Erinnerungen
Zweifellos hat ein jeder in seinem Leben schon ein- oder mehrere Erlebnisse gehabt welche sich lohnten nicht vergessen zu werden. Mit der Erinnerung an eine Romanze aus meiner Jugendzeit will ich den Wert meiner damaligen Gefühle im folgenden Aufsatz zum Ausdruck bringen.
Von unseren Schuloberen in die entferntesten Winkel des Oderbruchs geordert, hatten wir zum wiederholten Mal das Vergnügen via "sozialistische Hilfe" unseren Genossenschaftsbau-
ern vierzehn Tage lang unter die Arme zu greifen. Nicht ohne Grund freuten wir uns dennoch über die willkommene Abwechslung. Wir, das heißt neun männliche Jugendliche im Alter zwischen siebzehn und achtzehn Jahren. Geeint in der Erkenntnis, die Endphase des pubertären Stadiums überstanden zu haben, fühlten wir uns gewappnet unsere nunmehr gereifte Persönlichkeit in den Dienst der Dinge zu stellen.
Es war also wieder so weit.
Vom Bummelzug in das "Oderbrucher Kartoffelland" befördert, stiegen wir nach knapp zweistündiger Fahrt an unserem Bestimmungsort aus.
Die an Ketten gehängte, von einer leichten Brise in Schwingungen versetzte Ortsbezeichnung, vermittelte uns die Illusion in einer Phantasiewelt gelandet zu sein. Ähnlich wie in den Geisterstädten mancher Westernfilme, in denen windbewegte Türen in ihren Angel knarren, wurde die Friedhofsruhe unseres Ankunftsortes nur durch das quitschende Geräusch des im Luftzug pendelnden Stationsschildes unterbrochen.
In solchen Situationen ist Humor angesagt. Und wer wollte uns die während der Fahrt erworbene, ein wenig von "Feuerwasser" beflügelte Laune, nehmen? Selbst dieses trostlose Nest hatte keine Chance.
So standen wir also munter schwatzend vor dem Bahnhof und warteten darauf abgeholt zu werden.
Zu unserer Erntegruppe gehörend und der Pubertät ebenfalls deutlich entwachsen zählten elf fast ausnahmslos wohlgeformte Mädchen, die wir aus Gründen des zeitverschobenen Unterrichts noch nicht kannten. Auch aus dieser Sicht schien für Kurzweil gesorgt.
Damit der Einsatz seinen sinnvollen Zweck erfüllt, wurden die Diplomgewerbelehrer Anton Macke, von uns Toni genannt, und Eduard Poller, als Garanten des Erfolges verpflichtet. Ihnen war der Auftrag zuteil uns bei der erntehelfenden Arbeit im Auge zu behalten.
Unser "Abholbeauftragter" schien mit einem hartnäckigen Defekt an seinem Fahrzeug zu kämpfen. Dreißig Minuten über die verabredete Zeit!
"Schmeiß doch mal den Riemen auf die Orgel", dröhnte mir Jörgs Stimme ins Ohr, wobei mir der dezente Hauch seines leicht alkoholisierten Atems in die Nase wehte. Jörg arbeitete gleich stark an der Vervollkommnung seiner Bassstimme wie auch an der Erreichung einer gewissen Trinkfestigkeit.
Wie immer zu Anlässen wie diesen hatte ich mein Akkordeon dabei. Auch die gängigsten Schlager hatte ich drauf, doch hier musste eine Lunte gezündet werden. Langsam intonierte ich das alte Weihnachtslied "Oh du Fröhliche"...
Kichernd rückte die Mädchengruppe näher. Auch Walter Röbke war plötzlich an meiner Seite. Walter hatte den Hang selbst das leiseste Anklingen von Musik mit mehr oder weniger rhythmischen Klopfzeichen zu begleiten. Diesmal hatte er sich sein bauchige Feldflasche als Klangkörper erkoren, auf der er mit seinem Fahrtenmesser einen unmöglich Rhythmus hackte. Mit etwas feinerem Gehör erkannte man am Klang der Flasche, dass sie zur Hälfte ihres Inhaltes beraubt war und Walters leicht glasige Augen verrieten, dass er sich besagten Inhalt in den Schlund geschüttet hatte.
Während einige Mädchen begannen leise meine Weihnachtslieder mitzusingen, hörten wir aus der Ferne das näherkommende Geräusch eines Treckers.
Auf ging`s, wir wurden abgeholt.
Zwanzig "Erntestützen" und zwei Lehrer auf dem Weg zur Hilfe! Und wie immer befördert auf der kümmerlichen Ladefläche eines traktorgezogenen Anhängers. Während uns tiefe Schlaglöcher abwechselnd eruptionsartig in die Höhe schnellen, dann wieder jäh auf dem "Allerwertesten" landen ließen, während unter Johlen und Schreien unsere muntere Fuhre ihrem Ziel zustrebte, da sah ich "SIE".
Ihr dunkelbraunes, schulterlang gelocktes Haar, das im Widerschein der Sonne in einem fluoreszierenden Licht schimmerte, ihre schwarzen Augen, aus denen der Übermut des Augenblicks lachte, die kleine, kecke Nase, vollendet in ihrer Symmetrie , ja und ihr süßer Mund, in denen die schneeweißen Zähne ihr muntere Lachen effektvoll unterstrichen. Alles an ihr erschien mir "überirdisch". Der sonst so gleichmäßige Schlag meines Herzens war von einem Augenblick zum anderen in eine wilde Gangart gewechselt.
Ist es das...? beginnt es so...? Immer wieder musste ich zu ihr sehen.
Während ich mich weltentrückt meinen schwärmerischen Betrachtungen hingab, schreckte mich "Pimpis" Fistelstimme aus meinen Träumen. Pimpi, eigentlich Dieter Porner , war der einzige von uns Jungen der es "nicht geschafft" hatte. Irgendwann hatte sein Körper es abgelehnt sich weiter zu entwickeln. Für alle gleich war er das Neutrum der Truppe.
Pimpis Stimmchen also war es das mich in die Wirklichkeit zurückrief. "Quappendorf, hi hi, Peter, Quappendorf", fistelte Pimpi und stieß mich mit dem Ellenbogen in die Rippen.
Tatsächlich, das Kaff hieß Quappendorf.
Schon im Zug gingen die Wetten was zuerst käme, die Dorfkneipe oder der Konsumladen. Mit diesen beiden Einrichtungen galt für die Bewohner dieser kleinen Dörfer die Betreuung von staatlicher Seite als "abgewickelt".
Dem erneut an seinem Defekt laborierenden Trecker war nicht mehr beizukommen. Wenige Meter hinter dem Dorfeingangsschild verröchelte das alte Gefährt in einer stinkenden Abgaswolke. Also absitzen und den restlichen Weg "per pedes". "Mädchen in die Schule, Jungen ins Gemeindehaus", präzisierte uns der dicke Treckerpilot die Lage. "Um sieben Abendbrot im Gemeindehaus", wehte uns im Weggehen seine letzte Information nach. Wenige Minuten später erreichten wir die Dorfschule. Vierzehn tage lang das Domizil unserer Mädels. Mit den Mädchen verschluckte der rote Backsteinbau auch Lehrer Toni. Als Betreuer und "Tugendwächter" war ihm das Glück vergönnt den weiblichen Part unseres Ernteteams unter Kontrolle zu halten.
Nahe der Schule das Gemeindehaus. Sitz des "Dorfschulzen" wie auch des LPG-Vorsitzenden (LPG-Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) und unsere Unterkunft. Ein größerer Raum im Erdgeschoss. Strohsäcke mit je zwei Schlafdecken, fünf im "Design" unterschiedliche Schränke sowie ein Tisch mit vier Stühlen, bildete das Ensemble unserer spartanischen Einrichtung.
Noch eine Stunde bis zum Abendessen. Zeit genug die nähere Umgebung in Augenschein zu nehmen. Unserem Erkundungsdrang jedoch waren Grenzen gesetzt. Alles wie gehabt. Dorfkneipe, Dorfkonsum, Ödland.
Den Quartieren der Mädchen gedachten wir erst am nächsten Tag einen Besuch abzustatten. Doch das sollte schon jemand getan haben. Wer? Unser Pimpi. Frei von jeder Art von Bedenken hatte er sich, unbelastet von seiner vorpubertären Entwicklung, als erster von uns Jungen bei den Mädel umgesehen.
Eilig kam er auf mich zu. "Ich soll dir einen schönen Gruß von Karin bestellen."
E l f M ä d c h e n !
"Welche ist es Pimpi, die hübsche, die mit den dunklen, lockigen Haaren bis auf die Schultern und mit den schwarzen Augen und mit der niedlichen Nase?"
Verstört sah mich Pimpi an. "Ja, ja Die." Er war eben ein Neutrum! Sie hatte mich also bemerkt!, ja mehr noch, sie ließ mich grüßen!
Pünktlich um sieben drängte die aufgekratzt plappernd Mädchenschar in den Speiseraum. Wird SIE sich zu mir setzen? Sie tat es! "Hallo Peter" Mit einer anmutigen Geste setzte sie sich mir gegenüber an den Tisch. Nicht die Spur von Befangenheit. Sie lächelte mich an! Meine Adrenalinproduktion lief auf Hochtouren. War ich es nicht immer, der sonst in ähnlichen Situationen über den Dingen stand?
"Hallo Karin, Pimpi hat mir deinen Gruß bestellt, hat mich irre happy gemacht..." Karin kicherte. "Wir unterhalten uns nach dem Abendessen, Peter, hier am Tisch, na ja, siehst ja." Trotz des prallen Lebens um uns hatten wir das Gefühl, dass uns die neugierigen Blicke der gesamten Blase belauerten.
Karin und mir war es gelungen uns von den anderen etwas abzusondern. "Du hast mir gleich gefallen, Peter." Sie sagte es leise, und doch klangen ihre Worte wie Fanfarenstöße in meinen Ohren. Es war unser erster Tag, unser erster Abend. Wie gern wäre ich mit ihr allein gewesen.
Doch unsere Stunde sollte kommen!
Nun schon der dritte Tag im Kartoffelland. Und es war am Abend dieses Tages. Unsere Mädchen hatten sich schon vor einiger Zeit verabschiedet und auch wir waren im Begriff unsere Strohlager aufzusuchen, als Poller aufgeregt in unseren Raum stürzte. "Alle mitkommen, es gibt Ärger." Seinen konfusen Erklärungen konnten wir folgende entnehmen:
Wie es schien hatten "Späher" einer in der Nähe stationierten Einheit der "Nationalen Volksarmee" unsere auf dem Feldern tätigen Maiden geortet. Ein triftiger Grund der Schule in Quappendorf beim nächsten Ausgang einer gründliche Besichtigung zu unterziehen. Einige der "Landsknechte" sollten sich sogar schon im angetrunkenen Zustand um die Gunst unserer Mädels geprügelt haben.
Die Lage konnte also zu einer brisanten Entwicklung führen. Dennoch, endlich war etwas los! Kampfentschlossen stürmten wir neben dem schnaufenden Poller in Richtung Schule, bereit die Ehre unserer Mädels bis "auf´s Messer" zu verteidigen.
Schon hörten wir die Stimmen der Mädchen, die aufgeregt vor dem Schulhaus die Ereignisse des Abends diskutierten. Im schwachen Licht der Eingangsbeleuchtung erkannten wir Toni und den scheinbar ranghöchsten "Mädchenschänder", beide in Eintracht und mit einer Flasche Bier in den Händen. War wohl doch alles mehr ein "Sturm im Wasserglas."
Inzwischen war es stockdunkel geworden. Während ich versuchte herauszubekommen hinter welcher der schemenhaften Gestalten sich Karin verbirgt, spürte ich wie sich eine warme, kleine Hand in die meine legte.
Unbemerkt zogen wir uns zurück, unsichtbar und verschluckt von der alles überdeckenden Dunkelheit der Nacht.
Zum ersten Mal standen wir uns völlig allein gegenüber und wir fühlten unsere Nähe mehr als dass wir uns sahen. Ich zog Karin in meine Arme und sie schmiegte ihren schlanken Körper eng an mich. Deutlich ließ sie mich in ihrer Hingabe, ihrem Verlangen nachkörperlicher Nähe spüren, wie sehr sie mich mochte. Immer wieder fanden sich unsere Lippen in nicht enden wollenden Küssen.
All meine Wünsche, die Zuneigung dieses bezaubernde Mädchen zu gewinnen, wurden an diesem Abend zu einer beglückenden Wahrheit
Wir hatten die Sprache der Liebe erlernt, eine Sprache ohne Worte.
Die Zeit dieser Ereignisse liegt nun mehr als fünfzig Jahre zurück, doch gehört sie zu den nachhaltigsten Erinnerungen meiner Jugendjahre.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Peter Goß).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.05.2014.
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