Michael Perkampus

Mauerwerk

Die Erinnerung ist aus den Gegenständen herausgeblasen, ihre Bedeutung leer. Es scheint für alles einen Zwilling zu geben, jeder real existierende Gegenstand ist gleichzeitig das Requisit eines Traumes. Diese Regale hier unten sind müde Bretter, aus einem toten Forst gebrochen, verwandelt, unseren Knochen so ähnlich, wenn sie zerstoßen, zermahlen, genagelt oder verschraubt die Flaschen Wein umkrallen, im Kellerstaub auf Nachschub warten, denn es sind noch Plätze frei.
Die Kälte des Hauses in den unteren Regionen hält die Gedanken frisch, die Seele verdorrt und zappelnd, wenn sie der Ewigkeit begegnet, die nur Mauerwerk ist. Der Fluß ist hier kaum hörbar; das Sonnenlicht verstirbt parterre an der Mauer, dringt höchstens in den Verputz, legt sich zu Ameisen, Weberknechten und Urmündern, die ohne Zwischenkörper gleich in den Proktos übergehen.
In diesem Keller sind vom Leben nur Spuren zu finden, in der Ecke aufgehäuft, in Kartons versteckt, die nach Moder riechen, so lange stehen sie schon hier. Das ist meine unterbewußte Heimat, der Traum von Vergänglichkeit und Wahnsinn, der Traum, den Tote träumen.
Die aufgestaute Hitze lungert wie eine Belagerungsmaschine um das Haus herum, die Sappeure jedoch scheitern, es bleibt kühl.
Neues Leben entsteht im Schleim der Verwesung, in der Dunkelheit und den Niederungen stinkender Höhlen. Der Schattentraum legt sich über ein Dorf, über ein Haus. Er läßt sich von jenen erkennen, die Träumen, ohne die Augen zu schließen. Vielleicht ist er ihr Verderben, vielleicht aber ihre Einsicht, still zu bleiben, nichts tun zu können, um die Sinnlosigkeit, die wie das Licht durch den Kosmos schreit, aufzuhalten. Diese Sinnlosigkeit, die angefüllt ist mit grotesken Verzerrungen und Bildern, die wir bei Tageslicht wohlmeinend deuten, die aber bei Nacht betrachtet ihre grausame Wahrheit offenbaren. Wir sind Staub, der durch die Gezeiten rast und nicht versteht, daß alles Sein nur das Spiel eines einfältigen Gottes ist, der darauf hofft, von irgendwo möge ein Wesen kommen, um ihn endlich zu erlösen.
Das Herz bleibt in der eigenen Vergangenheit, doch auch dort ist nicht die Stunde Null, nach der man sich fragt. Der Anfang ist ebenfalls nur eine menschliche Illusion wie vom Ende zu sprechen.
Es ist leicht, zurückzukehren, wenn man nie irgendwo gewesen ist. Dann schließt man die Augen und wartet auf gestern, das seiner Natur nach überall ist. Je ferner dieses Gestern, desto besser. Eine Pflanze, die längst ihre Sporen in den Weltenlauf gestreut hat als Symbol, eine Kerbe in einem Baum. Das ist das Datum. Ich bin das Datum. Ein Blick von dir, der Geruch des gemähten Grases, ein Song, so unbedeutend er auch sein mag. The Night has a thousand eyes.
Also bin ich mit dir unterwegs in dieses Dorf, das ich nie verlassen konnte, obwohl mein Körper unentwegt auf Wanderschaft besteht. Ich wäre nicht zurückgekehrt, wenn du nicht darauf bestanden hättest. Du wirst sehen, was ich gesehen habe, die Häuser, die Gassen – die ganze stillstehende Atmosphäre der Melancholie, die ich für immer mit mir herumtrage und die dich neugierig machte.
Wenn meine Träume unerträglich für dich wurden, sprachst du in der Dunkelheit auf mich ein anstatt wegzulaufen. Ich vernahm das Stimmengewirr der Toten, unter das sich deine helle Stimme mischte, die durch den gewaltigen Ton der Angst mich an meine Verantwortung erinnerte, die ich für dich habe, und so erwachte ich, ohne jedoch die Trugbilder abwenden zu können. Alle Schatten verwandelten sich in kriechende Erinnerungen, in totgeschlagene Fingerzeige im Embryonenstadium. Nichts wäre mir willkommener gewesen, als alle Tage lang zu schweigen. Ich bedaure zutiefst, was ich bin – jetzt führe ich dich an den Ort, an dem ich das wurde, was du liebst und fürchtest zu gleichen Teilen. Ich führe dich an den magnetischen Mittelpunkt der bizarren Kleinigkeiten, die wie in einem Museum darauf warten, betrachtet zu werden, bewegungsunfähig, an sich unsichtbar. Nur Reize und Impulse, nur bestätigt durch unsere Beobachtung erfüllen wir die Leere, die uns ein Spiegel ist. Ich werfe dir Blicke zu, während ich aus dem Auto steige, das Dorf in der Halbtotalen betrachte, zögernd nach vorne laufe, näher zur Brücke hin. Nichts hat sich verändert: Leere, die damit beschäftigt ist, nicht zu existieren. Genausowenig wie du.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.08.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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