Irene Beddies

Schlafes Schwester




Es war später Abend. Der Mond stand in halber Pracht am Himmel, die Sterne waren heraufgezogen.
Der Schlaf machte sich auf, seine zweite Runde zu absolvieren, um all den Nachteulen, die noch aufgeblieben waren, die Augenlider mit seinem Schattensand  zu beschweren.
So kam er auch an ein Bett, in dem eine Frau mit schon geschlossenen Augen lag.
„Bruder“, flüsterte eine Stimme, „ich bin schon lange hier. Bitte gehe weiter. Diese Frau braucht dich nicht. Sie braucht mich jetzt noch eine ganze Weile.“
„Schwesterchen, ich verstehe. Soll ich später kommen?“
„Das wird nicht nötig sein, Bruderherz. Ich bleibe bis zum Morgen, wenn es sein muss.“
Der Schlaf hauchte seiner Schwester einen Kuss auf die Wange und zog sich leise zurück.

Die Traumhüterin in ihrem langen zart violetten Gewand stand am Fußende des Bettes und sah auf die Frau herab, lächelte liebevoll und flüsterte auf sie ein. Die Frau auf dem weißen Laken lächelte manchmal auch, wenn eine Szene aus ihrem Leben sie erheiterte. Sie verlor einige Male eine Träne, die glitzernd an ihrer Wange herunter rollte. Einmal seufzte sie tief und bewegte die Finger, die sonst regungslos auf der Bettdecke lagen. Ihr schien wohl zu sein, die Schmerzen hatten sich verflüchtigt.

Gegen Morgen betrat der andere, der dunkle Bruder das Zimmer. Er breitete seine Arme aus.
Die Schwester wich zurück. Ihre Aufgabe war erfüllt. Sie schwebte davon.
Der dunkle Bruder beugte sich über die Frau und strich ihr sanft über die Augenlider. Dann legte er einen Finger auf ihren Mund und versiegelte ihn…für immer.



© I. Beddies



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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.03.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Irene Beddies hat in diesem Band ihre Märchen für Jugendliche und Erwachsene zusammengestellt.
Vom Drachen Alka lesen wir, von Feen, Prinzen und Prinzessinnen, von kleinen Wesen, aber auch von Dummlingen und ganz gewöhnlichen Menschen, denen ein wunderlicher Umstand zustößt.
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