Thomas Kleinrensing

Balkonien

~~„Und gehen Sie auf die Yucca zu. Immer mit ihr reden und streicheln Sie ihr dabei über die Blätter. Das beruhigt sie, baut eine Beziehung auf und sie wird sich prächtig entfalten“, flötete die Paarberaterin für floralen Beziehungsaufbau, drückte mir das Wechselgeld in die Hand und  den Holzstamm, mit sieben sperrigen Blättern gekrönt, an die Brust. „Auf spanisch …“, fragte ich noch und verließ den Laden.
Eigentlich wollte ich nur meine Heimstatt mit einem neuen unkomplizierten Pflanzenmöbel, einmal im Monat abstauben, gießen und wieder in die Ecke schieben, aufhübschen. Ich hatte nicht vor die mangelnde Integrationspolitik unseres Landes mit einem pflanzlichen Einwanderer aus Südamerika aktiv in meinen eigenen vier Wänden zu verbessern. Zumal ich außer Wortfragmenten wie „Gracias“, „San Miguel“, „arastrada“ und „puta este amerikana“ , kein Spanisch spreche. Natürlich hatte ich von der Philosophie, dass durch Empathie und aufrichtiger Zuwendung aus jedem Normdaumen ein Grünen werden kann, gehört. Angeblich würde alsdann ein spiritueller Wunderdünger über die Fingerkuppen ausgesendet, der Pflanzen, selbst Moosröschen, zu einer unüberwindbaren Heckenbarriere zum Nachbargrundstück in der Reihenhaussiedlung heranwachsen lässt. Monsterkürbisse bis 45 Kilo und Sonnenblumenblüten mit einem Durchmesser von runden Kaffeehaustischen, wären dann keine Seltenheit mehr. Wie und wie lange man die Pflanzen mit welchen Themen ansprechen sollte um diesen Wachstumsschub zu erzeugen, blieb im Unklaren. Vielleicht zeigen Kürbisse mit ihrer Überblähung an, dass sie gleich platzen, sollte die Bezugsperson nicht aufhören ihnen die Schlagzeilen aus der Tageszeitung vorzulesen.

Zuhause angekommen stellte ich fest, dass auf der Bedienungsanleitung dieser Palme mit Migrationshintergrund, nichts über  soziale Herkunft, Schulbildung und Interessen stand. Da die Frühabendsonne anheimelnd und warm strahlte,  ich meine Fragen mit einem Glas gut gekühlten Rieslings hinunterspülte, beschloss ich den Tag auf meinem Freisitz im dritten Stock ausklingen zu lassen. Den Einwanderer, Hitze und Sonne gewohnt, platzierte ich zwischen all den floralen Restbeständen in meinem Außengehege und ließ mich in dem hölzernen Klappsessel niedersinken. Aus dem Zimmer drang leichte Musik der 80ziger und mein erweiterter Vorrat an gekühltem Edeltropfen stand wohlbehütet und griffbereit neben mir im Eisbehälter. Ich zündete Windlichter an, genoss den Wein, die langsam einfallende Dunkelheit mit ihrem Halblicht, die Musik und die angenehm temperierte Luft. Das Fehlen der täglichen Holzkohlengrill Events der Nachbarschaft, bei denen meine Wohnung durch Qualm und Geruch von verbrannten und Bier gelöschten Steaks und  Würstchen sowie dem nicht enden wollenden Kindergeschrei üblicherweise durchzogen wird, ließ mich sanft entdämmern. 
Es war schon dunkle Nacht als ich durch eine säuselnde Stimme direkt links an meinem Ohr geweckt wurde.
„Yucca hör jetzt auf zu weinen, das macht trockene Blätter und ändert gar nichts“, sagte jemand aus Richtung des Margeriten Bäumchens direkt neben mir. Ich wagte kaum zu atmen, blinzelte vorsichtig, ohne mich bewegen zu können, in Richtung dieser Zierpflanze, die mit drei blassen Blüten und ein paar grauen Blättern etwas vernachlässigt dastand.
„Bist jetzt hier bei diesem Ignoranten und musst versuchen zu überleben. Aber das sag ich dir, dass wird nicht einfach“, kam eine kratziges Stimmchen vom Fensterbrett.
„Halt Fresse – Kresse“, brummte aus der gegenüberliegenden Ecke die hässliche Monstera und man hörte ein Rasseln in ihren Luftwurzeln, während sie mit einem der zwei großfransigen und zerfressenen Blätter wedelte.

Ich saß wie versteinert, Schweißperlen auf Stirn und Oberlippe, mein Herz schlug bis zum Hals, als die  Begonien begonnen den Gefangenenchor aus Nabucco zu intonieren.
“Ruhe, verflucht nochmal. Ich hab schon die Zapfen geschlossen“, knarrte die riesige alte Tanne vor dem Balkon und neigte bedrohlich ihre Dach hohe Spitze in unsere Richtung. Ich verschwendete einen kurzen Gedanken an ein Delirium Clemens, suchte mit den Augen nach weißen Mäusen oder Elefanten in Rosa Jogginganzügen.  Ja, selbst da mein Gehirn rebellierte, die Pflanzen sprachen. Auch das blasse Weißlicht des prall aufgehängten Vollmondes machte die Szenerie nicht entspannter.
„Eh, Begonia, höre auf mit cantare sonst machte die Tannebaum Morge die Äschte breit und dann niente mit Azzurro“, befahl das halbvertrocknete Basilikumkraut aus dem Blumenkasten.
„Statt zu streiten sollten wir lieber der Yucca Mut machen“, säuselte der Rest eines Oleanders hörbar erschöpft.
„Na klar, Caramba, lasse uns drübe rede. Labe, Labe, Labe und Blablabla“, blaffte die Paprika.
„Lasse uns diese cazzo Feuer an die Arsche mache, mandare qu a fanculo“.
„Na dann fang ma an und press dir ma ne scharfe raus und nicht nur sonne schrumpelige Luftschote, Alter“, berlinerte der Brandschopf aus der Dachrinne.
„Ey, das komm gerad von de Richtigen, von wege Brandgeschopf. Hast tu nix drauf, Amigo außer heiße Luft“, gab gereizt die Paprika zurück.
„Ich würd ja….“, nahm das Margeriten Bäumchen einen erneuten Anlauf, als die Kresse auf dem Fensterbrett ihr vorlaut ins Wort viel. „Denen da drinnen geht’s viel besser als uns hier draußen“, und alle Pflanzen schienen auf die Orchideen hinter dem Fenster zu starren.
„Arrogante Drusen, arrogante Susen, nix im Kopf … “, intonierten die Begonien, worauf die Tanne umgehend bedrohlich mit den Ästen knirschte und die Orchideen ihre Blütenzungen noch länger rausstreckten.

„Eh Leute. Der Penner is en Sado. Det siehste och weiler schon wieder Frischfleisch jekoft hat. Die nächste die abkratzt is dat Margerite, det könnt ihr mir globen“, stellte die Fetthenne emotionslos fest, worauf das Margeritengestrüpp zu schluchzen begann.
„Äh Amigi isch kenne eine Witz von eine Tulpe und einer Biene …“, versuchte Basilikum die Situation zu retten, als Monstera ihr polternd ins Wort viel:
„Ey, Italiano, silencio idiota“, wobei sich bedrohlich ihre Blätter ballten und es in den Wurzeln ungesund rasselte.
„Monstera, wase willste den tu? Isse molto schlimm mit deine Gerassel inne Rohren. Isse scheise und hörte sich an wie gehse auch balde kaputt“, provozierte das Basilikum weiter.
„Aber vorher mache ich dich Krankenhaus, idiota“ drohte Monstera und reckte ihre Blätter drohend in Richtung Basilikum.
„Und Du, du Kletterer Hortensia, klettere ma nach Obe auf die Dachterrass und kippe die Kannegieß aus, so dass die Aqua durch die Decke kommt“? forderte Monstera eine fast blattlose Spalierpflanze auf.
„Na klar, mach ich. Bin so in drei Jahren da Oben, Du Spako“ blaffte giftig die Kletterpflanze zurück und lies die Äste kraftlos hängen.
„Jungens wasch ischen losch hier“? nuschelte ein Blaues Gänseblümchen, im Topf hin- und herschwankend.
„Woher hat det Vieh imma den Alk“? fragte Fetthenne.
„Genetisch, rein Genetisch“ erklärte die Margerite.
„Eh Monstera mache dir kein Sorge. Morge abend wird regne, merk ich an meine Stengelwurz. Imma wenn kommt die Regen, ich hab Kribbel in die Wurz“, meldete sich versöhnend das Basilikum zu Wort.
„Si, und Übermorge isse Weihnacht“, raunzte die Paprika.
„Quatsch, det hätt ick jemerkt. Nirgends en Wehnachtsstern oder Lametta“, konterte Fetthenne.
„Du Bratehuhn. Guckse ma nach Obe. Überall sinde da die stella“, stellte das Basilikum fest.
„Ich als Tanne weiß wohl am besten wenn Weihnachten ist, oder? Und sehe ich jetzt vielleicht aus wie ein Weihnachtsbaum“?
"Am Weihnachtsbaume ... ", begannen die Begonien zu singen, wurden aber durch ein erbostes Knirschen der Tanne sofort unterbrochen.  Nur die Kresse gluckste noch vor Lachen.
„Wenn der Penner wenigstens ab und an mal uns ein bisschen Wasser geben würde“, stöhnte erschöpft das Margeriten Bäumchen. „Und etwasch Dünger oder so“,  lallte Blaues Gänseblümchen und rülpste laut. 

„Du meinst wohl Wodka, Du Schnapsdrossel“, konterte kichernd die Kresse
„Eh ihr da drüben“, kam plötzlich eine dumpf hallende Stimme aus Richtung des Garten wo die riesige alte Trauerweide steht.
„Könnt ihr mal aufhören euch zu unterhalten? Ihr stört mich in meiner allumfassenden Traurigkeit. Zudem redet Ihr jede Nacht, überlegt was Ihr machen könnt, beschwert euch, dreht euch im Kreis. Dabei ist es so einfach. Bei den Menschen heißt es, dass das größte Tier die süßesten Früchte erntet. Bei uns Pflanzen heißt es, die tiefsten Wurzeln haben das beste Wasser. Also ihr Topfpflanzen. Ihr seid Saisongemüse, hübsch anzuschauen aber  vergänglich. Für diesen Kerl da im Sessel seid ihr schmuckes billiges Spielzeug. Gezüchtet in Holland, Belgien oder Kolumbien. Seht der Realität ins Auge, und bitte - haltet endlich die Klappe“.
Eine bedrückende Stille machte sich breit bis Monstera sagte:
„Ey, Trauergeweide, du haste Recht“
„Ich weiß“, kam es deprimiert zurück.
„Okay, Begonia", ergriff Monstera das Wort. "Cantar diese Nabucco Lied und wenn die Tannebaum sich ärgere, Morge keine Sonne mehr scheint, keine Rege kommt und wir alle sterbe müsse, machte nix. Verrecke lieber znell, als langsam wege diese Penner auf den Tod zu warte“. Ich musste husten ob dieser Aufforderung. Schlagartig verstummte jegliche Konversation. Ich saß wie bestellt und nicht abgeholt, hörte das Blätterrauschen aus dem Garten und starrte eine ganze Weile meine Pflanzen an. Dann sagte ich leise zu dem Margeriten Bäumchen, dass es mir sehr leid täte und ich umgehend Wasser holen würde. Als ich zurückkam, waren auch die letzten Blüten und Blätter abgefallen. Ich glaub ich habe geweint.

Seit dieser Nacht rede ich täglich mit meinen verbliebenden Pflanzen, gieße sie und zupfe ihnen das verdorrte Laubwerk ab. Ob ich allerdings wie mein Nachbar während des Aussäens von Küchenkräutern im Blumenkasten, dem Samen erzählen werde, dass die Zeit reif ist zu wachsen, beim Umpflanzen den Gewächsen erklären werde was ich vor habe und warum oder mich bei den Pflanzen bedanken werde für die schöne Zeit, während ich sie auf den Kompost werfe, weiß ich noch nicht. Ab und an trinke ich mit dem Blauen Gänseblümchen einen Wodka, während die anderen mit Wasser lieber trocken bleiben.
Tom 19. Mai 2014
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.05.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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