Peter Kröger

Salz



Vor ein paar Tagen hatten wir uns neue Rennräder gegönnt.
 
Als sie mir freundlich das Salz reichte, hätte ich mich am liebsten aus dem Staub gemacht, sagte ich, vielleicht wäre ich um die Ecke in die Knobelsdorffstraße geflüchtet und in dein doofes Giro d’Espresso gegangen, nein ganz bestimmt sogar wäre ich ins Giro gegangen, so wie ich immer ins Giro gegangen bin, um hinter einer aufgeschlagenen Tageszeitung an sie zu denken, aber nun saß sie mir lebendig gegenüber und reichte das Salz, sodass der Weg ins Giro sinnlos, ja geradezu widersinnig gewesen wäre.

Ein Arbeitsfrühstück ist ein Arbeitsfrühstück und folgt eigenen Gesetzmäßigkeiten, nicht wahr, sagte Wanda, komischerweise hieß sie Wanda. Und doch haben wir, so fügte sie freundlich hinzu, einen gewissen Gestaltungsspielraum, Herr Lanz. Dann schwieg sie. Ich überlegte, worauf sie hinauswollte und spürte ein leises Unbehagen. Das Ei köpfte ich fachmännisch und betrachtete etwas verlegen einen Aktenordner, der neben mir lag und auf dem in großen, goldenen Buchstaben der Name Wanda Schulz prangte.

Sie sind sehr schweigsam, Herr Lanz, sagte diese Wanda nun, vergessen sie einfach mal den Ordner. Über den Tisch hinweg, sozusagen am frisch geköpften Ei vorbei, griff ich nach ihrer Hand. Ich heiße Schumann, sagte ich streng und doch mit einem Hauch von Weinerlichkeit. Herr Lanz ist zur Kur, ich vertrete ihn. Sicher, hauchte Wanda, sicher. Immer diese Kuren. Wünschen Sie noch etwas Salz, Herr Lanz?
 
Dann bricht es ab, immer genau an dieser Stelle bricht es ab, sagte ich seufzend und starrte in den blauen Sommerhimmel. Teufel, Schu, sagte Mario, der mich gern einfach Schu nannte. Du scheinst etwas auszubrüten. Ich hatte einen Freund, bei dem es auch so losging, wirre Träume und so, komisches Zeug. Ich werde dir nicht sagen, was mit ihm geschehen ist. Wie es endete. Wie es sich auflöste. Na ja, er lebt nicht mehr. Irgendwas mit dem Kopf.

Mit dem Kopf, wiederholte ich kleinlaut und suchte erfolglos nach Marios Bildbänden über Venedig oder Triest, die immer irgendwo herumlagen. Weißt du, sagte ich nach einer Weile, alles fühlte sich sehr echt an, aber ihre Hand ..  Was ist damit, fragte Mario und setzte sich zu mir, wie er es manchmal tat, wenn er sich am Tresen langweilte. Ich weiß es nicht, antwortete ich, irgendwie war da keine Hand. Wie, keine Hand, fragte Mario wieder, wonach hast du gegriffen, wie sagtest du noch: über den Tisch und am Ei vorbei? Ich habe nach ihrer Hand gegriffen, wiederholte ich verstimmt, und doch griff ich nur nach dem Salz. Nach dem Salz?, fragte Mario und kratzte seinen kahlen Schädel. Das Salz, das sie dir gereicht hat? Kann es sein, dass du spinnst?
Keine Ahnung, brummte ich. Es war ein Traum. Außerdem mag ich es nicht, wenn du es so genau nimmst. Du nimmst es doch sonst nicht so genau.

Im Giro war es still. Mario dachte nach.

Ich mache dir einen Vorschlag, sagte er endlich. Ich schließe das Café für ein paar Stunden. Und dann?, fragte ich. Was für eine Frage, rief Mario, nun völlig eingenommen von seiner Idee. Dann suchen wir Wanda Schulz. Gut, sagte ich und zupfte an meinem hautengen Trikot mit dem Werbeaufdrucken für Autoreifen und Fertighäuser. Ich würde übrigens nie ein Ei köpfen. Nur Spießer machen sowas.

Mario verdrehte die Augen und faltete die Hände.
 
Sagen Sie, Herr Lanz, witzelte er, als wir aufbrachen, wie sah sie aus?
Wer?
Wanda.
Eine Frau eben.
Schön?
Was weiß ich.
Mit Händen?
Ich glaube doch.
 
Du bist unverbesserlich, stöhnte der Barista und trat in die Pedale. Mit unseren neuen Rennrädern durchkämmten wir die Gegend.


 

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