Manfred Bieschke-Behm

Freunde



"Hi , wie geht’s?"
"Gut."
"Und dir?"
"Auch gut."
Wirklich?"
"Naja, also…"
Klaus merkt gleich zu Beginn der Begegnung, dass etwas nicht stimmt. Noch weiß er nicht, weshalb sein Freund Jonathan so verlegen erscheint und sich so wortkarg verhält. Meist wirkt er leicht überdreht und ist schwer zu bremsen, wenn er redet. Aber heute?
"Sag Jonathan, was ist los mit dir?"
"Mit mir? - Mit mir ist alles in Ordnung! - Wieso fragst du?"
"Na, weil ich es dir ansehe. Irgendetwas stimmt nicht mit dir. Tagelang meldest du dich nicht und jetzt habe ich den Eindruck, dass du mir am liebsten ausgewichen wärst. Ist es dir unangenehm, mich zu treffen?"
Während Klaus seinen Freund fragend ansieht und hofft, dass dieser merkt, dass es keinen Sinn hat, so zu tun, als wäre alles in Ordnung, fragt er: "Sag, Jonathan, liegt es an mir? Habe ich irgendetwas falsch gemacht?"
Als Antwort kommt nur ein schnödes:"Nö."
"Das ist mir jetzt zu blöd! Entweder du gibst mir eine anständige Antwort oder aber …"
"Oder aber? - Was oder aber?"
"Oder aber ich beende unser Gespräch."
Jonathan merkt, dass sich die Situation zuspitzt. Er muss jetzt mit seinem Freund offen reden. "Du Klaus, ich muss dir was sagen …"
"Na sag schon, was du mir sagen musst", fällt Klaus ihm ins Wort.
"Dass, was ich dir zu sagen habe, ist nicht ganz einfach für mich. Nicht umsonst habe ich mich ein paar Tage nicht bei dir gemeldet."
Klaus hört seinem Freund aufmerksam zu. Es spürt, dass es etwas Unangenehmes sein muss. Dieses Herumdrucksen ist er von Jonathan nicht gewöhnt. Eigentlich sagt er immer geradeheraus das sagt, was er denkt und meint. Heute aber ist das anders.
"So kenne ich dich gar nicht", gibt Klaus seinem Freund zu verstehen und erklärt, dass er sich über sein Verhalten in den letzten Tagen schon sehr gewundert hat. "Sonst telefonieren, chatten oder skypen wir ständig, und jetzt plötzlich ist tagelang Sendepause? Der wird seinen Grund haben, sich nicht zu melden. Wenn es was zu erzählen gibt, wird er sich schon melden, dachte ich mir …!
"Ja, ich habe dir was zu sagen", unterbricht Jonathan seinen Freund. Er versucht den Blickkontakt zu Klaus zu vermeiden, indem er an ihm vorbeisieht und seinen Blick auf ein bedeutungsloses Werbeplakat lenkt.
Klaus bleibt das sonderbare Verhalten seines Freundes nicht verborgen. Er hat eine Vermutung. Eine Ahnung, die ihm nicht gut tut. Er spürt, wie sich in seiner Magengegend etwa zusammenkrampft. Die Anspannung wird unerträglich. Klaus merkt, dass er die Verkrampfung lösen muss. Aber wie? Wird er jetzt gleich von Jonathan erfahren, um was es geht? Erfährt er eine Bestätigung seiner Mutmaßung? Und wenn ja, was passiert danach? Es sind zu viele Fragezeichen in seinem Kopf. Er will Klarheit. Jetzt. Und deshalb fragt er unverblümt: "Hat das was mit Stephanie zu tun?"
"Wie kommst du denn darauf, dass es was mit Stephanie zu tun haben könnte?"
"Ich weiß nicht. Ich habe so ein komisches Gefühl."
"Ein komisches Gefühl?"
"Auch Stephanie hat seit ein paar Tagen nichts von sich hören lassen …"
Klaus merkt Jonathans Unruhe. Nervös streicht er sich durch seine gepflegte Frisur und bringt diese in Unordnung. Jonathan spürt, dass ihm das Blut in sein Gesicht schießt, und sich seine Augen nervös hin und her bewegen.
"Nun komm schon. Raus damit."
"Womit soll ich raus kommen?"
"Hältst du mich für blöd?"
Obwohl in Klaus Wut aufsteigt, versucht er sich zu beherrschen. Er weiß nicht, ob sich seine Vermutung bestätigen wird. Hat Angst davor. Um Gewissheit zu bekommen, fragt er ohne Umschweife: "Hast du ein Verhältnis mit Stephanie?"
Jonathan hat mit dieser direkten Ansprache nicht gerechnet und versucht Zeit zu gewinnen, indem er sich eine Zigarette ansteckt. Dann endlich rückt er mit seinem Wissen raus: "Stephanie hat mir erzählt, dass sie sich in Lorenz, dem aus unserer Clique, verknallt hat. Sie bat mich, es dir nicht zu erzählen. Gleichzeitig weiß sie nicht, wie sie es dir beibringen soll."
Klaus weiß nicht, welche Reaktion angebracht ist. Er braucht ein paar Sekunden Zeit. Während er versucht, seine Gedanken zu sortieren bittet er seinen Freund um eine Zigarette, obwohl er das Rauchen vor vierzehn Tage eingestellt hatte, und sich geschworen hat, nie wieder zu rauchen.
Klaus und Jonathan lösen sich aus ihrer Umarmung. Sie schauen sich an. Sie reichen sich die Hände und sagen, wie so manches Mal zuvor 'Freundschaft'.
"Und wie geht es jetzt weiter mit dir und Stephanie?"
"Kann ich dir nicht sagen. - Vielleicht rufe ich sie an? - vielleicht auch nicht. Muss darüber nachdenken."
"Wollen wir heute Abend in den Club gehen - Weiber aufreißen?"
"Nee! Danach ist mir nicht. - Ein andermal ganz sicher."
Klaus und Jonathan gehen noch eine ganze Weile schweigend nebeneinander die Straße entlang. An der großen Kreuzung verabschieden sie sich.
Mit "Mach´s gut" verabschiedet sich Jonathan von seinem Freund. Er überquert die Straße. Klaus schaut ihm nach und merkt erst jetzt, wie schnell es gehen kann, jemandem etwas zu unterstellen. Klaus hat sich vorgenommen, gleich, wenn er zu Hause angekommen ist, seinen Freund anzurufen, um ihm zu sagen, wie viel ihm die Freundschaft bedeutet. Und vielleicht telefoniert er anschließend mit Stephanie.
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.08.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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