Peter Spiegelbauer

Was wäre wenn

Der Tanz geht dem Ende zu. Sogar durch den Regen kann ich die verklingenden Töne des Orchesters noch hören. An diesem wunderschönen Abend. Wir applaudierten den Frauen und Männern mit ihren Instrumenten. Die Einladung zu diesem Ball erhielt ich zwei Wochen zuvor von einem engen Freund. Er meinte mit seiner Frau nicht hingehen zu können, da sie zu der Zeit gerade bei ihrem Sohn in Vancouver wären, und den Termin somit nicht wahrnemen könnten. Ich freute mich darauf, die Einladungen zu „übernehmen“. Zwar fielen mir sofort einige Bekanntschaften ein, die mich mit heller Freude zu diesem Ereignis begleitet hätten.

Allerdings gab es da noch „die Nette“, wie sie von ihren wenigen Freunden oft genannt wurde. „Die Nette“ war ein durchschnittliches Mädchen, die sich eher um ihren Beruf und ihre Mutter als um sich selbst kümmerte. Typisches Helfersyndrom bei manisch-depressiven Menschen. Warum ich das weiß? Nun ich hatte selbst lange Zeit unter diesen Symptomen gelitten. Bei einer Gruppentherapie lernten wir uns kennen, und freundeten uns an. Zugegeben hatte ich ein sehr bizarr wirkendes Privatleben. Unzählige Frauengeschichten auf der einen und wenig Freunde auf der anderen Seite. Eine nicht unwesentliche Gemeinsamkeit zwischen mir und der Netten, die schlussendlich auch zu meinem Freundeskreis zählte. Wir redeten viel über unsere Zustände und Phasen, die wir gerade durchliefen. Machten uns sogar eine Art Spiel daraus. Der eine zeigte ein Verhaltensmuster, und der andere musste erraten welche Phase es war. Ziemlich unterhaltsam, wenn man sich mit psychologischen Skripten auskennt, und noch davon selbst betroffen war, was in diesem Fall auf uns beide zutraf. Für mich blieb sie nichts destotrotz meine beste Freundin. Sie deutete zwar an, sich mehr zwischen uns zu wünschen, doch ich fasste es oft als Teil des Spiels auf.

Doch an diesem Abend, als wir beim Ball miteinander tanzten, lachten, uns mit einem Glas Sekt den Abendhimmel ansahen, da glaubte ich zu spüren, das sie es ernst meinte. Ohne davon gesprochen zu haben. Einfach die Art wie sie mich an diesem Abend begleitete, ließ mich das erahnen. Nur an diesem Abend war jedoch nicht nur ihr Gefühl für mich deutlich zu spüren, auch sie selbst hatte sich für diesen Abend richtig schön gemacht. Es lag in keiner ihrer Bewegungen Unsicherheit oder Unbeholfenheit. Nur Anmut und Grazie, wann immer sie sich bewegte. Es machte mich stolz mit so jemandem befreundet zu sein.

Als ich sie mit dem Taxi nach Hause geleitet, und ich kurz ausstieg um sie, so wie sonst auch, noch einmal zu umarmen, hauchte sie mir ein „Danke für alles“ ins Ohr, und ich spürte eine heiße Träne auf ihrer Wange entlangrollen. Danach haben wir uns eine Woche lang nicht gehört oder gesehen. Nicht ungewöhnlich für Menschen mit Depressionen, die sich gerne von der Aussenwelt abschotten, einfach so. Mir war es nur recht, denn so hatte ich Zeit meine Studien zum Thema Architektur und Malerei der Antike voranzutreiben. So fiel es mir gar nicht auf, dass schon so viel Zeit verstrichen war als ich, mich schließlich vor ihrem Grab wiederfand. Selbst heute, an diesem Regentag, der diesen unsagbar traurigen Autounfall zum fünften Mal jährt.

Im Polizeibericht stand, dass die Lenkerin weder durch Lenken noch durch Bremsen versucht hatte, den Aufprall auf dem Betonpfeiler zu verhindern. Trotzdem sprach man aus Mitleid mit ihren Angehörigen immer von einem Unfall. Selbst heute frage ich mich, ob ich auch dann hier stehen würde, wenn ich ihr etwas vorgespielt hätte, nur um ihr Leben zu retten. Ob es dann immer noch ein lebenswertes Gefühl für sie gewesen wäre, obwohl sie wusste, dass ich nicht mehr als Freundschaft für sie empfinde, und es somit nur eine Lüge gewesen wäre. Hätte sie es so gewollt? Schlussendlich bleibt mir da wohl nur die unnötigste aller Fragen zu stellen. Was wäre wenn....
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Peter Spiegelbauer).
Der Beitrag wurde von Peter Spiegelbauer auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.06.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Peter Spiegelbauer als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Die Fremde dämpft unseren Schrei von Garip Yildirim



Garip Yildirim ist ein Einwanderer der ersten Generation, der sein halbes Leben in Deutschland verbracht hat. Seine Gedichte leben aus den intensiven Bildern.
Während frühere Gedichte zum Teil auch sehr politisch waren, thematisiert dieser Band vor allem die Begegnung unterschiedlicher Personen und die Zerrissenheit eines Menschen zwischen den Kulturen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Drama" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Peter Spiegelbauer

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der Wandel von Peter Spiegelbauer (Abschied)
Keine hundert Jahre für Dornröschen! von Jürgen Berndt-Lüders (Drama)
Verloren von Miriam Bashabsheh (Liebesgeschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen