenze beäugte. Wenn er es schaffen würde, sie unbeschadet zu erreichen, hätte er vielleicht eine kleine Chance zu entkommen. Er atmete noch einmal tief durch, dann sprintete er los, das überraschte Brüllen des Wachpostens in den Ohren, dem gerade bewußt wurde, daß hier etwas ganz und gar nicht stimmte.

 

Taren erging es keinen Deut besser als Michael. Als der klagende Ton des Horns erklang, befand sie sich noch immer tief im Lager des Feindes. Bisher hatte sie Glück gehabt und war überwiegend nur auf schlafende Exemplare ihrer Häscher gestoßen, doch nun erwachten überall um sie herum die albtraumhaften Kreaturen und sahen sich irritiert um. Taren war kurz davor, in Panik auszubrechen. Ihr war sehr wohl bewußt, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis ihre Feinde sich fragen würden, wieso ihr Anführer so unschlüssig herum stand. Also entschloß sie sich zu einer tolldreisten Aktion. Mit kühnem Schritt hielt sie geradewegs auf eines der Feuer zu, an dem eine Gruppe von Dämonen ratlos herumsaß oder stand, während das Horn zum zweiten Mal sein klagendes Signal in den allmählich heller werdenden Nachthimmel entsandte. Zielstrebig ging sie zu einem sitzenden Dämonen hinüber, der sie selbst in dieser Stellung noch um Haupteslänge überragte und verpaßte ihm einen Tritt in den Hintern. Kaum war der überraschte Dämon auf die Füße gesprungen, drehte sich Taren ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen um, wobei sie ihrem Opfer zugleich mit der Hand ein unmißverständliches Zeichen gab, ihr zu folgen. Verblüfft und verschreckt zugleich folgte der Dämon seinem vermeintlichem Herrn. Ohne im Schritt innezuhalten, wies Taren mit der rechten Hand auf zwei weitere der Ungeheuer, die sich daraufhin unterwürfig anschlossen. Nun besaß sie eine Eskorte, die bemüht war, ihrem vermeintlichen energisch ausschreitenden Herrn den Weg frei zu machen. Taren atmete erleichtert auf. Ihre Tarnung würde auf diese Weise noch eine Weile halten, und vielleicht würde sie sogar unbeschadet die ersehnte Grenze des Lagers erreichen. Doch was sollte sie machen, wenn sie dort angelangt war? Spätestens, wenn sie Anstalten machen sollte, das Lager zu verlassen, würden ihre Begleiter mißtrauisch werden. Es blieb also nur eine Alternative. Sie mußte schneller rennen, als ihre Häscher. Verstohlen warf sie aus der Deckung ihrer Kapuze abschätzende Blicke auf die Muskelpakete, die ihr den Weg frei machten. Was sie entdeckte, war nicht gerade ermutigend. Der Schweiß begann ihr hinter der Maske in die Augen zu laufen, wenn sie daran dachte, daß sie sich mit diesen Ungeheuern messen mußte.

 

