Sebastian Sauer

Das Ritual

Reuevoll, fast zärtlich blickte er herab auf den leblosen Körper zu seinen Füßen. Er ging langsam und geschmeidig auf die Knie, zog die lange Klinge aus der Brust des Opfers. Mit routinierten Handgriffen wischte er sie an einem Taschentuch ab und ließ sie in die Lederscheide in seinem Mantel gleiten. Aus seinem Ärmel kam ein kleineres Messer zum Vorschein. Die geschwungene Schneide schien sich in seiner Hand zu winden, als er es im Licht drehte. Er steckte den hölzernen Messergriff zwischen die Zähne. Ein Geschmack von Leid machte sich in seinem Gaumen breit. Vielleicht war es aber auch nur eine Mischung aus Schweiß und Farbe.

Er ballte die Linke zur Faust und wickelte mit der Rechten den Ärmel nach oben, bis der ganze Unterarm entblößt war. All das geschah konzentriert und langsam, ohne Hektik und so als erfordere es seine ganze Aufmerksamkeit dieses Ritual zu vollziehen. Er entließ den Messergriff aus der Umarmung seines Gebisses und packte ihn fest mit der Rechten. Die Klingenspitze wanderte über die nackte Haut der Innenseite des Unterarms. Er ballte die andere Hand jetzt so fest zur Faust, dass die Sehnen hervortraten, als ob sich etwas unter seiner Haut bewegte.

Dick und dunkelrot trat das Blut aus dem Schnitt hervor, drängte heraus und malte fantastische Formen auf seiner Haut. Er klemmte das Messer wieder zwischen seine Zähne, als er spürte wie der Schmerz sich in seinen Körper ausbreitete, dieses Mal nicht um die Hände frei zu haben.

Sein Atem ging tief und gleichmäßig, während er die Wirkung des Schnittes auskostete. Er schloss die Augen und spürte den Schmerz ganz deutlich, ließ ihn durch seine Adern fließen bis zu seinem Herzen und sich dort sammeln. Es war nicht mehr sein Schmerz, er wurde eins mit seinem Opfer spürte die Klinge, seine Klinge, in seiner Brust, wie sie zuerst eindrang und dann langsam aber kraftvoll wieder herausgezogen wurde.

Er fuhr mit der Hand unter sein Hemd und brachte einen Rosenkranz zum Vorschein. Geschickt zog er die Kette über seinen Kopf und wickelte sie um seine Handfläche. Seine Hände trafen sich vor seiner Brust, Handfläche auf Handfläche die Daumen gekreuzt.

Er fing an zu sprechen, seine Stimme leise, kaum mehr als ein Flüstern, so begann er zu beten. Mit jedem Wort wurde seine Stimme etwas lauter, eindringlicher, als stiege etwas hinauf aus den Tiefen seiner Kehle, dass immer näher kam mit jeder Bewegung seiner Lippen.

Die letzten Zeilen drangen klar und deutlich in den Raum:

„...ora pro nobis peccatoribus

nunc et in hora mortis nostrae.

Amen.“

Nachdem er geendet hatte zog er das blutige Taschentuch wieder aus seiner Manteltasche, schlang es um seinen blutigen Arm, wischte auch das kleine Messer daran ab und schlug den Ärmel wieder nach unten. Er legte den Rosenkranz wieder um seinen Hals und schob das Kreuz unter sein Hemd.

Bevor er sich von den Knien erhob bekreuzigte er sich. Sein Blick schweifte durch den Raum.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.04.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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