Jacques Lupus

Der Blick zur Nachbarin

Besuch eines Freundes
oder die Frage:
"Warum  schaust du immer da rüber?"

( Eine frei erfundene Geschichte des Alltages. )
© Jacques Lupus

Edgar räkelte sich zufrieden in seinem Sessel und schaute sich die Nachrichten des Tages an. Nun war er da, wovon noch viele Menschen besonders in Ostdeutschland träumen. Er hatte das Rentenalter erreicht.
Seine Frau Marion, die er schon über dreißig Jahre kannte, redete ununterlassen und war unzufrieden. Wieder einmal hatte Edgar nicht an die Mülltonnen gedacht, diese nicht rechtzeitig bereitgestellt.
"Nun füllt sich der Dreck an und wir wissen nicht wohin damit", nörgelte Marion an Edgar herum.
"Wenn du nicht den ganzen Tag träumen würdest und dir auch einmal einen Plan zurecht legen würdest, wäre das alles viel einfacher für mich!
Außerdem solltest du weniger zu unserer schönen Nachbarin schauen. Du hast eh keine Chancen mehr bei ihr. Die ist viel zu sportlich und vor allem zu jung für dich".

Marion verfiel in ein lautes Lachen, das Edgar schon leicht beleidigte, denn eigentlich wollte er nur seine Ruhe haben und vor allem den Nachrichten folgen;                              
the news all over the world
lief, Egons Lieblingssender, den Marion regelrecht hasste.
Nach viel Verhandlungsgeschick und einigen Kompromissen hatte sich Edgar aber dann durchsetzen können und schaute in Ruhe all das, was ihn interessierte.

Nachdem Edgar schon dachte, keine Frau mehr fürs Leben zu erhaschen, hatten sich Marion und Edgar an einem lauen Dorfsommerabend im Juni zum Dorffest kennen gelernt.
Viele Runden hatte Edgar mit der neun Jahre jüngeren Marion getanzt, und beide hatten sich schließlich nach einem herrlichen Sommer das Jawort gegeben.
Pünktlich ein Jahr später wurde die Tochter Bianca geboren, die ihre Eltern regelmäßig besuchte und nach dem Vater schaute.
Edgar freute sich, wenn Bianca auf Besuch kam, denn für ihn war es eine willkommene Abwechselung. Es wurde viel erzählt, Edgar erfuhr Neuigkeiten über seine zwei Enkel Steve und Marcel, hörte viel über dies und anderes, und trank ungestört seine zwei Tassen Bohnenkaffee. Wenn es das Wetter zuließ saß er dann am liebsten auf der Terrasse.

Im Sommer neigt sich die Sonne am Abend tief dem Horizont zu, und Edgar blinzelte, wenn er seinen Hut absetzte, da die Sonnenstrahlen seine flinken braunen Augen erreichten. Der Schweiß war tief in seine Stirn gedrungen, und den galt erst einmal ab zu wischen.

Marions Garten blühte in voller Schönheit, und Edgars Aufgabe war es auch, die vielen Blumen zu gießen.
Dafür hatte er sich extra den alten Brunnen wieder flott gemacht, um nicht das kostbare Leitungswasser zu verschwenden.
Nach getaner Arbeit mit der Gardenaanlage setzte sich dann Edgar in seinen Gartenstuhl, sein Blick schweifte über die Dächer seines kleinen Dorfes, und er genoss die Ruhe und Abgeschiedenheit.

 

 
Ein schrilles Klingeln riss Edgar aus seinen Träumen.
Vor der Tür stand sein alter Freund Franz aus Jugendzeiten.
"Ich war in der Nähe und dachte mir, da kannst du doch gleich mal deinen alten Freund Edgar besuchen!" sprudelte es nur so aus Franz´ Mundwerk.
Und schon hatte Edgar ein zweites Bier auf den Tisch gestellt.

"Das zischt aber bei diesen Temperaturen", freute sich Franz und leerte auf Ex das erste Glas Bier. Edgar stand auf, um noch zwei Bier für seinen Jugendfreund Franz
und sich selbst zu holen.

Franz hatte in der Zwischenzeit wichtige Beobachtungen gemacht.
Im Edgars Dorf hatte sich viel verändert!
Alte Scheunen waren baufällig geworden und abgerissen worden.
Kleine Parks waren entstanden oder schöne Einfamilienhäuser zierten die neu entstandenen Grundstücke.
Auch Edgar hatte sich seinen Horizont um ein Vielfaches erweitert.
Vergleichbar der berühmten Metapher

-Über den Dächern von Paris –
fühlte sich Edgar wie über den Dächern von Tunzenleben. Die alte Scheune auf Edgars ehemaligen Bauernhof mit ihrem halb eingefallenen Dach war einem Carport für Edgars neuen BMW und einem kleine Gewürzgarten gewichen.
Nun schweifte Edgars Blick weit über die niedrigen Dächer der Nachbargrundstücke zu dem ehemalige Gutsgelände des Dorfes, wo seine Großmutter Helene einst als Mamsell gedient hatte.


 
Hier war gleich eine ganze Kolonie neuer Einfamilienhäuser entstanden war.
Die neu eingedeckten Dächer der Häuser schillerten rot, weinrot oder blau und gaben einen herrlichen Anblick wieder.
Vor allem junge Familien waren hier mit ihren Kindern eingezogen!

Oft hörte Edgar dem lauten Spiel der Kinder zu und freute sich auf den nächsten Besuch seiner Stammhalter Marcel und Steve, die im gleichen Alter wie die spielenden Kinder waren. Auf Augenhöhe konnte nun Edgar seine neuen Nachbarn sehen und deren reges Treiben beobachten. Neue Zäune wurden gesetzt, Schaukeln für die Kinder wurden auf- und abgebaut, Sonnenschirme wurden installiert und deinstalliert, Blumen gegossen und Unkraut gejätet.
„Der ist aber gut drauf", dachte sich Edgar. „Der gießt die Blumen seiner Frau noch mit der Gießkanne.  Nicht umsonst ist der so gut gebaut! Vielleicht sollte ich auch lieber öfter die Gießkanne benutzen, um meinen Körper zu trainieren und fit zu halten."
Edgar kehrte mit dem Bier auf die Veranda zurück, wo Franz schon ungeduldig wartete! Sofort füllte er das Glas seines Freundes wieder und setzte sich in seinen Gartenstuhl, um den schönen Sommerabend zu genießen.
Franz Anwesenheit versprach Ablenkung und Unterhaltung.

"Du hast aber einen schönen Blick!" stellte Franz schmunzelnd fest.
"Ja", antwortete Edgar. „Allein die Farbenvielfalt der Dächer, deren Schillern in der Sonne genieße ich oft, wenn ich hier sitze und mein Aprètbierchen am Abend trinke."
"Das meine ich nicht", lächelte Franz in sich hinein. "Schau mal wer da Blumen gießt!"



Edgar schaut in die Richtung, die Franz ihm vorgab.
Im Garten seiner jungen Nachbarn stand eine wohlgeformte schöne junge Frau im Bikini, die mit ihren Kinder spielte, an den Blumen roch
und wohl auch den schönen Feierabend wie Franz und Edgar genoss. Sie trug ihre blonden Haare schulterlang und ihre Haut war sonnengebräunt.
Die Haare schimmerten in der Abendsonne wie Flachs und wehten wie Seide im leichten Abendwind.
„Diese Schönheit habe ich noch gar nicht wahr genommen",
dachte sich Edgar, und er ging weiter seinen Gedanken nach.

Wie lange war es her, dass er zusammen mit seiner Jugendlieben in den Thüringer Bergen einen Fahrradausflug gemacht hatte. Wie lange war es her, dass er mit Christina eine ganze Nacht im Grünen verbracht hatte. Wie schön war es allein, an diese Zeit zurück zu denken!
Zuerst hatten beide die Feste Wachsenburg, Vorreiter zum Thüringer Wald, besucht.
Später den Stausee von Hohenfelden, wo die weißen Segel der kleinen Boote wie Spielzeug erschienen, die weiten Wälder, Weiden und frisch gemähten Wiesen, die ganzen Orte mit den bunten Autos, rundherum am Horizont immer wieder der Thüringer Wald. Edgar war seiner ersten großen Liebe verfallen.

Nachdem beide mit dem Fahrrad viele Stunden unterwegs waren, machten sie auf einer kleinen Anhöhe der Thüringer Berge die erste Rast.
Schweigend und verträumt schauten sie in die Ferne; dann warf Christina einen raschen Blick
zu Edgars Hals, der sie wohl vom ersten Moment des Kennen lernen anzog.

Noch lehnte sie sich nicht an ihn, doch da war eine Kraft außerhalb ihres Wesens,
die sie näher an ihn heran schob.
Schließlich berührte ihre Schulter die seine, so leicht wie ein Schmetterling eine Blüte berührt,
und so leicht war auch sein Gegendruck.

 
Nun hätte sie sich zurückziehen müssen, doch sie schienen zu einem Automaten geworden zu sein. Was sie taten, unterlag nicht mehr ihrem Willen. Es war ein köstlicher Wahnsinn, der sie unabdingbar beherrschte!
Edgars Arm stahl sich um ihren Rücken.
Sie wussten nicht, worauf sie wartete, doch es war ein himmlisches Warten.
Sein Arm schob sich höher, zog Christina näher an seinen Körper, langsam und zärtlich.       Mit einem Seufzer ergab sie sich seiner Berührung.
Ihr Kopf lag an seiner behaarten Brust. Sein Kopf neigte sich, und ihre Lippen trafen die Seinen!
" Das muss wohl Liebe sein?" dachte Christina.                                                                                   " Und wenn es nicht Liebe wäre, was sollte es dann sein!"
Sie liebte Edgar, der seine Lippen auf die ihren drückte.

Die Hände der Liebenden verschlangen sich in einer unendlichen Berührung!
Edgars Hals, sonnengebräunt, strahlte Geborgenheit und Kraft aus und zog wie ein Magnet ihren Körper an. Es war ein so erlesenes, göttliches Gefühl, dass sie leise stöhnte und in seinen Armen die Besinnung verlor.
Lange fanden beide keine Worte, viele Male küssten sie sich und schmiegten ihre Körper ineinander. Die Schönheit der Landschaft sahen sie wie einen silbernen Nebel.
" Seit wann liebst du mich?" fragte sie Edgar.
"Seit ich zum ersten Mal deine Stimme hörte, seit ich zum ersten mal dein Lachen genoss",    war Edgars Antwort.
" Ich bin wahnsinnig vor Glück!"

" Ich bin froh deine Frau zu sein!" gestand Christina ihrer neu gewonnenen Liebe.
" Ich wusste es von Anfang an. Nie hätte ich glauben können, dass mein Traum, deine Liebste zu sein, in Erfüllung gehen würde".


Wie lange war es her, dass Edgar dieses Gefühl erleben durfte!
Edgar wachte aus seinem Traum auf, als sich Franz lauthals zurück meldete:
"So - nun muss ich aber wieder los. Gerlinde wird auch schon mit dem Abendessen auf mich warten".

Franz stand auf und verabschiedete sich von Edgar.
Im gleichen Augenblick tauchte Marion auf der Bildfläche auf.
Spät am Abend kam sie von der täglichen Arbeit abgespannt zurück und schimpfte wie üblich auf Gott und die Welt.
Edgar hatte den Tisch zum Abendessen schon gedeckt.
Und weil so gutes Wetter war, blieben Marion und Edgar nach dem Abendessen noch lange auf der Veranda sitzen.



„Na?" stichelte Marion. „Schaust du schon wieder zur schönen Nachbarin! Starr da nicht immer so hin. Das ist ja schon peinlich"
Edgar verhielt sich ruhig. Das war das Beste in derart angespannten Augenblicken.
Eine ganze Weile verstrich und Marion sprach weiter:
"Deren Mann habe ich auch schon lange nicht gesehen."




"Der arbeitet in Ludwigshafen am Bodensee", klärte Edgar seine Frau Marion auf.  „An seinem Audi habe ich ein entsprechendes Nummernschild gesehen. Da wird er auch nicht oft und regelmäßig zu Hause sein."
„Ach so!" reagierte Marion. "Du bist aber gut informiert!"
 
Edgar und Marion beendeten damit ihre recht kurze Konversation am Abend,  und beide gingen ihren Gedanken eines lauen Sommerabends nach.
 

 

 

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Jacques Lupus).
Der Beitrag wurde von Jacques Lupus auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.03.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Jacques Lupus als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Erlebtes Leben: Mein Meerestraum von Fritz Rubin



Versunken in des Meeres Brandung / sitz’ ich am weiten Strand, / das Salz der Gischt auf meinen Lippen, / durch meine Finger rinnt der Sand.
Ich schließ’ die Augen, / geh’ ein in die Unendlichkeit, / es ist ein irres Sehnen / bis hin zur Ewigkeit.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Wie das Leben so spielt" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Jacques Lupus

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Feuerzangenbowle der Neuzeit von Jacques Lupus (Tragigkömodie)
Warum können Männer nicht so sein wie wir? von Eva-Maria Herrmann (Wie das Leben so spielt)
Wie ich zu meinem Namen kam... von Rüdiger Nazar (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen