Am Nachmittag wachte der verwundete Mann aus seiner Ohnmacht auf und sah um sich. Er war allein unter einem Felsüberhang. Den schattigen Platz schien er mit anderen Menschen zu teilen, denn er erkannte zum Trocknen aufgehängte Felle kleinerer Tiere und einen geflochtenen Korb mit Deckel. Neben sich fand er einen Lederbeutel, in dem er Wasser vermutete.
Er erinnerte sich schemenhaft, dass ein Junge ihm etwas zu trinken gegeben hatte – draußen, vor dem Felsendach.
Als er zum Wasserbeutel greifen wollte, schrie er vor Schmerz auf. Sein Arm!
Er erinnerte sich, dass ein Gepard ihn angegriffen hatte und dass er durch einen See von Schmerz durch die Savanne gekrochen war, immer die Berge im Auge.
Wie aber kam er in diese kleine Höhle?
Vorsichtig streckte er seine unverletzte Hand aus und zog den Lederbeutel näher an sich heran.
Er hörte leises Flüstern und die Geräusche von Schritten. Da kamen sie um die Ecke: ein fast erwachsener Junge und ein jüngeres Mädchen, eigentlich noch ein Kind. Sie hatten einen grob geflochtenen Korb bei sich, den sie am Eingang absetzten.
Vorsichtig näherten sich die beiden dem liegenden Mann. Das Mädchen hockte sich neben ihn und berührte seinen verwundeten Arm. Er zuckte vor Schmerz zusammen und blinzelte misstrauisch den Jungen an. Der machte ein Zeichen mit beiden Händen, das er verstand: die offenen Handflächen des Jungen versprachen Frieden.
Das Mädchen wickelte vorsichtig die Ranken und das Fell von der Wunde. Erst jetzt merkte der Mann, dass sein Arm verbunden gewesen war. Mit zusammen gebissenen Zähnen ertrug er, dass auch die Lage aus Pflanzen vorsichtig entfernt wurde. Die Blutung war gestillt, aber der Riss sah schrecklich aus.
Das Mädchen wandte sich an den jungen Mann und fragte etwas in einer Sprache, die er als Fremder nicht verstand. Der Junge nickte. Daraufhin legte das Mädchen neue grüne Pflanzen auf die Wunde und verband sie mit dem Kaninchenfell und den Ranken. Dann hielt sie ihm den Wasserschlauch an die Lippen.
Inzwischen hatte der Junge den Korb ausgepackt und seinen Inhalt auf einer geflochtenen Matte ausgebreitet: vier Eidechsen, ein Schlangenei, zwei nicht zu kleine Vögel und ein paar verschrumpelte Knollen.
Der Verletzte spürte Hunger und sah sehnsüchtig auf den Inhalt des Korbes.
Unvermittelt wandte sich der Junge ihm zu, zeigte auf seine Brust und sagte „RUK“.
Das Mädchen sah auf, machte dieselbe Geste und sprach langsam „NA-LI“.
Dann deutete Ruk auf die Brust des Fremden. Der legte seine gesunde Hand auf sein Herz und stieß das Wort „HORU“ hervor.
Der erste Kontakt war erfolgreich und friedlich.
Nali zeigte nun auf Horus Bauch. Der nickte. Nali nahm eine Knolle, einen flachen und einen rundlichen Stein. Sie zerquetschte die Knolle legte eine Eidechse dazu, zerstieß sie ebenfalls und öffnete das Ei der Schlange darüber. Sie verrührte alles mit etwas Wasser zu einem Brei. Ruk flößte Horu mit einem kleineren flachen Stein den Brei ein.
Horu lächelte dankbar und griff nach Ruks Hand.
Danach erst aßen Ruk und Nali einen Teil der gesammelten Nahrung. Den anderen legten sie zum Trocknen in die Sonne.
Horu schöpfte Hoffnung. Die beiden Kinder hatten eine längere Zeit hier überlebt, wenn er die Zeichen gut gedeutet hatte, die ihm die kleine Höhle offenbarte. Es gab Wasser und grüne Pflanzen, Tiere zum Jagen. Bald würde die Regenzeit kommen und die Savanne zu neuem Leben erwecken…wenn er bis dahin am Leben blieb. Sein Arm schmerzte trotz der kühlenden Pflanzen unerträglich. Es war nicht sicher, ob er heilen würde. Offenbar verstanden die Kinder ebenso wenig von der Heilkunst wie er selbst.
© I. Beddies
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.05.2014.
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