Michael rannte wie noch nie zuvor in seinem Leben. Obwohl es nur wenige Augenblicke dauerte, bis er die Waldgrenze erreichte, hatte er das Gefühl, als hätte er eine halbe Ewigkeit hierfür gebraucht. Der Rauch der Lagerfeuer brannte in seinen Lungen, und das Herz schlug ihm bis zum Hals. Jeden Moment erwartete er, von einem Pfeil niedergestreckt zu werden, doch zu seiner Überraschung erreichte er unbeschadet die Waldgrenze dank der Tarnung, die ihm einige Sekunden wertvolle Zeit geschenkt hatte, bevor seine Gegner reagiert hatten. Aber Michael machte sich keine Illusionen. Seine Verfolger waren ihm inzwischen dicht auf den Fersen. Ohne im Tempo innezuhalten, tauchte er in das Dickicht des Waldrandes ein. Das wütende Gebrüll seiner Verfolger klang verdammt nah und machte Michael klar, wie hauchdünn sein Vorsprung war. Seine Beine pumpten wie die Kolben einer alten Dampfmaschine, als er sich nun den steilen Hügel hinauf quälte. Ein Blick zurück bestätigte ihm, daß ihm drei Verfolger unerbittlich auf der Spur waren, zwei der Wachen und der mißtrauische Dämon von der Katapultbesatzung. Gerade hatten sie den Fuß des Hügels erreicht und begannen ihn nun in beängstigendem Tempo zu erklimmen. Eilig hastete Michael weiter. Die ersten Seitenstiche stellten sich ein, aber Michael ignorierte sie angesichts der Tatsache, daß sich ein Armbrustbolzen nur wenige Zentimeter entfernt von ihm in das Holz eines Ahornbaums grub. Sofort erhöhte Michael das Tempo. Ein paar Minuten gelang es ihm, den Vorsprung zu halten, dann tauchte vor ihm die Barriere der bis zu vier Meter hohen Felsbrocken auf, die er von seinem Abstieg her noch gut in Erinnerung hatte. Sie erstreckten sich über den gesamten Hang und standen sehr eng beisammen, so daß sich Michael hatte schlank machen müssen, als er vor einer halben Ewigkeit hier herunter gestiegen war. Wenn er es schaffen würde, dieses Feld zu durchqueren, bevor seine Häscher in Reichweite wären, würde ihm dies einen kleinen Vorsprung sichern. Mit zusammengebissenen Zähnen hielt er die Geschwindigkeit und ignorierte die Bolzen, die gelegentlich mit bösartigem Sirren um ihn herum in die Bäume einschlugen. Plötzlich glaubte er, eine Bewegung zwischen den Felsen entdeckt zu haben, doch er hatte keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Völlig ausgepumpt gelangte er an einen schmalen Einschnitt zwischen den mächtigen Felsbrocken, die vermutlich von der letzten Eiszeit hier zurückgeblieben waren und zwängte sich durch das erste Hindernis. Nun galt es einen im Weg liegenden Felsblock zu überwinden. Danach folgte eine enge, steile Gasse, deren scharfzackige Wände den kräftig gebauten Dämonen einige Schwierigkeiten machen würden. Dankbar stellte Michael fest, daß seine Rechnung offenbar aufging, denn das Brüllen seiner Verfolger klang nun zwar noch wütender, aber wenn er sich nicht täuschte, hatte er in der Tat einen kleinen Vorsprung erzielt. Er wollte sich gerade ein erleichtertes Aufatmen gönnen, als plötzlich eine kräftige, beharrte Hand aus dem Dunkel eines Felsspaltes nach ihm griff und ihn mit übermenschlicher Kraft in die Schatten des Spalts zog.

 

Taren hatte inzwischen den Rand des Lagers erreicht. Bis hierher war alles gut gegangen, doch das sollte sich nun ändern. Hektische Betriebsamkeit herrschte an der Lagergrenze. Etliche der Dämonen starrten aufgeregt zu dem bewaldeten Hang, der im blassen Licht der frühen Dämmerung einen unheimlichen Anblick bot. Irgend etwas hatte die Dämonen offenbar in Aufruhr gebracht. Taren konnte sich gut vorstellen, wer hierfür verantwortlich war. Während die Gedanken hinter ihrer Stirn hin und her rasten auf der Suche nach einem Ausweg, eilte aus dem Schatten eines Katapults ein Dämon auf sie zu. Kaum hatte er sich erreicht, beugte er unterwürfig den Kopf, wobei die Worte nur so aus seinem Mund sprudelten. Dummerweise konnte Taren kein Wort verstehen. Aus den Gesten, mit denen der Dämon immer wieder in Richtung des Hangs wies, konnte sie sich jedoch zusammenreimen, was er meinte. Energisch schnitt sie ihm mit einer Handbewegung das Wort ab, worauf der Dämon sofort verstummte und gab ihren Begleitern zu verstehen, ihr den Hang hinauf zu folgen. Ein zustimmendes Knurren ertönte ringsherum, dann setzte sich die kleine Gruppe im Laufschritt in Bewegung. Taren wagte kaum zu atmen, als sie die Lagergrenze hinter sich ließen, doch kein Ruf hielt die kleine Gruppe zurück, die bereits nach wenigen Schritten im dichten Wald untertauchte. Schnell stieg der Hang steil an, aber den Dämonen rings um Taren herum bereitete der Anstieg keine Probleme. Leichtfüßig hielten sie mit Taren schritt, die sich fragte, was sie nun machen sollte? Insgesamt vier der furchteinflößenden Gestalten hatten ihrer Aufforderung Folge geleistet. Ihr war bewußt, daß sie trotz ihrer versteckten Wurfmesser und des Überraschungseffekts kaum eine Chance gegen eines der Ungetüme haben würde, geschweige denn gegen vier. Weglaufen konnte sie ihnen auch nicht, also blieb nur eine List. Nachdem sie sich zehn Minuten den steilen Hang hinauf gekämpft hatten, tauchte vor ihnen plötzlich wie ein Schiff aus dem Nebel eine gut vier Meter hohe Felsbarierre auf, die sich über den ganzen Hang zu erstrecken schien. Ein begehbarer Einschnitt zwischen den gewaltigen Felsquadern war auf den ersten Blick nirgends zu entdecken. Vielleicht bot sich hier ja eine gute Gelegenheit, sich ihrer Begleiter zu entledigen, sinnierte Taren. Energisch wies sie daher nach links und rechts, worauf sich wie erhofft sofort zwei der Dämonen auf den Weg machten, um eine Möglichkeit zur Durchquerung dieses Hindernisses zu erkunden. Zwei ihrer Begleiter war sie auf diese Weise erst einmal losgeworden. Das war ein guter Anfang. Leider verharrten die anderen zwei Dämonen treu an ihrer Seite. Erschrocken zuckte sie zusammen, als der größere ihrer beiden verbliebenen Begleiter plötzlich unterwürfig den Kopf neigte und ihr in einem gutturalen Singsang eine Frage stellte. Was sollte sie antworten? Der Dämon war angesichts des Schweigens seines Anführers irritiert. Zögernd trat einen Schritt näher heran und wiederholte seine Frage. Taren ihrerseits schwitzte Blut und Wasser. Sie konnte den bohrenden Blick des Ungetüms, das sich mißtrauisch fragte, wieso sein Anführer nicht antwortete, förmlich auf ihrer Haut spüren. Zitternd umklammerte ihre rechte Hand den Griff eines verborgenen Wurfmessers. Sie mußte als erste handeln. Nur dann hatte sie eine kleine Chance. Unauffällig veränderte sie ihren Standort, um eine bessere Wurfposition zu haben, als ein markerschütternder, unmenschlicher Schrei erklang, der plötzlich abbrach. Überrascht fuhren die drei in die Richtung herum, aus der der Schrei erklungen war. Dann setzten sie sich wie ein Mann in Bewegung. Taren atmete erleichtert auf. Die kritische Situation war erst einmal gebannt. Wie sie sich allerdings aus dieser heiklen Lage befreien konnte, war ihr schleierhaft. Das Ganze kam einem Tanz auf einem Vulkan gleich, und sie war im Begriff, jeden Moment hineinzufallen. Wenn sie bloß ein wenig Hilfe hätte.

 

"Hmmmm!" Verzweifelt, aber erfolglos wehrte sich Michael gegen den eisenharten Klammergriff, der ihm die Luft abschnürte.

"Halt endlich still!", zischte plötzlich eine bekannte Stimme und ließ Michael innerlich jubilieren. Glyfara war hier, um ihm zu helfen. Dann konnte die Pranke, die sein halbes Gesicht bedeckte, nur Grüneich gehören. Zum Zeichen des Verstehens nickte Michael nachdrücklich, worauf augenblicklich die beharrte Pranke verschwand und dafür Grüneichs furchteinflößendes Gesicht vor Michael auftauchte. Demonstrativ legte der Troll einen Finger an den Mund und zeigte ein Stück den Hang hinab, wo gerade einer von Michaels Verfolgern sich aus einer schmalen Spalte in ein sechs Meter im Quadrat messendes Felsrund zwängte und sich unschlüssig umsah. Sofort duckte sich Michael in den Schatten ihres Verstecks, das sich ein gutes Stück oberhalb befand. Neben ihm machte sich Glyfara schußbereit, während Grüneich seine Tötzwanzig an sich preßte. Ein Blick bestätigte Michael, daß die Waffe gespannt war. Mit einer Handbewegung hielt er die beiden zurück und bedeutet ihnen mit den Fingern, daß insgesamt drei der Dämonen ihm auf den Fersen waren. Die beiden nickten und warteten. Inzwischen war der Dämon zu der Entscheidung gelangt, daß er nicht auf seine Kameraden warten würde, die sich ein gutes Stück weiter unterhalb noch ächzend durch das enge Labyrinth zwängten. Entschlossen setzte er seinen Vormarsch fort und näherte sich unerbittlich dem Versteck der Gefährten. Die waren nun in einer prekären Situation. Sollte es ihnen nicht gelingen, den Dämonen lautlos zu töten, wären die anderen gewarnt und könnten lauthals Verstärkung holen. Der Bogen in Glyfaras Hand zitterte leicht vor Anspannung, während sie ihre Möglichkeiten durchging. Viele Alternativen hatten sie nicht, zumal ihr Gegner ihr Versteck jeden Moment erreichen würde. Also traf sie eine Entscheidung. Sie würde ihren Bogen einsetzen, bevor die anderen in Schußweite waren. Sie mußte einfach nur hundertprozentig sicher treffen. Entschlossen atmete sie einmal tief aus, dann richtete sie sich mit einer einzigen fließenden Bewegung aus ihrem Versteck auf, visierte ihr Ziel für den Bruchteil einer Sekunde an und ließ die Bogensehne los. Der Dämon jedoch hatte die Gefahr instinktiv gespürt und sich gerade in dem Moment, als Glyfara die Sehne flirren ließ, geduckt, so daß der Pfeil harmlos über ihn hinweg schoß und an den Felsen zersplitterte. Sofort warnte er seinen Trupp, als ein weiterer Pfeil seinen Hals durchdrang und sein Brüllen in ein ersticktes Gurgeln überging, bevor es ganz verstummte.

"Jetzt haben wir den Salat", brummte Grüneich, während Glyfara bereits den nächsten Pfeil eingelegte und den schmalen Felseinschnitt nicht aus den Augen ließ, aus dem sich in diesem Moment Michaels Verfolger in einem atemberaubenden Tempo in den kleinen Felskessel zwängten. Glyfaras Bogensehne flirrte und einer der beiden Angreifer sank tödlich getroffen zu Boden. Für einen zweiten Pfeil blieb ihr keine Zeit mehr, denn der verbliebene Angreifer tauchte nun unmittelbar vor ihr auf, sein Schwert zum tödlichen Schlag erhoben. Als es pfeifend herunterfuhr brachte sich Glyfara zur Verärgerung des Dämonen mit einem verzweifelten Salto rückwärts in Sicherheit. Funken stoben auf, als das Schwert auf den Fels traf, wo sich die Elbin eben noch befunden hatte. Statt dessen tauchte plötzlich, wie der Springteufel aus dem Kasten, die massige Gestalt des Trolls aus den Schatten hinter dem Felsen auf, die Tötzwanzig im Anschlag.

"Adios", brummte er während er den Abzug betätigte. Der Dämon hatte keine Chance zu reagieren. Die Wucht, der aus kürzester Distanz abgefeuerten Bolzen, katapultierte ihn rückwärts in das Felsrund. Er war tot, bevor er auf dem Boden aufschlug, den Ausdruck der Verwunderung noch immer im Gesicht, so, als könne er es nicht fassen, daß er derart überrumpelt worden war.

