René Kamer

„Der schönste Moment oder der Sinn des Seins

Es gibt viele schöne und viele unangenehme Momente im Leben eines Menschen, die wohl bei jedem in unterschiedlicher Häufigkeit und Intensivität auftreten. Es ist nur natürlich, dass man die tragischen und traurigen Momente im Leben am liebsten gar nicht erleben möchte, sondern sich nur nach den höchsten Glücksgefühlen sehnt. Diese Glücksgefühle lassen schnell einen Sinn in diesem Leben erkennen, der dieses Leben wertvoll macht. Jeder definiert diesen für sich selber, und strebt nach der höchstmöglichen Erfüllung. Ob es nun z.B. Reichtum, Erfahrung, Wissen oder Liebe ist, entscheidet jeder nach eigenem Befinden.
Es ist wohl kaum möglich einen Sinn in Worte zu fassen, der für alle Menschen Gültigkeit besitzt. Natürlich könnte man an dieser Stelle denken, dass es die Liebe zwischen den Menschen sein muss, nach der Jeder bewußt oder zumindest unbewußt strebt. Wenn man sich jedoch diese Welt betrachtet, muss man zugeben, dass die Liebe bzw. die Menschlichkeit kein allgemeingültiges Naturphänomen ist, welches in jeder Form des Erlebens auftaucht. Es sind die tragischen, traurigen und gewaltvollen Momente des Lebens, die die Liebe als allgemeingültigen Sinn des Seins auzuschließen scheinen. Was wäre jedoch, wenn wir auf dieser Welt ohne Gewalt, ohne Angst, ohne Schmerzen und ohne Trauer leben würden? Würde uns die Bedeutung der Liebe bewußt sein? Wären wir in der Lage ein Glücksgefühl zu empfinden? Wären wir uns des schönen Augenblickes bewußt wenn wir nicht die Kehrseite kennen würden? Wir müssen diese Kehrseite nicht einmal erleben, es reicht allein das Bewußtsein, dass es diese Kehrseite gibt, um das Positive zu erkennen und wahrzunehmen. Wie könnte man das Gute als gut bezeichnen wenn man das Böse nicht kennt? Es gibt kein Oben ohne ein Unten, keinen Tag ohne eine Nacht. Wie sollte ich mich des Lebens freuen, ohne das Wissen, dass es den Tod gibt? Wie kann ich eine Person vermissen, die keine einzige Sekunde von mir entfernt ist? Wie soll ich das Schöne in etwas erkennen das ein Dauerzustand ist, in etwas das schon immer da war, immer da sein wird und unvergänglich ist? Dieser Zustand muß doch zumindest einmal gewonnen oder verloren werden um sich dessen Wert bewußt zu sein.
Die schmerzlichste Erfahrung des Lebens ist wohl der Verlust eines geliebten Menschen. Ein Mensch, ohne den man sich sein Leben nicht vorstellen kann und auch nicht vorstellen möchte. Ich glaube, es gibt keinen schmerzvolleren Moment als den Verlust des Lebenspartners. Das Meißtgeliebte wird einem genommen, ohne Hoffnung auf ein erneutes Zusammentreffen in diesem Leben. Dieser Mensch ist gegangen und wird nicht mehr zurückkehren. Man kann nicht mehr mit ihm Reden, nicht mehr mit ihm Tanzen, nicht mehr mit ihm Träumen, nicht mehr mit ihm Lachen, nicht mehr mit ihm Weinen.
Ich glaube aber, daß genau dies der Augenblick ist, in dem man die Liebe so stark wie nie zuvor spüren kann. In diesem Augenblick des größten Schmerzes, wird einem die wahre Größe der gefühlten Liebe bewußt. Ausgerechnet in dem Augenblick, in dem mich der geliebte Mensch nicht mehr hören kann, nicht mehr meine Hand in seiner spüren kann, nicht mehr meinen Kuß erwidern kann, mir nichts mehr erzählen kann, nicht mehr sein Leben mit mir teilen kann.
Genau diese Erkenntnis verstärkt die Qualen des Verlustes ins Unbegreifliche. Was würde man alles dafür geben um noch ein einziges Mal seine Umarmung spüren zu können? Was würde man geben um noch ein einziges Mal sein Lachen hören zu können? Was würde man geben, um ihm noch ein einziges mal sagen zu können, wie sehr man ihn liebt? Ihm, dem Mensch, der nun für immer gegangen ist.
Die Zeit ist gekommen.. Die Zeit, in der die Seele des geliebten Menschen den Körper verlassen hat um seine letzte Reise anzutreten. Eine Reise in eine Welt, in der die Zeit nicht mehr existiert. In eine Welt, in der die Unendlichkeit herrscht. In eine Welt in der es keine Mauern gibt. In eine Welt ohne Grenzen. In eine Welt, in der das Leben ein Ende gefunden hat. In eine Welt, in der das Ende des Lebens, der Anfang der Unendlichkeit ist.
Und ich weiß, sollte ich irgendwann diese Unendlichkeit betreten, werden alle Menschen die ich liebe und vor mir gegangen sind, dort bereits auf mich warten. Sie werden mir ihre Hände entgegenstrecken und mich nach langer Zeit wieder in ihre Arme schließen. Alles was wir uns so lange sagen wollten, alles das, was wir noch zusammen machen wollten, können wir nun wieder tun. All der gespürte Schmerz und all die vergossenen Tränen des Lebens werden vergessen sein. Das was jedoch bleiben wird, ist die gespürte Liebe im Augenblick des Verlustes. Dieses höchste Gefühl der Liebe wird verschmelzen mit unseren Seelen und der herrschenden Unendlichkeit. Wir alle werden wieder vereint sein. Und ich bin mir sicher, dass dieser Moment der schönste meiner Existenz sein wird. Und genau dieser Moment wird niemals enden!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.05.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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