Regentropfen rinnen unaufhaltsam die Fensterscheibe hinunter. Draußen ist es schon fast Nacht geworden und ich schaue immer noch die Muster an, die die rinnenden Tropfen zeichnen.
Gegenüber liegt der Wald. Der Wind schüttelt die Zweige, ja fast die ganzen Bäume. Die aufkommende Nacht lässt viel Dunkel in die Zwischenräume.
Ein fremder, noch nie gehörter Ton dringt ans Ohr, jammernd, klagend, eindringlich.
Etwas scheint sich zwischen den Baumstämmen zu bewegen. Wehendes Haar und viele biegsame Gliedmaßen recken und strecken sich und streben an den Straßenrand. Ein Tier? Ein Knäuel Menschen? Obwohl sie sich ständig drängend bewegen, können sie die Straße nicht erreichen. Sie sind an den Schatten gebunden. Doch der Ton wird eindringlicher.
Ich öffne das Fenster einen Spalt breit, um besser hören zu können.
„Klara!..Klara, komm raus!“ ...Sie rufen mich.
Zitternd vergesse ich alles um mich herum. Ich muss den Rufen Folge leisten. Ich greife meinen Mantel und stürze aus dem Haus.
Schlagartig hört der Regen auf. Alles ist still um mich herum. Viele Arme winken und fordern mich auf, näher zu kommen. Ich zögere nun doch. Ich habe Angst.
Die Gestalten im Gewirr haben keine Köpfe, keine Gesichter. Sie bewegen Arme und wohl auch Beine jetzt in einem gleichmäßigen Takt, der die zwischen ihnen wehenden Haare mal in die eine Richtung, mal in die andere zwingt.
Jetzt stieben auch noch Federn aus dem Gewirr, schweben hoch und landen zu meinen Füßen. Ich bücke mich, ohne das Unheimliche aus den Augen zu lassen, und hebe eine Feder auf. Sie ist weich wie eine Daune, aber ihr Kiel ist spitz und hart wie eine Nadel. Als ich mich an ihr steche, fährt ein Blitz vom Himmel.
Er setzt die nächsten Bäume in Brand. Der Rauch des Feuers lässt mich nichts mehr sehen. Ich kann mich aus dem Bann lösen.
Da kommt auch schon die Feuerwehr mit ihrem Tatü…Tata. Aber die Männer löschen das Feuer nicht. Sie nehmen mich sanft an die Hand und führen mich zu einem Rettungswagen, wo sie mich auf eine Liege legen.
„Klara, was ist geschehen?“ Ich will es ihnen gerade erklären, da höre ich die Stimme von Rolf. Er erklärt: „Sie ist schon seit Tagen so merkwürdig. Sie phantasiert und weiß oft nicht, was sie tut. Jetzt stand sie zwei Stunden im Regen auf der Straße und war nicht zu überreden, mit mir nach Hause zu kommen.“
Aber es hatte doch gar nicht mehr geregnet. Heimlich befühle ich meinen Mantel.
Er ist aufgeweicht. Blut läuft an meiner Hand entlang – nicht viel – wie von einem Nadelstich. Wo aber ist die seltsame Feder, die ich nicht losgelassen hatte? Wo ist das Feuer? Ein Schein muss doch das Fenster erhellen.
Rolf gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Da sind wieder die vielen Arme, die mich zu sich befehlen….
© I. Beddies
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.07.2014.
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