Cornelia Seidl

Ein schwarzer Tag

Es gibt immer wieder seltsame Tage, wobei nicht die Tage an sich seltsam sind, sondern das Gefühl dass man an solchen hat. Ich hatte schon immer einen guten Draht zu meinen Gefühlen, vielleicht könnte man auch sagen zu Übersinnlichem.

Wieder so ein Tag und ich stand auf wie jeden morgen. Später war ich auf dem Weg in die Schule, wie immer, nur Kopf und Bauch konnten sich nicht einig werden über das neue Gefühl, das mich von Minute zu Minute immer mehr beschlich.
Liegt es wohl an der Englischschularbeit heute? Nein ich weiß auch nicht irgendetwas ist anders. Ob ich was vergessen habe? Warte mal... hmm... Geld, Handy, Ausweiß, Schulsachen.. ich wüsste nicht was. Wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein. Andererseits hat mich mein Gefühl noch nie im Stich gelassen. Wie es Sabrina wohl geht? Sollte ich vielleicht kurz anrufen? Ihr wirds bestimmt gut gehen, ich bin vielleicht albern, bestimmt nur wegen der Schularbeit.

Der Gedanke an sie ließ mich auch Stunden später nicht mehr los. Seit über 8 Jahren waren wir untrennbar, was unsere Freundschaft anging. Da ich durch die Scheidung meiner Eltern umgezogen war, gingen wir auf unterschiedliche Schulen und wir konnten uns nur am Wochenende sehen, also fuhr ich jeden Samstag 2 Stunden zu ihr. Meine Vernunft sagte mir, es sei unwahrscheinlich dass etwas nicht in Ordnung ist, was sollte schon passiert sein. Vielleicht hat sie einen schlechten Tag oder eine schlechte Note, aber sonst...? Mein Bauch aber drängte sich regelrecht auf, bis ich zu dem Entschluss kam, dass es nicht ungewöhnlich ist meine beste Freundin anzurufen.

Plötzlich klingelte mein Telefon, wie geschockt las ich am Display: Sabi.
Einfach abheben, sie wird mir nur von ihrem neuen Schwarm erzählen wollen, ist doch nichts dabei. Aber was ist wenn etwas passiert ist? Ok, ich heb jetzt einfach ab, ist doch lächerlich...

“Hallo Mausal“, begrüßte ich sie freundschaftlich. “Hallo“ - alles war normal, sie klang weder traurig noch fröhlich, sie war freundlich wie sonst auch und trotzdem wusste ich dass etwas nicht stimmt. Lang genug waren wir schon Freunde und ich kenne sie besser als mich selbst. Ich rang mich dazu durch, einfach mal abzuwarten und hoffte dass mein Bauch sich irrt. “Wie gehts?“, fragte ich sie, doch nicht wie üblich kam die Antwort: man lebt... Sie schwieg. Sie blieb noch immer ganz ruhig, fast schon zu ruhig, nicht traurig, eher automatisch, als hätte sie das Denken abgeschaltet. Mir schien diese kurze Pause endlos, bis sie sagte: “Du, ich muss dir was ganz schlimmes sagen“. “Was ist passiert?“, bricht es sorgenvoll aber vorsichtig aus mir heraus.

Sie hat mir den Freund ausgespannt, nein das würde sie nicht tun, aber was dann? Fällt sie durch? Naja wär auch nicht so schlimm, außerdem ist noch lange nicht Schulschluss, gerade mal Frühling. Los sag schon, irgendwas stimmt nicht, was is los? Bitte sag mir dass du Ärger mit deinen Eltern hast, so wie immer wenn du mich anrufst und du ein Problem hast, ein Problem dass ich lösen kann, eines das wir lösen können, gemeinsam. Sag endlich! Ist sie noch dran, es muss was schlimmes sein..

“Sabrina?“. Endlich reagiert sie “Mein Bruder ist heute gestorben“. Es klang als würde sie sagen: Meine Katze hat etwas umgeschmissen. “Nein“, wisperte ich langsam und erkannte noch während ich es ausprach die Antwort, “Doch“, ich wollte es nicht glauben, “Nein“, sagte ich erneut während mir fast die Tränen kamen. Wir klangen beide nicht so als würden wir von ihrem Bruder sprechen, wir waren beide geschockt. Mir war klar dass sie nur so ruhig war weil sie nicht mehr weinen konnte und meine Stimme war noch halbwegs ruhig, weil ich sie nicht runterziehen wollte. Meine Gedanken überschlugen sich und ich wollte schon fragen wie das sein kann, da erzählt sie: “Heute war ich wie immer in der Schule, als ich aus hatte holte mich mein Vater ab. Er sagte mir dass mein Bruder von einem LKW überfahren wurde, während er einen LKW am Autobahnrand kontrollierte...“ sie unterbrach kurz und konnte die Tränen nicht mehr unterdrücken, trotzdem schilderte sie weiter: “der Fahrer hatte nicht nur Alkohol sondern auch Drogen im Blut. Sein Kollege war ebenfalls nicht mehr zu retten“. “Oh mein Gott“ sagte ich traurig “ich würd dich gern in den Arm nehmen, soll ich zu dir kommen?“, fragte ich sie. Sie antwortete nicht.

Ich kannte ihren Bruder, er war Polizist und seltsamerweise wusste ich auch vor ihrer Schilderung welchen Bruder sie meinte, denn sie hat zwei.

Nachdem ich aufgelegt hatte, flossen meine Tränen unaufhaltsam meine Backen hinunter. Später ging ich in die Küche und erzählte es meiner Mutter, die auch total entsetzt war. Ich stand also in der Küche - mit Blick auf den Fernseher - weinend, meine Mutter schockiert - und dann sah ich den Bericht in den Nachrichten.

Noch am selben Abend fuhr ich zu ihr und blieb auch am nächsten Tag, nur um sie in den Arm zu nehmen wenn sie es wollte.


Diese Geschichte ist nicht rein erfunden, die Grundlage dafür ist aus meinem Leben.. und es geht dabei auch um meine beste Freundin, die allerdings nicht Sabrina heißt.Cornelia Seidl, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.05.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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