Karmen Buletinac

Ausgenockt

Lauter grelle Blitze vor meinen Augen. Ich schließe sie  behutsam und schlage sie ganz langsam wieder auf, in der Hoffnung, dass diese furchtbaren Blitze dann endlich verschwunden sind. Vergebens. Ich wiederhole das Ganze ein paar Mal, bis ich schließlich aufgebe. Alles fühlt sich seltsam an. Ich liege auf den Boden – es fühlt sich sehr hart unter mir an. Liege ich auf der Straße? Wo bin ich? Jemand fordert mich immer wieder auf meinen Namen zu sagen. Ich schaue geradeaus, kann allerdings nichts außer Lichtblitzen erkennen. Ich versuche meinen Namen auszusprechen aber es geht nicht. Mein Mund fühlt sich taub an – wie gelähmt. Ich versuche um mich zu greifen – aber auch hier tut sich nichts. Ich spüre weder meinen rechten Arm noch mein rechtes Bein. Was geht hier vor sich?
Mein Herz rast. Ich bekomme Schweißausbrüche. Ich zwinge mich selbst mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Ich versuche mich zu erinnern was geschehen ist. Das Letzte an das ich mich erinnern kann war, dass ich zur Post geeilt bin. Ich hatte wichtige Post von der Arbeit dabei, die musste heute noch raus – also habe ich mich nicht auf den Briefträger verlassen sondern bin kurz von meinem Schreibtisch aufgestanden um die Post selbst abzugeben. Ich steige ins Auto – so weit reicht meine Erinnerung noch aus. Plötzlich bekomme ich höllische Kopfschmerzen. Es fühlt sich an als hätte mir jemand ein Messer direkt ins Gehirn gesteckt. Noch ein Schmerz, danach folgt noch einer. Plötzlich wird mir ganz komisch. Mein Mund beginnt zu kribbeln, und mein rechter Arm und mein rechtes Bein tun es ihm gleich. Ich bemerke, dass ich nicht mehr Herr der Lage bin. Ich kann unmöglich so weiterfahren. Ich muss so schnell wie möglich rechts ranfahren ehe ich einen Unfall baue. Ich fahre rechts ran und versuche meine Gedanken zu ordnen – aber es ist unmöglich. Der Kopfschmerz ist so unerträglich, dass ich am liebsten laut aufschreien möchte. Ich greife nach meinem Handy und will die Nummer meiner Frau wählen, doch ich erkenne nichts. Ich sehe nur das halbe Handy in meiner Hand. Meine Sicht ist völlig eingeschränkt. Alles ist verschwommen, vor meinen Augen sind tausend Blitze. Jemand klopft an meine Fensterscheibe und fragt ob alles in Ordnung ist, in dem Moment wo ich antworten möchte – kommt nur Wirrwarr heraus. Ich möchte sprechen – aber die Worte die da aus meinem Mund kommen ergeben keinen Sinn. Die Frau schaut mich erschrocken an – soweit ich das erkennen kann. Ich sehe nur ihr halbes Gesicht vor mir. Und dann kann ich den Schmerz nicht mehr unterdrücken – ich schreie so laut auf, dass mich meine eigene Stimme erschreckt. Erschöpft lasse ich mich in meinen Sitz fallen…
Und nun liege ich hier, und beginne langsam zu realisieren dass irgendetwas hier nicht stimmt. Was ist mit mir passiert? Wo bin ich? Und warum kann ich mich nicht artikulieren? Warum kann ich nicht mehr sprechen? Ich höre Blaulicht, dann spüre ich Hände  - aber nur auf meiner linken Seite. Dann ist es ganz leise… Ich höre den Motor laufen. Ich bin scheinbar im Rettungsauto. Warum werde ich weggeführt? Ich hab doch nur Kopfschmerzen – ich würde mich kurz im Büro entspannen und alles wäre wieder gut. Ich muss doch noch meine Präsentation bis heute 18 Uhr fertig bekommen. Allein bei diesem Gedanken schießt mir wieder ein Kopfschmerz durch die Knochen. Ich kann nicht mehr klar denken…
Ich fühle mich leer und benommen. Ich erwache in einem Krankenbett – so viel ist schon mal sicher. Niemand weit und breit. Plötzlich öffnet sich die Tür und ein Ärzteteam kommt auf mich zu. Meine Augen wandern von einem zum anderen. Die Sicht ist noch immer nicht ganz da. Wie lange habe ich geschlafen? Bei der Antwort auf diese Frage, bin ich selbst überrascht. Ich bin seit 24 Stunden hier drinnen und kann mich an rein gar Nichts erinnern. Der Oberarzt erklärt mir, dass ich einen Schlaganfall hatte. Ich schaue ihn an und begreife nicht was er da sagt. Schlaganfall? Ich? Hier muss es sich um eine Verwechslung handeln. Ich bin gerade einmal 30 Jahre alt. Sowas bekommen doch nur alte Menschen, dachte ich – oder nicht??! Ich scheine völlig auf dem Holzweg zu sein. Der Arzt erklärt mir in einem sehr langen und persönlichen Gespräch, dass Schlaganfallpatienten immer jünger werden. Und ob man es glauben mag oder nicht – hängt es durchaus mit dem eigenen Lebensstil zusammen. Schuldbewusst schaue ich auf den Boden. Ich habe mir im letzten Jahr sehr viel zugemutet. Wir haben uns ein Eigenheim gebaut, ich bin in der Firma aufgestiegen und habe seitdem keinen einzigen Tag frei gehabt. Ich bin rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag auf Abruf bereit. Ich lebe quasi für meinen Beruf. Meine Familie hat mich im letzten Jahr nur selten zu Gesicht bekommen. Alles was ich tat – hat sich auf meine Arbeit beschränkt.

Wie oft hat mich meine Frau angefleht kürzer zu treten? Wie oft haben mich meine beiden Jungs mit großen Augen angeschaut und gebettelt, dass ich Zeit mit ihnen verbringe. Und ich habe alles immer von mir weggeschoben – für das würde noch genug Zeit sein – DANN – später einmal. Jetzt müsste ich Karriere machen – immer mehr, immer weiter nach oben… bis gar nichts mehr geht – und an diesem Punkt bin ich jetzt gerade angelang.t
Ich kann dem Arzt nicht mal antworten, da mein Sprachverlust noch immer so ausgeprägt ist, dass ich keine Sätze bilden kann. Es wird wieder werden – beruhigt mich der Arzt. Es wird zwar dauern, aber es wird wieder!

Und mit einem Mal wird mir bewusst, dass ich an meiner Situation zum Teil selbst schuld bin. Ich habe es so lange provoziert, bis mein Körper einfach nicht mehr konnte. Ich habe meine Familie vernachlässigt, habe mein Privatleben zur Gänze aufgegeben und wofür? Dass ich eines Tages mit nur knapp 30 Jahren wegen eines Schlaganfalls hinterm Steuer zusammensacke.

Dieses Gefühl der Hilflosigkeit. Dieses Gefühl wenn du sprechen möchtest –aber kein Wort über deine Lippen kommt. Dieses Gefühl wenn du die Hand heben möchtest, und sie leblos am Körper bleibt weil du nicht mehr Herr über sie bist. NEIN – so kann mein Leben nicht aussehen. Ich habe alle Warnsignale ignoriert und das ist die Quittung dafür.

Ich werde erst wieder sprechen lernen müssen, und mich normal zu bewegen. Ich weiß es wird dauern – aber ich weiß auch, dass ich es schaffen werde. Denn vor meinem geistigen Auge, sehe ich meine zwei Jungs und meine Frau und mir wird es ganz warm ums Herz. Sollen meine Kinder ohne ihren Vater aufwachsen? Soll meine Frau, alleinerziehende Mutter werden nur weil ich egoistisch bin? Nein! Ich werde mein Leben ändern und mehr auf mich achten.

Denn wir alle haben nur dieses eine Leben. Und es ist das, was wir draus machen! Ich hatte zwar einen Schlaganfall –aber ich werde alles dafür tun um mein Leben in eine andere Richtung zu wenden. Denn dieses Gefühl der Hilflosigkeit, ein Schwebezustand – dieses Gefühl möchte ich nie mehr selbst spüren. Ein Schlaganfall… immer wieder geht mir dieses Wort im Kopf herum und ich bekomme jedes Mal aufs Neue eine Gänsehaut am ganzen Körper.


Diesmal ging ich K.O… aber ein zweites Mal wird es nicht so weit kommen müssen. Dass wir Menschen immer nur dann lernen, wenn wir Scheisse fressen, ist traurig – aber so ist es nun mal.
Nein, so etwas möchte ich nie wieder erleben.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.06.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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