Petra von Breitenbach

Der Tag, an dem Rosalie dem Froschkönig begegnete, Satire

Es war einmal eine dicke braune Kröte, die hieß Rosalie. Sie lebte mit ihrer Sippe am Waldesrand.

Das Leben war ein bißchen eintönig geworden, sie sehnte sich nach einer Abwechslung.
Im letzten März waren sie wieder gemeinsam zum Laichgewässer gezogen.
Aufregend war das immer, denn es kam vor, dass einige ihrer Artgenossen das Gewässer nicht erreichten, sie mußten dazu nämlich eine gefährliche Straße überqueren.



Immer, wenn sie dann gegen Abend endlich den Seerosenteich erreicht hatten, vernahm sie ein betörendes Quakkonzert der Frösche.
Letztes Frühjahr war es dann um sie geschehen: sie hatte sich in Rhenyus, den Froschkönig verliebt. Wo es möglich war, paßte sie den Zeitpunkt ab, ihm ganz zufällig vor die Beine zu schleichen. Sie errötete und flugs, - weg war sie auch schon wieder. Rhenyus hatte das registriert, aber nicht weiter darüber nachgedacht.


Sie schwärmte: Welch ein Prachtexemplar von einem Frosch! Seine glatte, grüne Haut, die seidenglänzend in der Sonne changierte.
Diese flinken dünnen Beine, mit denen er soo grazil und selbstbewußt königlich über das Gras in den Teich hüpfte, dass es ihr Blut in Wallung brachte. Und vor allem diese ausdrucksstarken Augen!

Aber das Größte an ihm war seine
unwiderstehlich lange Zunge, an der die Insekten haftenblieben.
Sie hatte das ganze Jahr darüber nachgegrübelt, wie sie sich diesem Traum von Froschmann nähern könnte.

Dabei mußte sie sich allerdings eingestehen, dass sie wohl in diesem Krötenaufzug keine Chance haben würde.
In Rosalie entwickelte sich eine traumhafte Vorstellung:

sie wollte sich in eine Froschkönigin verwandeln!
Ein ausgeklügelter Plan wurde geschmiedet.

Zunächst galt es, ein paar Kilo abzuspecken. Ab sofort waren Regenwürmer gestrichen und es standen nur noch Spinnen auf dem Speiseplan!
Außerdem mußte sie natürlich ihre trockene, ledrige Haut gegen eine feine, glatte Froschhaut auswechseln.
Da fiel ihr Ferdi ein, den hatte sie im vergangenen Frühjahr kennengelernt und sie hatten sich ein bißchen angefreundet.
Als nun wieder die Zeit des Ablaichens näherrückte, brachen sie zum Seerosenteich auf, wo Ferdi schon
sehnsüchtig auf Rosalie wartete. Sie rief ihn gleich zu sich. Ohne große Umschweife fiel sie mit der Tür ins Haus:
"Ferdi, kannst du mir bitte deine Haut ausleihen, nur für einen Abend?"
Ferdi fand das ziemlich schräg, wie sollte das denn gehen?

 

Auf ihrer Wunschliste standen aber noch weitere Punkte:
Schwimmhäute zwischen die Zehen nähen lassen,
Beinverlängerung und Verschlankung,
Implantation einer langen, klebrigen Zunge.

Ferdi willigte schließlich ein, vielleicht sprang für ihn ja auch etwas dabei heraus.

 

Tief im Wald wohnte Karl Schneidal. Er war Sammler und Verwertungsstelle von Häuten, Federn, Gebissen, Skeletten, Mähnen und und und...
Er genoss einen exzellenten Ruf als Schönheitschirurg.

 

"Ferdi, wir werden gemeinsam zu Karl Schneidal hüpfen!“
Es dauerte zwei Tage, bis sie dort waren. Eine große, schlanke Gestalt mit einer zerfurchten gelben Reptilienhaut und vernarbtem, alterslosen Gesicht öffnete dem müden, ungleichen Paar die Tür. Rosalies Nacken kräuselte sich beim Anblick dieser respekteinflößenden Erscheinung. Sie hielt seinem durchdringenden Blick einen Moment stand und fand in den dunklen Augen Schneidals dann jedoch Weisheit und Güte.
Die beiden staunten nicht schlecht, als sie diese Welt betraten. Rosalie blickte um sich. In verschiedenen Gefäßen schwammen Gebisse von Pferden, Füchsen und Wölfen.
Felle hingen über dicken Holzbalken, an den Wänden waren Krallen, Hufen und Schnäbel ordentlich aufgereiht.
Auf den Bedarf an Froschlurch Ersatzteilen war Herr Schneidal allerdings nicht eingestellt, lag sein Atelier doch zu weit vom Gewässer entfernt.
Dafür hatte sie ja Ferdi mitgebracht!!
Rosalie war entzückt von der Atmosphäre und hatte volles Vertrauen zu Schneidal gefaßt!



Was führt euch denn hierher?" fragte Schneidal neugierig. Rosalie war so froh, dass Ferdi dabei war. Sie stammelte:
"Verehrter Herr Schneidal, ich habe einen Lebenswunsch, ich möchte dem Froschkönig Rhenyus am Seerosenteich näherkommen
und dazu möchte ich mich in eine wunderschöne Froschlady verwandeln.“

Schneidal konnte sein Erstaunen nicht ganz verbergen und mußte grinsen. Es rührte ihn, wie Rosalies brauner Teint
allmählich in eine rosa Färbung überging. Aber - ihm war nach einem langen Arbeitsleben nichts mehr fremd.

 

 

Er wurde vielfach von Seniorentieren aufgesucht, die sich ihr Alter ein wenig erträglicher gestalten wollten und um den einen
oder anderen Kunstgriff baten. Der Wunsch dieser jungen Kröte stellte ihn allerdings vor eine echte Herausforderung, diese Verwandlung würde ihm das Größtmögliche abverlangen!
Das Hauptproblem sah er in der Zungenverlängerung.

„Verehrte Rosalie, in meinem Sortiment kommen Zungen von Froschlurchen leider nicht vor, es gibt aber eine artverwandte bei den Chamäleons, deren Zunge ist allerdings um einiges länger!“

Um ihr nicht die Laune zu verderben, ersparte er ihr einen weiteren, gravierenden Mangel: bei der Kontaktaufnahme mit Sauerstoff würde sie nicht über den Haftreflex verfügen, den Rosalie bei Rhenyus Zunge so bewunderte.

In seinem Sortiment hatte er einige Chamäleonzungen:

„sehen Sie hier“.

Ihre Haut fing an zu zucken im Anblick der ordentlich aufgereihten langen Schalen, deren Inhalt sie anwiderte. Aber da mußte sie jetzt durch.

 

„ja, dann nehmen wir die Kürzeste“, meinte sie,

"Aber die ist auch noch zu lang“. Ihr graute bei der Vorstellung, diesen Fleischklumpen nun bald in ihrem Maul fühlen zu müssen. Die Operation wurde als erstes in Angriff genommen.

Rosalie mußte nun sehr tapfer sein. Die fremde Zunge wurde mit ihrer eigenen verklebt und mit ein paar Stichen vernäht.

 

Das war eine große Umstellung für sie. Diese Masse Fleisch im Maul würgte sie anfangs und schnitt ihr die Luft ab.
Nun fiel ihr aber wenigstens die Diät leichter. Als sie sich etwas von der Strapaze erholt hatte, folgte die Beinverlängerung.
Das hatte ein bißchen wehgetan, aber sie war zum Leiden bereit,
wenn sie an Rhenyus dachte! Ihre Zehen wurden mit Klammern gespreizt und am nächsten Tag
waren sie genug gedehnt worden und Schneidal konnte die Häute einnähen. Wie gut das aussah - und sie konnte nun hüpfen wie ein Frosch!

 

Schließlich mußte sich Ferdi seiner Haut entledigen. Für einen Moment rührte es Rosalie, wie er so nackt und dünn da im Zimmer
herumstand und sich ein wenig schämte. Doch Herrn Schneidal entging dieser peinliche Moment nicht und er reichte ihm gleich eine passende Haut von einem ganz jung verstorbenen Frischling.


Nun kam also der große Moment:

Die wunderschöne grüne Haut von Ferdi musste schnellstmöglich mit Rosalies Körper verbunden werden. Davor mußte sie sich noch einer Lazerbehandlung unterziehen, zur Glättung ihrer von Warzen und Beulen übersäten Krötenhaut.

 

Die Haut von Ferdi ließ sich dann problemlos um Rosalie legen und befestigen, sie schmiegte sich nahtlos wie ein Latexanzug an ihren Körper an, - sehr sexy sah das aus!

Als sie dann ihr neues Antlitz im Spiegel der Wasseroberfläche des Tümpels im Garten erblickte, stieß sie einen Schrei des Entzückens aus.

Rosalie wollte nun aufbrechen, sie konnte es kaum erwarten,
in diesem wunderbaren, neuen Anzug aufzutreten. Ferdi durfte in der Obhut von Schneidal bleiben, bis seine neue Haut nachgewachsen war.

Am frühen Nachmittag des zweiten Tages erreichte Rosalie den Seerosenteich. Sie beschloß, sich ersteinmal ein ruhiges Plätzchen zu suchen, um sich auszuruhen. Außerdem mußte sie ja noch üben, mit der neuen Zunge auf Nahrungssuche zu gehen.

Sie war sauer auf Schneidal, weil die Insekten nicht klebenblieben.
Am Spätnachmittag hatte sie dann den Mut für ihren Auftritt. Dazu suchte sie sich eine Stelle, die sie beim Hineingleiten in den Teich besonders gut sichtbar machte.
Der Lichteinfall der Abendsonne brachte ihre Haut in den schönsten Grüntönen zum Leuchten.

Sie wartete ab, bis das abendliche Quakkonzert begann und nach den ersten Takten glitt sie mit einem perlenden Platschgeräusch in den Teich.
Es wurde einen Moment ganz still, der Chor setzte sodann umso lauter und intensiver wieder ein. So etwas hatte noch kein Frosch am Seerosenteich erblickt, woher kam diese fremde Schönheit?
Rhenyus tarnte zunächst seine Hingerissenheit und fing ein raffiniertes Spiel des Umwerbens an.

 

Rosalie tat so, als bemerke sie es nicht, doch hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht.
Sie war betört und ganz in ihrem Element angekommen –

Ein Festmahl wurde vorbereitet. Rhenyus und seine Sippe trugen die dicksten und längsten Würmer, Maden und Larven zusammen.

Zu späterer Stunde wurden sinnessteigernde Pilzdämpfe geschnüffelt. Die ganze Gesellschaft wurde high. Es wurde getanzt, konzertiert, es gab Gelage der Lust und der Ausschweifungen.


In den frühen Morgenstunden hatten sich Rosalie und Rhenyus zu einem Tanz gefunden, sie gaben ihrer Sehnsucht nacheinander endlich nach und schauten sich tief in die Augen.

"Deine Augen sind schön"

bestaunte Rhenyus Rosalies schwarze Pupillen, die wie eine Mondsichel quer in ihrer Iris lagen. Sie hatte nicht den Glotzblick, der Renyus bei allen Froschweibchen die Lust abgetötet hatte.


Nun kam der Zeitpunkt, wo Rosalie sich von Rhenyus den Kuß wünschte. Sie rückte ein wenig näher an ihn heran und öffnete etwas herausfordernd ihr Mäulchen, wobei sie keck einen kleinen Moment
ihre Zunge blicken ließ. Da konnte Rhenyus nicht mehr anders, stürzte sich auf sie zu einem heißen Kuss.

In diesem Moment gab es einen Zischlaut.

Rosalies Zunge hatte sich nämlich gelöst und war in Rhenyus Maul gerutscht. Es dauerte etwas, bis er das gewahrte und das glitschige Stück Fleisch wieder herausbrachte.
Rosalie nutzte diesen Moment aus und suchte auf der Stelle das Weite.
Doch ihr Froschkönig wäre keiner, könnte er nicht hüpfen wie ein Weltmeister und er holte sie natürlich sehr schnell ein.
Welch eine Blamage, welch ein Absturz aus ungeahnten Höhen!
Rosalie war so froh, dass es dunkel war, denn sie war puterrot geworden.

Rhenyus packte sie und dann dämmerte es ihm allmählich: es fiel ihm wie Schuppen von den Augen: das war doch diese Kröte, die sich immer rosa verfärbte, wenn sie sich begegneten! Die vielen kleinen rührenden Begegnungen liefen wie ein Film vor ihm ab.

Es wurde totenstill. Rosalie wurde von Rhenyus festgehalten, es gab kein Entrinnen mehr. Eine geraume Zeit verging, bis Rhenyus sein Herz sprechen ließ:

„Liebste Rosalie, ich habe mich so in deine Krötenaugen verliebt, ich bin dein, willst du bei mir bleiben?“
Unter dem wieder einsetzenden ohrenbetäubenden Quakkonzert schmolz Rosalie in den Armen von Rhenyus dahin.

Sie hatten schöne Sommermonate. Jedoch: die Krise kam und war nicht mehr aufzuhalten...

Die Harmonie wurde mit der Zeit beeinträchtigt durch die Tatsache, dass Rosalie große Probleme mit der Nahrungsaufnahme hatte, ihre eigene Zunge hatte durch den Eingriff doch erheblich gelitten und war durch die Nähstiche eigentlich unbrauchbar geworden. Sie wurde immer dünner und die Froschhaut hing mit der Zeit wie ein alter Lappen an ihr herab.

Geradezu lächerlich, sie als Froschkönigin - in diesem Aufzug! Jeden Tag beim Blick in den Teich wurde sie an die peinliche Szene ihrer ersten innigen Begegnung mit Rhenyus erinnert.

Wenn er sich über sie ärgerte, machte Rhenyus sich einen Riesenspaß, sie damit zu necken. Der Stachel der Kränkung saß tief. Was hatte sie wegen ihm alles auf sich genommen und gelitten! Schließlich faßte sie einen Entschluß:

Schneidal sollte sie wieder in ihren Ursprungszustand als Kröte zurückverwandeln.

Bei Nacht und Nebel schlich sie sich aus dem Gras und machte sich auf und davon.
Sie freute sich bei jedem Meter, den sie sich der Werkstatt Schneidals näherte, auf Ferdi.

Als er sie kommen sah, traute er zunächst seinen Augen nicht: „Bist Du es, Rosalie? - was ist denn mit Dir passiert?“

Sie klagte ihm ihr Leid und dabei entging ihr nicht die Farbenpracht seiner neuen, kostbar schillernden Haut. Überhaupt hatte er sich zu einem richtigen Froschmann entwickelt! war hingerissen. Schneidal begrüßte sie und bei ihrem Anblick regte sich sein schlechtes Gewissen, sie war ja total abgemagert! Er nahm sich ihrer an und verwandelte sie behutsam zurück in die braune Kröte Rosalie. Ferdi erwies sich als wunderbarer, empathischer Krankenpfleger und verwöhnte sie mit den schönsten Delikatessen.

 

 

Nach ein paar Tagen war klar, dass Ferdis langgehegter Wunschtraum endlich in Erfüllung gehen sollte:

Er wurde ihr Bräutigam und sie durfte sein Krötenweib sein! Sie gründeten in der Nähe eine neue Sippe und fortan gibt es zu den 300 Froschlurcharten noch eine Weitere!

 

 

 

 


 

Bild zu Der Tag, an dem Rosalie dem Froschkönig begegnete, Satire

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.08.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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