Schlieren von Abendwolken verleihen dem roten Feuerball am Horizont etwas mystisches. Die Maschine in 10.000 Metern Höhe ist gegen das immer noch gleißende Licht nur als ein schwarzer Schatten auszumachen. Sie zieht weiße Kondensstreifen hinter sich her, die sich aber schon sehr bald mit den Wolkenfetzen der Abendstimmung vermischen. Dann mit einem Male ist das Flugzeug verschwunden.
Es war einfach weg, berichtete ein aufgeregter älterer Herr. Ungläubig tippt ein Beamter auf der Polizeiwache das Gehörte in ein Formular. Das Flugzeug war also einfach weg, sagen Sie, wiederholte er. Der ältere Herr gab keine Antwort und nickte nur. Bedächtig griff der Beamte zum Telefon und wählte die Nummer der Direktion. Staunend vernahm er, dass bereits mehrere Meldungen zu diesem mysteriösen Vorgang vorlägen. Mittlerweile wisse man sogar schon, um welchen Flug es sich handle.
Am Flugplatz herrschte hektische Aufregung. Eine Maschine soll plötzlich dem Blick aufmerksamer Menschen entschwunden sein. So jedenfalls lautete die Anfrage der Polizeidirektion, bei der zahlreiche solcher Hinweise eingegangen waren. Uhrzeit und Richtung stimmten überein mit der Flugnummer einer ausländischen Fluggesellschaft. Ominös war, dass weder die deutsche Flugsicherung noch Eurocontrol bestätigen konnten, was so viele Menschen glaubten, gesehen zu haben.
Noch wirrer wurde die Situation, als sich ein junger Mann meldete, der vorgab, er habe den Sonnenuntergang gefilmt und dabei beobachtet, wie plötzlich ein Flugzeug, das er die ganze Zeit im Sucher der Kamera gehabt habe, verschwunden sei. Zum Beweis zeigte er den aufgenommenen Film. Schauen Sie, sagte er, hier ist die Maschine noch zu sehen, und hier, sehen Sie nur, bemerkte er völlig außer sich, hier, nur noch die Kondensstreifen, aber keine Spur des Flugzeugs.
Kann man denn den Piloten nicht per Funk erreichen?, fragte ein Beamter der Flughafenpolizei. Natürlich. Haben wir sofort versucht, aber… leider…, wir haben keine Verbindung!, stotterte ein Verantwortlicher der Flugsicherung. Dem aufmerksamen Reporter einer Tageszeitung war dieser Wortwechsel nicht entgangen und so berichtete er über sein Handy an die Redaktion: Mysteriöse Ereignisse im Flugverkehr. Flug Lima 1214 auf dem Weg nach Toronto vom Himmel verschwunden, Flugsicherung vor einem Rätsel!
Dieser Kommentar würde ganz sicher bereits spät in der Nacht eines der Boulevardblätter zieren. Die Morgenausgaben bekam man immer schon gegen Mitternacht. Aber der Kommentar würde leider, wie so oft bei manchen Zeitungen, nicht den wahren Sachverhalt wiedergeben. Die Flugsicherung stand keinesfalls vor einem Rätsel, denn ganz deutlich sahen die Fluglotsen Lima 1214 vor sich auf dem Schirm. Der Sprechfunk ist abgerissen! Mit dieser unglaublichen Nachricht stürmte dann plötzlich ein Bote in das streng abgeschirmte Kontrollzentrum.
Auch dieses konnte der verantwortliche Fluglotse nicht bestätigen. Unsinn, sagte er, hier, der Kapitän ist doch in der Leitung. Und wie zur Bestätigung war just in diesem Moment die Stimme des Kapitäns über den Lautsprecher zu vernehmen, auf den der Lotse das Gespräch gelegt hatte. Aber …, stammelte der Bote, ich weiß nicht …, irgend jemand hat das doch gerade noch behauptet!
Indessen waren am Flugplatz die ersten Fluggäste aufmerksam geworden. Das hektische hin und her am Schalter von Lima- Airlines und dubiose Gerüchte, die den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hatten, bescherten ein Sammelsurium an Spekulationen. Und über allem schwebte die drängende, wie gleichzeitig von der Fluggesellschaft ungeliebte Frage, was denn nun mit Flug Lima 1214 wirklich geschehen sei.
Kopfschüttelnd hatte der ältere Herr die Polizeiwache inzwischen wieder verlassen. Die Beamten waren zusehend nervöser geworden und um ihn kümmerte sich eigentlich keiner mehr. Das behagte ihm ganz offensichtlich nicht sonderlich, also beschloss er, zu gehen. So gab es zu dem Vorgang auch kein Protokoll, das er unterschrieben hätte. Ein fundamentaler Fehler, wie sich später herausstellte. Der ältere Herr wäre nämlich der einzige gewesen, der den Vorgang tatsächlich angezeigt und zu Protokoll gegeben hätte. Alle anderen Beobachtungen waren nur telefonisch eingegangen. Mit einer Ausnahme: Der junge Mann, der den Sonnenuntergang gefilmt hatte. Aber auch er und damit der Film, das Beweisstück, war aus den Augen der Behörden entschwunden.
Ja kreizkruzifix, fluchte der Chef der Polizeidirektion, bin i denn nur von lauter Deppen umgeben? Was ist denn jetzt mit dem scheiß Flieger? Niemand konnte eine vernünftige Erklärung finden für das schier Unvorstellbare. Ein Flugzeug verschwindet, von dem die Flugsicherung allerdings behauptete, es fliege seinen gewohnten Weg.
Der ältere Herr war in ein Taxi gestiegen und nach Hause gefahren. Dort erwartete ihn schon sein Neffe, ein pfiffiger Bursche, der es verstand, mit nur einem Handy beste Videos herzustellen. Ich hab’ dir’s gesagt, meinte der Neffe, die glauben uns alles. Du musst es nur richtig verpacken und das haben wir wirklich gut gemacht. Der ältere Herr sagte lächelnd: Bin schon gespannt, was die Zeitungen darüber schreiben.
Am Morgen goss sich dann die ganze Häme über die Verantwortlichen aus. Noch in der Nacht lag ein Umschlag im Briefkasten eines Lokalblattes. Lima 1214, Grüße aus Toronto!, prangte die fette Überschrift auf deren Titelseite und der erstaunte Leser erfuhr die ganze Wahrheit der Tragödie, die keine war.
Unbekannte narren Polizei und Flughafenpersonal!, der Text des Blattes. Ein Film beweise nichts!, das sei die Botschaft, war zu lesen. Die Menschen sollten gefälligst nicht alles glauben, was ihnen aufgetischt werde, hiess es weiter. Zum Beweis war detailliert beschrieben, wie einfach es im Grunde gewesen sei, Flug Lima 1214 auf dem Video verschwinden zu lassen. Genauso simpel hätte man ein Szenario hinzufügen können, so das nächtliche Bekenntnis.
Am Abend saßen der ältere Herr und sein Neffe beisammen und ließen Revue passieren, was sie angezettelt hatten. Du hattest recht, sagte der ältere Herr, ein fingierter Film und ein paar Telefonate, aber glaube mir, schon morgen werden sie wieder gerne alles genau so fressen, wie es ihnen vor die Nase gesetzt wird. Der Neffe schaute ungläubig auf den Onkel. Du wirst es sehen, sagte dieser. Es ist so bequem, den eigenen Verstand auszuschalten und zu glauben, was man vorgesetzt bekommt. Nachdenklich ging der Neffe nach Hause und gelobte, seine Sinne zu schärfen. Er wollte aus dem Experiment, wie der Onkel und er es nannten, etwas lernen, und wenn er der einzige wäre.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.05.2014.
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