Irene Beddies

Wendel: Neue, alte Bleibe




Eine Wochen später kam die Eule auf das Stalldach, begrüßte freundlich die Schleiereule und fragte dann das kleine Gespenst:
„Wirst du hier bleiben? Du hast den neuen Schlafplatz nun lange genug ausprobiert.“
„Nein“, entgegnete Wendel energisch.
„ Hier ist es zu weit weg von der Stadt. Ich kann ohne die Stadt nicht leben. Mir fehlen die Geräusche von Menschen und Autos, wenn ich aufwache. Mir fehlt das Licht der Straßenlaternen und Schaufenster. Ich will wieder zurück. Irgendwo werde ich schon einen neuen Schlafplatz finden.“
Und so kehrte er in die Stadt zurück auf sein Dach, um von hier aus die Lage zu erkunden.
Plötzlich hörte er eine Unterhaltung im Vorgarten. Als er nach unten schaute, sah er Pauls Mutter mit einem Mann und einer Frau auf dem Rasen. Die Ferien waren also zu Ende.
„Wir werden das Haus kaufen“, sagte der Mann. „Es sind eine Menge Reparaturen nötig. Es muss auch frisch gestrichen werden. Aber wenn alles fertig ist, ist es ideal für uns. Und der Garten ist natürlich sehr schön.“
Wendel zögerte nicht lange. Mutig kam er vom Dach herunter und schwebte auf die drei Personen zu. Er hatte nicht allzu viel Angst, denn Pauls Mutter war ja dabei.
„Huch! Ein Gespenst! Ein echtes Gespenst“, schrie die Frau entsetzt. Aber Pauls Mutter beruhigte sie.
„Es ist nur ein kleines Nachtgespenst, das niemandem etwas zuleide tut. Es ist Pauls Freund und schläft manchmal bei uns im Keller.“
„Was will es dann hier?“, fragte ängstlich die Frau, während ihr Mann sich das Gespenst genau ansah.
„Das sollten wir Pauls kleinen Freund jetzt selbst fragen“, meinte Pauls Mutter.
Zu dem Gespenst gewandt, fragte sie: „Was hast du auf dem Herzen?“
„Ich wohne hier seit langem auf dem Dachboden in dem Karton unter der zerbrochenen Fensterluke. Ich möchte hier wohnen bleiben, bitte, bitte!“
„Nun ja“, meinte der Mann, „wie soll das gehen? Wir müssen das Dachfenster reparieren, denn wir wollen den Dachboden für unsere überzähligen Möbel benutzen. Die werden sonst feucht, wenn es hineinregnet.“
„Es hat noch nie hineingeregnet, der Pappkarton ist immer trocken geblieben.“
„Mal sehen, was sich machen lässt. Würde es dir denn genügen, wenn wir einen Dachziegel neben dem Schonstein entfernen? Über den Schornstein, den wir gar nicht brauchen,  wollen wir sowieso ein Dach gegen den Regen bauen lassen, denn der Kamin ist innen feucht.“
„Ja, das wäre gut. Und den Karton könnt ihr dann unter das Loch stellen, damit ich gleich hinein plumpsen kann.“
„Ist es nicht eine schöne Idee, dass ihr ein Gespenst im Hause haben werdet?“, fragte Pauls Mutter die zukünftigen Hausbesitzer.
 „Wenn ihr einmal Kinder haben solltet, haben sie gleich einen Freund.“

© I. Beddies



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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.04.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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