Margret Silvester

Regenblind

Es ist Frühling – überall macht er sich bemerkbar. Es bedarf keiner Aufzählung der einzelnen Blütenstände. Das Wort Frühling allein lässt uns in Düften und Farben schwelgen.
Manchmal auch in silbernen Regenschleiern, die aus einem dicht mit Wolken verhangenen Himmel fallen. Die einzelnen Tropfen sind keineswegs auseinander zu halten.
Es war ratsam, die Regenjacke auf dem Weg zum Wochenend-Einkauf anzuziehen. Sie hat eine Kapuze und ist winddicht. Auf dem Rad unschlagbar, eine solche Jacke.
Im Park kommt mir ein anderer Radfahrer entgegen und als er auf meiner Höhe ist, bin ich wieder einmal froh, dass ich für solche Wege noch keine Brille benötige. Seine ist total betropft und ich sehe seine verzweifelten Versuche, die Tropfen mit einer Hand fortzuwischen. Armer Kerl.
Ich kann noch ohne Brille. Lesen nicht mehr, aber alles andere.
Mein Rad ist schwer bepackt. Allerlei Nützliches und auch Dinge, die ich nicht unbedingt benötige, stecken in prallgefüllten Taschen, die auf meinem Gepäckträger, meinem Rücken und im Seitenkorb thronen. Ich wundere mich häufig darüber, dass alles, was ich einkaufe, immer noch gerade so in die mitgeführten Taschen passt. Toll, wie ich das immer hinbekomme.
 
Der Weg durch den Park steigt ein wenig an und überquert eine kleine hölzerne Brücke. Auf dem höchsten Punkt sehe ich so um die 20 m vor mir ein älteres Paar eingehakt spazieren gehen. Irgendwann, ganz bald, werde ich sie eingeholt haben, denn sie gehen langsam, dem Alter entsprechend. Beide weißhaarig, er ein wenig größer, sie geht ihm bis zur Schulter.
So ein wunderbares Bild. Diese beiden alten Leute, wie sie gemeinsam ihren Lebensweg machen. Das kann man im übertragenen Sinn bestimmt sagen. Gemeinsam sind sie alt geworden und nun, schon weiß im Haar, noch immer eng verbunden. Eingehakt – direkt ein Symbol dafür. Man kann es sehen, dass sie sich zusammengehörig fühlen. Zusammen in einer Liebe vereint, die schon so viele Jahre zählen dürfte, wie das Alter es zulässt.
Wie ist das schön, wenn zwei Menschen es bis dahin geschafft haben. Vielleicht haben sie gar schon die Goldene Hochzeit hinter sich, wer weiß? Die kleine Frau und ihr Mann, der mit seiner Größe und noch kein bisschen gebeugt, ihr sicheren Schutz gibt. Schutz und Liebe. Ja, jetzt streichelt sie mit ihrer Hand, die bislang in seiner Armbeuge verschwunden war, seinen Arm. Sie unterhalten sich. Über was sie reden, kann ich natürlich nicht verstehen.
Ich verlangsame mein Tempo auf dem Rad. Gern möchte ich noch ein Weilchen Freude an den Beiden haben. So innig, wie sie da zusammen gehen. Nun hat sie ihre Hand wieder mit seinem Arm verhakelt, sich an ihm festgehalten.
Wie wunderbar es doch ist, dass da zwei Menschen sind, die sich gut sind, die sich – auch – aneinander gewöhnt haben und bestimmt alle kleinen Geheimnisse voneinander kennen. Vielleicht haben sie erwachsene Kinder, die am morgigen Sonntag zu ihnen zum Kaffeetrinken kommen. Heute, am Samstag, gehen die beiden im Regen spazieren. Kümmern sich kein bisschen um die Nässe von oben. Sie sind ganz eins mit sich und ihrer Liebe. Diese beiden Alten.
Nun bin ich etwas näher gekommen und entdecke, dass die Frau eine Mütze trägt, eine weiße. Na und? Hab ich eben von Weitem verwechselt, ihr weißes Haar mit einer Mütze. Das besagt aber nicht, dass sie unter der Mütze nicht auch weißes Haar hat.
Seinen Kopf ziert weiterhin dichtes weißes Haar. Im Näherkommen sehe ich es sogar silbrig schimmer. Anders als der Regenschleier, der mir jetzt eher grau scheint.
Mir kommt so ein altes Lied in den Sinn: Ich hab Ehrfurcht vor schlohweißen Haaren......
und ich habe Ehrfurcht vor der Liebe dieser beiden Alten......
Nun überhole ich sie.
Und höre, wie sie zum ihm sagt: „Wir müssen an die Blumen für Mama denken.“
Du meine Güte. Für Mama? Wie alt mag die wohl sein?
Und die Stimme der Frau klingt so jung, so jung kann nur die lebenslange Liebe sie erhalten haben. Ich seufze aus tiefstem Herzen und freue mich an den beiden.
Im Überholen dreh ich mich kurz um. Ich möchte das Liebesglück dieser beiden alten Menschen sich auf ihren Gesichtern spiegeln sehen. Möchte es mitnehmen in das Wochenende und davon träumen, dass …...
und sehe, dass die Frau höchstens 30 Jahre alt ist. So ein alter Lustgreis, denke ich. Spaziert da in aller Seelenruhe mit seiner jungen Geliebten durch den Park.,
Da höre ich sie sagen:
„Meinst du, wir können ein wenig schneller gehen, Papa? Wir werden noch ganz nass."

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.04.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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