Iris Klinge

Hinter den Kulissen der Fußball WM

Brazuca ist während der Fußball WM das am häufigsten gebrauchte Wort in Brasilien.

Es bedeutet so etwas wie  „Emotion, Stolz, Herzlichkeit“. Eine Million brasilianische Fans wählten dieses Wort aus für den Ball, der eigens von Adidas für die WM entwickelt wurde. Andere Namen wie „Bossa Nova“ oder „Carnavalesca“ waren weniger erfolgreich.

Der grell bunte Ball ist extrem strapazierbar. Während stundenlanger Durchläufe in der Waschmaschine konnte er seine resistenten Eigenschaften unter Beweis stellen. Es dauert lange, bis er seinen Geist aufgibt und durch einen neuen ersetzt werden muss.

Das Gastgeberland ist derzeit zutiefst gespalten. Die Veranstalter der WM gaukeln der Welt ein Zerrbild von Fröhlichkeit im Samba-Rhythmus vor, das in keiner Weise der Realität der Mehrheit der Bevölkerung entspricht, die noch immer unter großer Armut leidet. Wie ein bekannter brasilianischer Künstler im Interview sagte, ist sein Land durch die Spiele  dabei, seine  Identität zu verlieren.
 
Dank der boomenden Wirtschaft Brasiliens konnten sich immerhin etwa 42  der insgesamt 200 Millionen Einwohner aus einer extremen Armut in eine gemäßigtere Armut hocharbeiten. Doch leider ist diese Bevölkerungsschicht nur noch am schnellen Konsum interessiert und hat wenige Möglichkeiten, durch Bildung den weiteren sozialen Aufstieg zu schaffen.

Die vielen Protestbewegungen vor den Spielen spiegeln die Unzufriedenheit der Mehrheit der Brasilianer wider, die in keiner Weise von den geschätzten 11 Milliarden, die für den Bau der Stadien und Infrastruktur ausgegeben wurden, profitieren. Angeblich verdient die Fifa an diesen Spielen 4,1 Milliarden Dollar. Das Geld hätte in die dringend  benötigten  Krankenhäuser und  für den Bau von Schulen investiert werden sollen.

Ein weiterer Brennpunkt der Unruhen sind die restlichen Indianerstämme im Amazonas Gebiet, denen ihr Land durch Rodung des Urwaldes zur Gewinnung von Weiden für die unzähligen Rinderherden weggenommen wird.  –Brasilien ist der größte Fleischproduzent der Welt. Pro Tag werden 80.000 Rinder geschlachtet, und ihr Fleisch in viele Länder der Erde exportiert, vor allem auch nach China.

Vor einigen Tagen marschierten Tausende indigene Menschen halbnackt und mit ihrem Federschmuck durch die Hauptstadt Brasilia, um auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam zu machen.

 Die Probleme in Rio – für viele die schönste Stadt der Welt – sind ganz anderer Art. Dort haben sich die Armen in den Favelas, den Slums, angesiedelt, die die Berge Rios  mit ihren prekären Hütten überziehen.

Oft fehlen Strom und fließendes Wasser, das stinkende Abwasser fließt die Berge hinunter. Drogenbanden machen die Favelas unsicher und terrorisieren die Bevölkerung. Schießereien sind an der Tagesordnung, und die Polizei hat wenig Möglichkeiten, dort einzugreifen, wenn sie sich überhaupt in diese Hexenkessel hinein wagt.

Einige Zeit vor Beginn der WM hat das Militär eingegriffen und einen Teil der Problemzonen „saniert“, in der Hoffnung, dass die vielen Touristen in Rio unbehelligt bleiben. In manche Favelas können sie jetzt gefahrlos zur Besichtigung hineinspazieren. Es sind dort sogar Jugendherbergen und andere billige Unterkünfte entstanden. Die besondere Lage an den Abhängen der Berge hat die Favelas zu einem begehrten Investitionsobjekt werden lassen, und die Immobilien Spekulanten wittern bereits das große Geschäft. Die Preise dort steigen explosionsartig in die Höhe. Ein Bewohner meinte lakonisch, er könne sich nun kein Haus mehr in seinem eigenen Slum leisten sondern müsse, wie so viele andere auf die entfernter gelegenen Stadtteile Rios ausweichen. Der Prozess der Abschiebung der Armen in billigere und ungünstiger gelegene Teile der Stadt hat begonnen. Rio wächst und wächst, und in der Nähe der Strände sind die Wohnungspreise unbezahlbar für den normalen Carioca, wie die Bewohner dieser Mega-Stadt heißen.

Copacaban, Ipanema und Leblon heißen die berühmtesten Strände Rios. Während der WM werden sie streng überwacht, damit die Touristen dort nicht überfallen oder bestohlen werden. Ahnungslos und ohne Kenntnis der Gefahren werden sie auch in den Straßen schnell Opfer von Übergriffen.
 
Trotz aller Anstrengung seitens der WM Veranstalter, während der kommenden Wochen ein Bild des Friedens und Frohsinns aufrecht zu erhalten, brodelt die Wut der Brasilianer im Untergrund weiter und wird sich wahrscheinlich noch öfter Luft verschaffen.

Ein Symbol und Zauberwort für die Cariocas ist „Maracaná“ – das berühmteste Stadion Rios mit seinen früher noch einigermaßen erschwinglichen Eintrittspreisen. Heute, nach der sündhaft teuren Sanierung kann sich der Durchschnittsbürger kein Eintrittsticket mehr leisten. So bleibt ihm nur noch die Glotze, vor der die halbe Nation täglich die Ereignisse auf den Fußballfeldern mitverfolgen kann.

Was sich in den nächsten Wochen in Brasilien abspielt, bleibt abzuwarten.

2016 wird in Rio die Sommer Olympiade abgehalten  -   die Probleme bleiben die selben.
 

 
 
 
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.06.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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