Klaus-Peter Behrens

Der Riss zwischen den Welten, Teil 3

Tom hatte endlich einen Parkplatz gefunden. Zumindest etwas, was er als Parkgelegenheit einstufte. Dean fielen auf Anhieb wenigstens drei Ordnungswidrigkeitsverstöße ein, doch er zuckte nur gleichgültig mit der Achsel. Schließlich war es nicht sein Problem, wenn Tom nachher sein Auto nicht mehr vorfinden würde. Wozu gab es Bus und Bahn.

Das Gedränge vor dem Eingang war beachtlich. Dean war nur froh, daß die ihre Schwerter durch Lederscheiden geschützt waren, anderenfalls hätte es in dem Gedränge zu ernsthaften Verletzungen kommen können. Während sie sich durch die Menge zum Eingang drängten, überlegte Tom, was für ein Gesicht wohl einige der Star Trek oder Krieg der Sterne Fans machen würden, wenn sie sich mit ihren Spielzeugpistolen gegen die scharfen Schwerter der Freunde zur Wehr setzen müßten. "Vermutlich nicht mehr so überheblich grinsen", dachte er beim Anblick seiner herausgeputzten Kommilitonen.

Als sie endlich drinnen waren, hielt Dean sich erst einmal die Ohren zu. In der Tat war der Lärm ohrenbetäubend. Hämmernde Baßrhythmen bearbeiteten sein Zwerchfell und ließen den Boden erbeben. Dean versuchte die Liste der Gesundheitsschädigungen, die damit verbunden waren, zu ignorieren, sonst hätte er gleich wieder umdrehen müssen.

Tom hingegen fühlte sich wohl. Mit der Hand auf dem Schwert schweifte sein Blick über die Menge, als wenn er auf der Jagd wäre. Dean war klar, nach was für einer Art von Wild er Ausschau hielt. Widerstrebend mußte er sich eingestehen, daß der Anblick der vielen, nur leicht bekleideten Prinzessinnen, Nymphen, Piratinnen und sonstigen Halloweenbegeisterten auch ihn in den Bann zog. Da konnte man schon mal darüber hinwegsehen, daß die Veranstaltung im übrigen selbst Dantes Inferno in den Schatten stellen würde.

"Laß uns etwas trinken", schlug er vor.

 

Jo übte sich inzwischen in seiner neuen Rolle als Fremdenführer. Mit dem seltsamen Gestalten im Gefolge näherte er sich dem Ausgang des Centralparks. Zumindest hatte das Ganze einen Vorteil, wie Jo sich eingestehen mußte. Sämtliche schrägen Vögel, um die er sonst um diese Zeit einen Bogen gemacht hätte, hatten sich beim Anblick der Truppe sofort unsichtbar gemacht. Wahrscheinlich würde selbst der abgebrühteste Straßenräuber nicht genug Mut aufbringen, um den Koloß mit seiner Keule um ein paar Dollar zu erleichtern.

Je näher sie dem Eingang kamen, desto nervöser wurde seine Begleitung.

"Was ist das?" Mißtrauisch spitzte Myrana ihre Ohren. Das seltsame Brummen war in den letzten Minuten immer lauter geworden. Wo führte Jo sie bloß hin. Der sah sie unverständlich an.

"Was meinst du?"

"Das Geräusch, es klingt, als ob sich dort viele Lebewesen mit hoher Geschwindigkeit bewegen würden. Du lockst uns doch nicht etwa in eine Falle?" Wie von selbst sprang das Schwert in Myranas Hand, die Spitze ruhte sich an Jos Kehlkopf aus. Der wagte nicht zu schlucken, aus Angst, daß es das Letzte wäre, was er in seinem Leben tun würde.

"Autos", hauchte er, während seine Augen ängstlich über das Schwert glitten. Wenigstens entfernte sich die Spitze wieder, wenn auch nur ein wenig. Viel konnte Myrana mit dieser Auskunft nicht anfangen. Hilflos warf sie Meister Reno vi´Eren einen Blick zu, doch der zuckte nur mit den Achseln. Da Jo jedoch keine Angst davor zu haben schien, hatte er keine so großen Bedenken wie die Elfin. Auf der anderen Seite konnte es nie schaden, vorsichtig zu sein. Dem Geräuschpegel nach zu urteilen, trennten sie keine fünfzig Meter mehr von der Ursache dieses Lärms. Leider konnten sie aufgrund der dichten Bäume nichts erkennen, zumal man auch noch eine Treppe im Weg war. Vielleicht sollten sie einen Späher vor schicken. Sein Blick fiel auf Wirdnix, der das wertvolle Zauberbuch trug und mit großen, ängstlichen Augen in Richtung der ominösen Lärmquelle starrte.

"Gib mir mal das Buch", sagte er.

 

Die Freunde hatten sich zwischenzeitlich zur Bar durchgeschlagen. Während Dean zwei Bier bestellte, bemerkte Tom zu seiner Freude, daß sich neben ihm gerade eine Wikingerin und ein weiblicher Diabolo mit einer teuflisch heißen Figur an den Tresen drängten. Das war ein guter Anfang.

"Ganz schön heiß hier", rief Tom der Teufelin mit einem bezeichnenden Blick auf ihr gewagtes Kostüm zu. Die verdrehte genervt die Augen. Wahrscheinlich hatte sie den Spruch heute schon hundertmal gehört.

"Warum machst du nicht Harakiri?", fragte sie und klopfte demonstrativ auf Toms Schwert, während ihre Freundin vor Lachen losprustete und den Sekt verteilte, den sie gerade im Mund hatte. Dann tippte die Teufelin zu Toms Verwunderung Dean auf die Schulter.

"Hallo Dean, ich wußte gar nicht, daß du auch auf Partys gehst. Hast du Lust zu tanzen?"

Dean nickte und verschwand mit hochrotem Kopf in ihrem Schlepptau im Gewühl. Tom verstand die Welt nicht mehr. Vielleicht sollte er das Studienfach wechseln.

"Mach dir nichts draus", erklang die Stimme der Wikingerin an seinem Ohr, "sie steht nun mal mehr auf den schüchternen Typ."

"Ist nicht zu übersehen."

 

Auch Wirdnix hatte im Moment nichts zu lachen.

"Da mache ich nicht mit", bekannte er eigensinnig, nachdem ihm Meister Reno vi´Eren aufgefordert hatte, den Kundschafter zu spielen. Wer sagte denn, daß die Geräusche nicht von Lebewesen abstammten, die gerade auf der Jagd waren. In Gedanken sah er sich einer Horde von Ungeheuern gegenüber, die sich laut brummend auf ihn stürzte.

"Ihr braucht keinen Kundschafter", mischte sich Jo, der allmählich an seinem Verstand zweifelte, in den Streit ein. Fast war er geneigt zu glauben, daß diese verrückte Truppe von einem anderen Planeten kam. Bei näherer Betrachtung dieses Riesen, schien das sogar ziemlich wahrscheinlich, wenngleich er Schwierigkeiten hatte, die archaische Keule mit einem Raumschiff in Verbindung zu bringen. Gart unterbrach seine Gedanken.

"Wieso nicht?"

"Weil dahinten nur Autos sind", brüllte Jo, der nun doch allmählich die Nerven verlor. "Die sind höchstens gefährlich, wenn ihr bei Rot über die Ampel geht."

"Also doch gefährlich!"

Baumbatz nahm seine Keule von der Schulter, während sich Jo nach einem Loch zum Verschwinden sehnte. Das konnte doch alles nicht wahr sein.

"Los weiter und wehe, wenn du uns reinlegst!" Myrana hatte ihr Schwert wieder eingesteckt und verpaßte Jo einen Schubs, der ihn beinahe auf den Boden befördert hätte.

"Sei nicht so unhöflich", tadelte Meister Reno vi´Eren sie, "es ist doch nett von ihm, daß er uns helfen will." Jo schnaufte, verkniff sich aber eine Antwort. Von wollen konnte wohl kaum die Rede sein.

Als sie schließlich den Ausgang zur 5th Avenue erreichten und gleich neben dem Metropolitan Museum of Art herauskamen, lächelte er zum ersten Mal, seit er diesen seltsamen Gestalten begegnet war, wieder. Mit offenem Mund starrten diese die vorbei fahrenden Autos an, als würden sie das letzte ungelöste Wunder des Universums betrachten. Offenkundig waren sie eine solche Verkehrsdichte nicht gewöhnt.

"Bei euch ist wohl nicht so viel los."

Zögernd schüttelten die Gefährten den Kopf.

"Wohnt hier euer König?", staunte Myrana mit einem Seitenblick auf den beeindruckenden, altehrwürdigen Bau.

"Nein, das ist bloß ein Museum."

"Museum?"

"Ja, dort werden wertvolle, alte Dinge aufbewahrt."

Bei diesen Worten wurde Wirdnix sogleich hellhörig.

"Wertvoll?"

Jo nickte unglücklich, er konnte sich gut vorstellen, was als nächstes folgen würde.

"Meister, wir sollten dort dringend einmal nachsehen gehen."

"Ich glaube nicht, daß die um diese Zeit noch geöffnet haben", versuchte Jo, weiteren Ärger abzuwenden. In Gedanken überlegte er, wieviel Jahre ihn wohl für die Beihilfe zum Diebstahl erwarten würden. Doch zu seiner Beruhigung ging keiner auf Wirdnixs Vorschlag ein. Gart war viel zu beeindruckt von den vorbeifahrenden Autos. Wenn die Loren in Medara genauso leicht zu bewegen wären, könnte man sehr schnell den Profit steigern. Während er in Gedanken ausrechnete, was er damit einsparen könnte, interessierte sich Meister Reno vi´Eren mehr für den wissenschaftlichen Aspekt.

"Welcher Zauber diese Gefährte wohl antreibt", murmelte er und bewunderte die Menschen, die sich offenkundig ohne Mühe in diesen seltsamen Geräten fortbewegten.

"Schwarze Magie", vermutete Wirdnix griesgrämig, der enttäuscht war, daß keiner Interesse für das Museum zeigte.

"Nein, eher schwarzes Öl in raffinerierter Form ", erläuterte Jo trocken. In diesem Moment kündigte sich zu seinem Leidwesen neuer Ärger an. Ein paar betrunkene, als Piraten verkleidete Jugendliche, die dem Gegröle nach schon ausgiebig Halloween gefeiert hatten, kamen leicht schwankend auf sie zu. Anscheinend hatten sie noch nicht realisiert, wer da alles im Schatten des Parks an der Fahrbahn stand, oder sie waren ungewohnt mutig oder grenzenlos dumm. Wie auch immer, das sah verdammt nach Ärger aus. Fragte sich bloß, für wen?

Myrana registrierte als nächste, daß sie Besuch bekamen.

"Piraten!", rief sie warnend, riß ihren Blick von der Kolonne der vorüberziehenden Wagen los und nahm in Windeseile ihren Bogen von der Schulter. Ehe Jo zu einer Erklärung ansetzen konnte, lag bereits ein Pfeil mit einer häßlichen Widerhakenspitze auf der Sehne, die sogleich unter dem kräftigen Zug der Elfin vibrierte und keinen Zweifel daran ließ, welche Folgen es für den Anvisierten hätte, wenn sie dieselbe loslassen würde. Auch die anderen Gefährten hatten sich kampfbereit der neuen Bedrohung zugewandt. Jedenfalls fast alle. Wirdnix betrachtete immer noch sehnsüchtig das Museum.

Den vermeintlichen "Piraten" war beim Anblick der kampfbereiten Gefährten zwar der Elan ein wenig abhanden gekommen, jedoch schienen sie immer noch genug Alkohol verkonsumiert zu haben, um sich zumindest verbal mit ihnen anzulegen. Der Anführer, der eine Flasche in der Hand hielt und Schwierigkeiten hatte, sich auf den Beinen zu halten, ergriff das Wort. Anscheinend kannte er Jo.

"Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dich hier nicht mehr sehen lassen, Penner", drohte er mit schwerer Zunge und fuchtelte mit seinem Gummischwert vor Jos Nase herum. Myrana musterte ihn. Ihrer Einschätzung nach, war er noch keine zwanzig Sommer alt, ein Jugendlicher also, aber die machten bekanntlich den meisten Ärger. Bekleidet war er ebenso wie seine fünf Begleiter im Piratenoutfit. Jeder trug irgendeine suspekte Waffe in der Hand oder am Gürtel und einige hatten sogar eine Klappe über dem Auge. Verwundert betrachtete sie Waffe des Anführers. Sie schien nicht sehr stabil zu sein. Das ergab keinen Sinn. Möglicherweise war es eine magische Waffe. Die Sehne ihres Bogens gewann noch ein wenig mehr an Spannkraft, als sie darüber nachdachte.

"Hörst du schlecht?", tönte der Anführer erneut, wobei seine feuerrote, mit Gel zu einem Kamm aufgetürmte Haarfrisur bei jedem Wort bedenklich hin und her wackelte. Das Gummischwert tänzelte immer noch vor Jos Gesicht. Doch bevor der zu einer Erwiderung ansetzen konnte, zog ihn eine kräftige Hand nach hinten und Gart baute sich mit seinem 1,50 Meter vor dem erheblich größeren Anführer auf.

"Verzieht euch", knurrte der Zwerg kurz angebunden. Hahnenkamm fiel beim Anblick des dreisten Winzlings der Kinnladen herunter.

"Sieh mal an, da ist ja einer von den sieben Zwergen, voll krass", brachte er lachend hervor und versuchte Gart am Bart zu ziehen, doch das hätte er lieber bleiben lassen sollen. Eine blitzschnelle Bewegung vermittelte ihm kurz den Eindruck einer rotierenden Axt, dann fiel etwas Rotes vor ihm auf den Boden.

"Wir sind achthundert Zwerge in Medara", klärte Gart Hahnenkamm kühl auf, der blaß geworden seinen Kopf betastete. Entsetzt stellte er fest, daß von seiner stolzen Frisur maximal noch drei Millimeter übrig geblieben waren. Das war zuviel. Während seine Freunde sich vor Lachen ausschütteten, sah Hahnenkamm nur noch rot. Mit einem Ruck hob er das Gummischwert, um es Gart um die Ohren zu hauen, als ihm selbiges plötzlich aus der Hand geprellt wurde. Das Sirren von Myranas Bogen klang ihm noch in den Ohren nach. Ein Blick auf seine Hand ließ ihm die verbleibenden Haare auch ohne Gel zu Berge stehen. Ein langer Riß, der jetzt heftig zu bluten und zu schmerzen anfing deutete darauf hin, daß man auf ihn geschossen hatte. Kreideweiß heftete sich sein Blick auf Myrana, die schon wieder einen neuen Pfeil eingelegt hatte. Die häßliche Widerhakenspitze zielte diesmal auf seinen Magen. Gleichzeitig registrierte er, daß ein wahrer Riese, der bisher im Schatten der Bäume gestanden hatte, jetzt in den Schein der Straßenlaterne trat und eine Keule von der Schulter nahm, deren Anblick ihn schlucken ließ. Plötzlich fiel ihm das Buch ein, das er zuletzt gelesen hatte, "Attic", von Preston und Child, in dem einige blutrünstige Monster, unter anderem im Centralpark, ihr Unwesen trieben. Anscheinend hatte er einen Tatsachenroman gelesen.

"Ihr seid ja wahnsinnig", krächzte er. Auch seinen Freunden war das Lachen inzwischen vergangen. In der Tat war der Anblick des wütenden Baumbatz nicht unbedingt eine Garantie für gute Partystimmung. Allein die Keule schien mehr zu wiegen als Hahnenkamm. Und dann waren da auch noch die anderen Verrückten, der bärtige Friseur und die weibliche Reinkarnation von Wilhem Tell. Rückzug schien angebracht zu sein. Wie auf ein Kommando drehten sich die fünf um und rannten in olympiareifen Tempo die 5th Avenue hinunter. Meister Reno vi´Eren sah ihnen kopfschüttelnd nach, dann dreht er sich wieder zu Jo um.

"Also, wo geht’s jetzt zur Universität?"

Jo, der beim Anblick der panisch davon rennenden Piraten ein Grinsen nicht unterdrücken konnte, wedelte mit der Hand in die Richtung der Flüchtenden.

"Da lang, aber zu Fuß kommt ihr nie an. Ihr fallt zu sehr auf. Ihr braucht ein Taxi. Das bringt euch schneller als ich dort hin, wo ihr hin wollt", versuchte Jo, sie zu überzeugen. Wenn er Morgen nicht auf der Titelseite jeder Tageszeitung unter der Überschrift "Kennt jemand diesen Mann" erscheinen wollte, mußte er die Verrückten dringend loswerden.

"Vielleicht finden wir im Museum eins", ließ sich Wirdnix wieder vernehmen.

"Bestimmt keines, das noch fährt", seufzte Jo. "Taxis fahren auf der Straße herum und bringen einen mehr oder weniger schnell dahin, wo man hin will", erläuterte er den staunenden Gefährten. Gart nickte verstehend.

"Wie die Schnapper bei uns. Aber wo kriegen wir so ein Gefährt her?"

Jo zeigte demonstrativ mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf ein vorbeifahrendes gelbes Auto, während er sich an eine Automarke namens Schnapper zu erinnern versuchte.

"Allerdings ist es schwer, in New York ein leeres Taxi zu erwischen. Das kann eine ganz schön anstrengende Hetzjagd werden", wandte er vorsichtig ein.

"Ich bin eine gute Jägerin", sagte Myrana, obwohl sie sich alles andere als sicher war, wie sie mit einem Pfeil eines dieser seltsamen gelben Ungeheuer zur Strecke bringen sollte. Aber ein Versuch konnte ja nicht schaden. Ehe Jo etwas erwidern konnte, hatte die Elfin auch schon ein Taxi ins Visier genommen. Das Sirren der Bogensehne und das durchdringende Kreischen von Autoreifen signalisierte Jo, daß der Ärger jetzt erst richtig anfing.

"Nicht schlecht, du hast wirklich eins erwischt", lobte Gart.

"Habt ihr sie noch alle?", ertönte eine wütende Männerstimme, die zu einem stämmigen Fahrer mit Schirmmütze gehörte, der inzwischen aus dem Taxi gestürmt war und fassungslos den gefiederten Pfeil betrachtete, der in seinem Kotflügel steckte. Er vibrierte noch leicht. Der Fahrer war es ja gewöhnt, daß die New Yorker im täglichen Kampf ums Taxi durchaus rabiat werden konnten, aber das hier ging eindeutig zu weit. Sein Ford hatte noch keine tausend Meilen auf dem Tacho. Hinter ihm begannen die Autofahrer, ungeduldig zu hupen. Wütend rannte er auf Myrana zu, die immer noch mit dem Bogen in der Hand am Straßenrand stand, um ihr unmißverständlich mitzuteilen, was er von dieser Art des Anhaltens hielt. Leider hatte er in seiner Aufregung Baumbatz übersehen, der den Heranstürmenden mit seiner Keule bekannt machte. Mit einem entrückten Grinsen verabschiedete er sich in den Feierabend.

"Mach nur weiter so", kommentierte Gart, mit einem Blick auf den bewußtlosen Taxifahrer, die Reaktion des Trolls, der besorgt seine Keule musterte. Zu seiner Freude war sie unbeschädigt, was man von dem Taxifahrer nicht behaupten konnte. Aufmerksam beobachtete Gart die Fahrbahn, doch anscheinend war niemand daran interessiert, dem bewußtlosen Taxifahrer zu Hilfe zu eilen. Außer einigen Hupfanfaren, unflätigen Kommentaren und seltsam ausgestreckten Mittelfingern – vermutlich eine Art von Gruß, den Wirdnix sogleich ausgiebig erwiderte – konnte Gart keine Reaktion verzeichnen, die Anlaß zur Besorgnis lieferte.

"Das scheint hier niemanden zu interessieren", staunte der Zwerg. Jo sah ihn mitleidig an.

"Wir sind hier in New York", sagte er nachsichtig, als würde das alles erklären. "Du kannst die Axt wieder einstecken."

Während Gart seine Waffe auf dem Rücken verstaute, betrachtete Wirdnix neugierig ihre Beute, die so einladend mitten auf der Straße stand. Das Museum hatte er schon wieder vergessen.

"Ein Taxi hätten wir jedenfalls", bemerkte er und folgte Myrana, die sich entschlossen dem seltsamen Gefährt näherte.

"Nur keinen Fahrer mehr", murmelte Jo, der in Gedanken die bisher verwirklichten Tatbestände durchging. Das sah gar nicht gut aus. Baumbatz hatte sich inzwischen den Taxifahrer über die Schulter geworfen und Meister Reno vi´Eren entschied, daß es nun an der Zeit sei, das Taxi auch zu nutzen.

"Wie bringt uns das Taxi nun zur Universität?", wollte er von dem unglücklichen Jo wissen.

"Gar nicht, ihr habt den Fahrer erledigt."

"Den Fahrer?"

Jo wies auf den selig vor sich hin lächelnden Taxifahrer, der über Baumbatzs Schulter hing. Die Mütze saß ungewohnt fest auf seinem Kopf.

"Den Lenker des Fahrzeugs, den Beherrscher dieses gelben Gefährts", half er aus, als er die ratlosen Gesichter der Gefährten registrierte. Wo kam dieser seltsame Haufen bloß her? Gart nickte verstehend.

"Kein Problem, ich habe sogar schon auf dem Verborgenen Kontinent einen Wagen gelenkt", verkündete der Zwerg stolz. Jo sah ihn schräg an.

"Du hast einen Führerschein?", fragte er ungläubig.

"Schon seit dem ich die erste Lore in Medara geschoben habe", behauptete Gart dreist, der nicht zugeben wollte, daß er nicht die leiseste Ahnung hatte, was ein Führerschein war.

"Kommt ihr jetzt endlich", ertönte in diesem Moment Myranas ungehaltene Stimme, die es inzwischen aufgegeben hatte, den Pfeil aus dem Blech des Fords zu ziehen.

"Gehen wir", sagte Meister Reno vi´Eren, worauf sich die Gruppe mit Jo im Schlepptau auf den Weg machte.

Wirdnix hatte sich inzwischen durch die immer noch offen stehende Fahrertür hinter das Lenkrad gesetzt. Beunruhigt hatte er zwar registriert, daß das seltsame Gefährt ein leises Brummen von sich gab, doch Wirdnix Neugier hatte mögliche Bedenken einfach verdrängt. Staunend betrachtete er nun die diversen Knöpfe und Schalter. Irgend wozu mußten sie ja gut sein. Vorsichtig betätigte er einen roten, leuchtenden Schalter in der Mittelkonsole.

"Wagen einundfünfzig ich höre, was liegt an?", ertönte sofort eine blecherne Frauenstimme.

"Es lebt!", entfuhr es dem Gnom entsetzt. Sofort wollte er aus diesem unheimlichen Gefährt entfliehen, doch in diesem Moment warf ein vorbeifahrender Motorradfahrer die offene Tür zu. "Idiot", war das letzte, was Wirdnix noch hörte, bevor die Tür mit einem dumpfen Geräusch ins Schloß fiel.

"Hey Garry, hast du irgendwelche Probleme? Soll ich Hilfe schicken?", erklang erneut die gräßlich verzerrte Frauenstimme.

"Auf keinen Fall", brüllte Wirdnix ängstlich, dem inzwischen der unangenehme Gedanke gekommen war, daß in dem sprechenden Kasten möglicherweise ein paar Dämonen beheimatet waren, und die wollte er nun wirklich nicht kennenlernen. Myrana war inzwischen auch aufgefallen, daß mit Wirdnix etwas nicht stimmte. Sein plattgedrücktes Gesicht an der Scheibe sprach Bände. Zu allem Überfluß betätigte er in seiner Panik auch noch den Powerschalter von Garrys ganzem Stolz, einer 1.000 Watt starken Hifi-Anlage, die sofort in vollendeter Klangqualität und unter Ausnutzung aller Leistungsrecourcen dem armen Wirdnix eindrucksvoll demonstrierte, welche Musikrichtung Garry bevorzugte.

"I’m on the highway to hell", verkündete ACDC dem leidgeplagten Gnom, der daran keinen Zweifel hatte.

"Guter Sound", bemerkte Meister Reno vi´Eren, der überrascht stehengeblieben war. Selbst hier draußen lieferte die Anlage einen überzeugenden Beweis für ihre Leistungskapazität.

"Er vergnügt sich, und wir haben die Arbeit", knurrte Gart.

"Irgendwie sieht er gar nicht vergnügt aus", wandte Myrana vorwurfsvoll ein. "Wir sollten ihn da raus holen."

Gart griff daraufhin nach seiner Axt, doch Jo fiel ihm in den Arm.

"Ihr müßt doch nur die Tür öffnen", rief er kopfschüttelnd und ging zur Tür hinüber, doch der Türgriff reagierte nicht auf seine Bemühungen.

"Zentralverriegelung", brüllte er den Gefährten über den Lärm hinweg zu und zuckte hilflos mit den Achseln. "Er hat den Knopf betätigt."

Derweilen genoß Wirdnix einige höchst ausgefallene Gitarrenriffs. Leider fehlte ihm die Muße, diese ausgiebig zu würdigen.

"Zaubert ein Ende herbei oder ich erledige das auf meine Art", forderte Myrana den Zauberer auf, während sie ihr Schwert zog und schon einmal probeweise den linken Außenspiegel sauber von der Tür trennte. Garry konnte froh sein, daß er das nicht mitbekam.

"Ich darf in dieser Welt nicht zaubern, das könnte fatale Auswirkungen haben", erklärte Meister Reno vi´Eren bedauernd.

"Schlimmer als das kann es ja wohl nicht werden", bemerkte Gart und wies auf den Wagen, in dem der arme Wirdnix auf dem Fahrersitz hektisch hin und her sprang. Inzwischen war seine Hemdsärmel an dem Schalthebel des automatischen Getriebes hängengeblieben. Wütend zerrte er an dem ledernen Knauf während er zugleich mit den Füßen auf die Pedale eintrat – mit überraschender Wirkung.

"Es kann", kommentierte Baumbatz trocken den Anblick des langsam davon rollenden Wagens, der in Schlangenlinien im Feierabendverkehr verschwand.

"Ich schätze, ihr braucht ein neues Taxi", sagte Jo lässig.

 Wird fortgesetzt.....

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.05.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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