Peter Somma

Schicksal

Schon lange beschäftigt mich der Gedanken, wieweit einem Menschen der freie Wille gegeben ist, zu tun und zu lassen was ihm beliebt, ob er für alles was er tut und lässt die Verantwort trägt, oder ob unser Leben mehr oder weniger vorgezeichnet ist, und uns nur kleine Umwege erlaubt sind, die uns letzten Endes aber doch zu dem, vom Schicksal Vorbestimmten zurückführen. Ob wir einem Schicksal unterworfen sind, das unser ganzes Leben prädisponiert und das ganze Dasein längst in einem großen Buch festgeschrieben ist, in dem schon bei der Geburt die Todesminute eines jeden Menschen eingetragen ist.

Im Folgenden möchte ich von Ereignissen erzählen, die sich in meinem Umkreis ereignet haben:

Rudolf war mit Friederike verlobt. Sie kannten sich schon lange und sie war seine erste Liebe. