Wie ein jeder weiß, haben Engel nach allgemeinem Verständnis die Aufgabe, sich als Schutzengel für den ihnen zugeteilten Menschen nützlich zu machen.
So ein Engel war auch Anders.... Doch wie sein Name schon verrät, war er anders, als man sich einen Engel gemeinhin vorstellt.
Anders war zuständig für die kleine Marie. Marie war vom ersten Lebenstag an ein höchst eigenwilliges Persönchen. Wie hätte es auch sonst sein sollen, wenn Anders ihr Schutzengel war... Man kann sich wohl vorstellen, dass Anders und Marie vorzüglich zusammenpassten!
Schon als Marie in der Wiege lag, hatte Anders alle Hände voll zu tun. Nicht nur, dass er mindestens 2x täglich verhindern musste, dass Marie mitsamt der Wiege umkippte, weil sie nicht wie andere Babys brav darin schlief; er musste gleichzeitig auch dafür sorgen, dass sie sich nicht in ihre Zudecke einwickelte und den Vorhang über der Wiege herunterriss. Anders löste das Problem, indem er mit seiner Harfe flotte Lieder über ihrer Wiege spielte, denen sie dann mit einem fröhlichen Lachen zuhörte. Die Eltern, die Anders natürlich nicht sehen konnten, wunderten sich in dieser Zeit oft, warum das Kind so fröhliche Laute in seiner Wiege von sich gab.
Anders war nach solchen Tagen oft fix und fertig...völlig ermattet sank er auf seiner Wolke nieder, wenn Marie einmal für ein Weilchen eingeschlafen war, vergaß aber nie, den Überwachungsalarm anzustellen, damit er im Notfall gleich zur Stelle sein konnte.
Als Marie anfing mit dem Laufen, waren die Tage für Anders noch anstrengender, wie man sich unschwer vorstellen kann. Anders flog ohne Pause den halben Tag im Zickzack durch die Wohnung, um Marie vor Stürzen und Zusammenprallen mit Tischkanten und Türpfosten zu bewahren. Nicht immer war er schnell genug und Marie trug trotz allem einige Beulen davon. Gemessen mit den Möglichkeiten der Unfälle hatte er aber immer noch ein großes Erfolgskonto - von 10 Beulen verhinderte er 8, und das ist doch ein guter Schnitt, nicht wahr?
An ihrem 3. Geburtstag jedoch, da wollte Anders seinen Job kündigen - auch ein Schutzengel kommt mal an die Grenzen seiner Möglichkeiten und Anders war an diesem Tag so verzweifelt, dass er sich am Abend um eine Stelle im himmlischen Harfenorchester bewarb! Und das kam so:
Marie erwachte, wie immer, recht früh an diesem Tag und sie spürte die knisternde Atmosphäre dieses Tages sofort. Freudig hüpfte sie aus ihrem Bett und ins Wohnzimmer, wo die Mutter schon den Geburtstagskuchen auf dem Tisch aufgestellt hatte und die Geschenke bunt darum verteilt hatte. Anders trällerte im Hintergrund ein Liedchen und begleitete es mit seiner Harfe, um Marie in friedlicher Stimmung zu erhalten. Doch er hätte sie inzwischen besser kennen müssen...aber ein Engel gibt die Hoffnung ja nie auf.
Marie packte zuerst das größte Paket aus...ein hübsches kleines Fahrrad kam zum Vorschein. Anders verschluckte sich fast vor Schreck - er ahnte, dass dieses Fahrrad ihm viel zusätzliche Arbeit bescheren würde! Marie ließ ihm gerade noch 5 Minuten Zeit, einige Vorkehrungen zu treffen, während sie die anderen Geschenke auspackte, die ungefährliche Dinge beinhalteten wie Bilderbücher, Anziehsachen und einen neuen Teddy. Dann kletterte sie auch schon aufs Fahrrad und versuchte, in dem kleinen Wohnzimmer damit eine Runde zu fahren...was natürlich nicht so einfach war. Anders verteilet in Sekundenschnelle vor allen Schränken seine Luftkissen, doch er war nicht schnell genug...und schon hörte er einen lauten Knall und sah Marie neben dem Fernseher auf dem Boden liegen, das neue Fahrrad daneben. Er pustete kräftig an ihre Stirn, auf der sich schon eine große Beule abzuzeichnen begann......und Maries Mama half beim Pusten und holte einen Eisbeutel für die Beule. Marie weinte jedoch nicht lange; zwei Minuten später saß sie wieder auf dem Rad, doch die Mutter überzeugte sie, erst zu frühstücken um dann anschließend im Freien weiter zu üben. Pause....dachte Anders, und wollte sich gerade etwas ausruhen, als er sah, dass Marie versuchte, sich von der Fleischwurst ein schönes Stück abzuschneiden - im letzten Moment schaffte er es, die Klinge etwas nach rechts zu drücken...haarscharf an Maries linkem Zeigefinger vorbei. Weil Marie Fleischwurst liebt, musste Anders diese Übung genau 5x hintereinander leisten... Fast freute er sich schon auf das Radfahren nach dem Frühstück...
Während Marie sich die Schuhe anzog, packte Anders seine Luftpolster ein, die er sicher brauchen würde und wartete schon mal an der Tür. Fast wäre er überfahren worden, als Marie das Fahrrad an ihm vorbei schob - zum Glück rettete er sich noch schnell mit einem Sprung auf die Seite. Doch der Moment der Unachtsamkeit war schon zu viel - schon stolperte Marie mitsamt dem Fahrrad über die Türschwelle und purzelte die zwei Treppenstufen vor der Haustüre hinunter. Gerade in allerletzter Sekunde gelang es Anders, ein Luftkissen unter Maries Kopf zu schieben, damit nicht eine weitere Beule dort entstehen würde...aber sie begann dennoch furchtbar zu schreien. Anders hatte nicht verhindern können, dass sie sich den Fuß verknackste und nun weinend neben ihrem Fahrrad stand. Die Mutter nahm sie tröstend in den Arm und Marie hörte bald wieder auf zu weinen - aber die Lust am Fahrradfahren war ihr vorerst auch vergangen. Sie humpelte zu ihrer Schaukel im Garten und Anders stützte sie dabei mit aller Kraft. Dann stellte er sich achtsam neben der Schaukel auf... Die nächsten 10 Minuten verliefen ruhig; Marie schaukelte langsam und brav, wie es sonst nur besonders artige Kinder tun. Anders stupste die Schaukel in gemächlichem Tempo immer wieder an und hoffte, dass Marie dort lange so ruhig sitzen bliebe. Doch wir kennen Marie inzwischen - sie dachte schon über den nächsten Schabernack nach!
Plötzlich hüpfte sie von der Schaukel, das Humpeln war fast schon vergessen und sie wollte gern schauen, ob ihre Gäste vielleicht schon kämen. Doch der Garten war von einer Hecke eingefasst, die unter anderem verhindern sollte, dass kleine Mädchen einfach davon laufen können... Als Anders Maries Blick auffing, ahnte er Schlimmstes - und schon sah er sie auch gezielt in Richtung des Apfelbaumes marschieren, der ihr offenbar eine gute Aussicht über die Hecke versprach. Anders wurde nervös... wo war nur wieder diese Mutter, die ihm ja wenigstens beim Aufpassen helfen könnte... weit und breit sah er sie nicht, weil sie in der Wohnung dabei war, den Kaffeetisch für Maries Party zu decken.
Fortsetzung folgt ...
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.05.2003.
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