"Und jetzt nichts wie weg", brummte der Troll, der es ein wenig bedauerte, so viele Bolzen für nur einen Gegner vergeudet zu haben.

 

Im Eiltempo lief Taren zwischen ihren Begleitern durch den allmählich erwachenden Wald. Zu ihrer Linken ragte wie ein steinerner Wächter der Felswall auf. Immer wieder sah sie sich nach einer Fluchtmöglichkeit um und übersah so einen tiefhängenden Ast, an dem sich ihre Kapuze im vollen Laufschritt verfing. Der plötzliche Widerstand riß sie von den Füßen und die Kapuze von ihrem Kopf. Schmerzhaft prallte sie auf den Boden auf, während ihr langes rotes Haar sich über den Waldboden ergoß. Ein überraschtes Grunzen ihrer Begleiter ließ keinen Zweifel daran, daß ihre ohnehin dürftige Tarnung endgültig aufgeflogen war. Zu Tarens Verwunderung griffen die Ungetüme sie jedoch nicht sofort an, sondern betrachteten erstaunt die Verwandlung, die ihrem vermeintlichen Anführer widerfahren war und der sich nun vorsichtig mit einem Ächzen wieder aufrappelte. Mit einem vorgetäuschten Stöhnen und schmerzverzehrtem Gesicht rieb sich Taren den Rücken. Ihre Hände tasteten dabei fieberhaft durch eine Falte ihres Gewandes nach den versteckten Wurfmessern, während sie sich zugleich mit Bangen ihre zwei Begleiter beobachtete. Beide Dämonen hatten zwischenzeitlich ihre Schwerter gezogen, hielten sie jedoch locker in der Hand, da sie in der jungen Frau keine ernsthafte Bedrohung sahen. Dies war kein Gegner, sondern ein Opfer, mit dem man sich amüsieren konnte, eine Einschätzung, die sich als tödlicher Fehler herausstellen sollte. Als der größere der beiden Dämonen einen wütenden Schritt auf Taren zumachte, um sie zu packen, flogen deren Hände plötzlich nach vorne. Zu spät erkannte der Dämon, daß er sich gewaltig getäuscht hatte. Das vermeintlich wimmernde Opfer hatte plötzlich gefährliche Stachel bekommen. Reflexhaft riß er sein Schwert nach oben und versuchte zugleich seitlich der tödlichen Gefahr auszuweichen, doch gegen Tarens präzise, seit Jahren geschulte Wurftechnik hatte er keine Chance. Mit einem Röcheln ging er zu Boden, als der zwanzig Zentimeter lange Stahl tief in seinen Hals eindrang. Der zweite Wurf hingegen bescherte Taren weniger Glück. In ihrer Verzweiflung hatte sie beidhändig geworfen, und mit der linken Hand hatte sie schon immer ein wenig daneben gelegen. Dies konnte nun ihr Ende bedeuten. Statt den Hals zu treffen, hatte sich der Stahl unterhalb des Schlüsselbeins in die Schulter ihres zweiten Gegners gegraben, der vor Schmerzen wütend aufbrüllte und sich sofort auf Taren stürzte. Die tauchte mit einem verzweifelten Abrollmänöver unter dem Schwerthieb ihres Gegners durch. Fließend kam sie wieder auf die Füße und rannte um ihr Leben. Ihr Vorsprung war minimal und sie machte sich wenig Illusionen. Irgendwo vor ihr wartete wahrscheinlich bereits einer der Dämonen auf sie, die sie zuvor mit einem Trick losgeworden war. Ihre Füße flogen über den Waldboden, während sie verzweifelt mögliche Fluchtmöglichkeiten durchging. Den Hang hinunter konnte sie nicht fliehen. Dort würde sie geradewegs in die Fänge des Wandlers laufen. Wehren konnte sie sich auch nicht, denn sie verfügte über keine weiteren Waffen mehr. Verblieb nur eine Flucht durch die Felsen. Dafür aber brauchte sie einen Augenblick Zeit, um einen geeigneten Durchlaß zu finden. Mit ihrem Verfolger hinter sich war dies jedoch ein Ding der Unmöglichkeit. Außer sich vor Wut über die verfahrene Situation zerbiß Taren einen Fluch zwischen den Zähnen, als plötzlich hinter ihr ein greller Schmerzensschrei erklang. Taren hoffte inständig, daß ihr Gegner gegen einen der zahllosen Bäume gerannt war, wagte jedoch nicht, sich umzudrehen, zumal keine hundertfünfzig Meter vor ihr im Morgendunst ein Albtraum in Leder auftauchte.

Der ausgetrickste Dämon kam in Eilschritt auf sie zu.

Sie saß in der Falle.

Gehetzt flog ihr Blick über die massive Felsansammlung zu ihrer Linken. Zwar gab es hier und dar ein paar Spalten, jedoch waren diese derart eng, daß Taren bezweifelte, überhaupt hineinzupassen, zum anderen konnte sich jede dieser Spalten zu einer Sackgasse entwickeln, und dann würde sie endgültig in der Falle sitzen. Verblieb also nur ein Ausweg.

Die Flucht über die Felsen.

Ohne zu zögern begann Taren an der an dieser Stelle gut fünf Meter hohen, moosbewachsenen Felswand emporzuklettern, als eine kräftige Klaue ihr linkes Bein umklammerte und sie mit brutaler Wucht von der Felswand herunter riß. Blendender Schmerz flammte vor ihren Augen auf, als sie hart auf dem Waldboden aufprallte und ihr bewußt wurde, daß die Zeit gegen sie gearbeitet hatte.

Der Dämon war schneller gewesen.

Wie durch einen Schleier, unfähig zu einer Gegenwehr, sah sie ihren verhaßten Gegner vor sich aufragen, das Schwert zum tödlichen Schlag erhoben, als plötzlich etwas Haariges mit einem Knurren über Taren hinweg flog und gegen ihren Angreifer prallte. Der wurde zwar nicht von den Füßen gerissen, taumelte unter dem Wucht des Aufpralls jedoch zwei Schritte zurück, was Taren das Leben rettete. Mit einem wütenden Fußtritt beförderte der kampferprobte Dämon seinen Angreifer seitlich den Hang hinunter, wo er mit einem gequietschten "Nicht nett" in einem Brombeergebüsch verschwand. Ein böses Funkeln erschien in den Augen des Dämonen, als er sich erneut Taren zuwandte und das Schwert erhob.

Aber auch diesmal war ihm das Glück nicht hold.

Ein Schwirren, gefolgt von einem dumpfen Einschlag, ließ ihn abrupt innehalten. Ungläubig betrachtete er die Wurfaxt die plötzlich tief in seiner Brust steckte, während er in die Knie brach und das Schwert seiner Hand entglitt. Dann brach er mit blutigem Schaum auf den Lippen endgültig zusammen und begrub die wie erstarrt darliegende Taren halb unter sich. Das Ganze hatte nur wenige Sekunden gedauert, gleichwohl hatte Taren das Gefühl gehabt, als wäre ihr gesamtes Leben in diesem Augenblick noch einmal an ihr vorbeigezogen. Dann tauchte plötzlich ein bärtiges Gesicht neben ihr auf.

"Dich kann man wirklich nicht alleine lassen", brummte Grimmbart gutmütig, während seine kräftigen Arme sie behutsam unter dem Kadaver hervorzogen. Kaum war Taren wieder auf den Füßen informierte Grimmbart sie über die aktuelle Situation. Nachdem die Zwerge erkannt hatten, wie aussichtslos die Flucht der Gefährten war, hatten sie beschlossen, einzugreifen. Grimmbart war gerade noch zur rechten Zeit erschienen, um Tarens Verfolger auszuschalten, während der Wühler, der sich zwischenzeitlich mit wehleidigem Gesicht aus dem Brombeergestrüpp befreit hatte und von Taren dankbar umarmt wurde, vorgeprescht war, um Taren im Kampf gegen den verbliebenen Gegner beizustehen.

Streitaxt hingegen hatte sich um den letzten der vier Verfolger Tarens gekümmert. Einstweilen war die Bedrohung also beseitigt. Trotzdem konnten sie es sich nicht leisten, herumzustehen, da jederzeit weitere Verfolger aus dem Lager auftauchen konnten. Taren, die sich inzwischen des verhaßten Umhangs entledigt hatte, folgte dem Zwerg nunmehr wieder leichtfüßig und staunte, mit welcher Sicherheit er den Weg durch das steinerne Hindernis fand. Nicht einmal endete der Weg in einer Sackgasse. Fast kam es ihr so vor, als könne der Zwerg den Weg durch den Fels spüren.

Auf diese Weise gelangten sie binnen kürzester Zeit auf die andere Seite, wo sie auf Streitaxt trafen, der bereits auf sie gewartet hatte. Erfreut, Taren lebend wieder zu sehen, schlug er ihr anerkennend für ihre waghalsige Flucht auf die Schulter, bevor sie sich im Eiltempo zurück zu ihrem Lagerplatz begaben. Dort hatten sich bereits Michael, Glyfara und Grüneich eingefunden und alles zum Aufbruch vorbereitet, doch Taren ließ es sich nicht nehmen, sich zuvor ausgiebig bei Michael für ihre Rettung zu bedanken. Ehe er sich versah, fiel ihm Taren bereits um den Hals und küßte ihn herzhaft auf den Mund. Während Michael vor Verlegenheit knallrot wurde und nicht wußte, wie er sich angesichts der herzlichen Dankesbekundung Tarens verhalten sollte, wurde Glyfaras Gesicht immer finsterer. Aber es war Grimmbart, der dem Treiben schließlich ein Ende setzte.

"Schluß jetzt, wir haben keine Zeit für so was. Eure Verfolger können jeden Moment hier sein, wir müssen aufbrechen", brummte er ungehalten, worauf Taren von Michael abließ und den Zwerg verschmitzt angrinste.

"Schade, dann habe ich ja gar keine Zeit mehr, mich bei dir zu bedanken. Du verpaßt etwas", flaxte sie und schwang sich auf den Wagen. Die Gefährten folgten eilig bis auf Grimmbart, der mit Tarens salopper Umgangsart einfach nicht klar kam. Warum zog sie ihn bei jeder Gelegenheit auf, und wieso reagierte er so empfindlich darauf?

"Worauf wartest du noch? Die Dankesbekundung ist beendet, du kannst an Bord kommen", zog ihn Streitaxt auf, dessen Stimme die Ungeduld angesichts der Gefahr, in der sie schwebten, anzumerken war. Offenkundig verstand auch er nicht, was in seinem Söldnergefährten vorging. Grimmbart knurrte irgend etwas Unverständliches, dann kletterte er schleunigst an Bord, wobei er es vermied, Taren ins Gesicht zu sehen. Die Antwort auf die Fragen, die ihn beschäftigten, mußte er ein anderes Mal finden. Dann brach der Trupp in Richtung Norden auf. Als die Sonne den Horizont im Osten rosa einfärbte und die Landschaft um sie herum nach und nach in ihr warmes Licht tauchte, hatten sie bereits eine gute Meile zurückgelegt, ohne daß von ihren Verfolgern eine Spur zu sehen war. Aber die Gefährten gaben sich keiner Illusion hin. Früher oder später würden sie sich diesen Gegnern stellen müssen. Alle hofften jedoch, daß ihnen bis dahin noch genügend Zeit verblieb, um eine Abwehr zu organisieren.

Wird fortgesetzt.......

 

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