Peter Spiegelbauer

Das vernarbte Mädchen

Der Vorhang bauschte sich kurz auf, als das Mädchen die Türe öffnete und eintrat. Ihr Zimmer war ordentlich aufgeräumt. Ihre Spielzeuge waren sortiert und stets griffbereit. So mochte sie es. Alles absolut unter Kontrolle. Plötzlich bemerkte sie einen Spiegel an der Wand, der ihr vorher noch nicht aufgefallen war. Neugierig trat sie vor ihn, doch sie sah nicht ihr Spiegelbild sondern bunte Farben, hörte Vogelgezwitscher, spürte warme Sonnenstrahlen aus dem Spiegel kommen. Ihn zu berühren traute sie sich jedoch nicht. Sie erfreute sich an den wundersamen, fröhlichen Bildern, die der Spiegel ihr zeigte. Und nach einer Weile begann sie zögernd und ängstlich ihm einzelne Worte und kurze Sätze zuzurufen, als wäre er ein Mensch. Der Spiegel antwortete ihr auch. Allerdings in einer etwas rätselhaften Form. Manchmal in Bildern, dann wieder mit Klängen und Melodien. Einige kamen ihr bekannt vor, doch die meisten hatte sie noch nie zuvor gehört. Schließlich brachte sie den Mut auf, mit ihm ein Gespräch anzufangen. Der Spiegel antwortete mit eindrucksvollen, farbenfrohen Bildern, doch auf  einmal zeigte der Spiegel einen Menschen. Es war ein junges Mädchen. Zunächst bemerkte sie nicht, dass sie selbst dieses Bildnis war. Als sie sich schließlich im Spiegel erkannte, erschrak sie. Sie fragte warum der Spiegel sie alleine darstellte. Doch der Spiegel gab keine Antwort. Aber die Farben veränderten sich. Das Bild erschien jetzt nur noch in weißen und schwarzen Schattierungen. Es wirkte seltsam kalt und traurig. Leichte Wut ergriff das Mädchen, als es den Spiegel noch einmal fragte warum ihr Spiegelbild so alleine und traurig dargestellt war. Da antwortete der Spiegel in dem er schrieb: „der Grund ist die Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen.“ Da loderte die Flamme der Wut im Gesicht des Mädchens auf und es fragte den Spiegel, wie er so etwas behaupten konnte. Da zeigte der Spiegel eine Szene aus ihrem Leben, in der sie mit genau diesen Worten ihren Bezug zu anderen Menschen beschrieb. Purer Zorn führte ihre Hand, als sie den Spiegel zertrümmerte. Einige Scherben schnitten Wunden in ihre Haut, die später vernarben würden. Mit dem Blut wich auch die Farbe aus ihrem Körper, bis sie schließlich nur noch schwarz und weiß war. Nachdem sie den Spiegel völlig zerstört hatte, fühlte sie sich müde und erschöpft. Völlig ausgebrannt sank sie zu Boden und schlief ein.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.05.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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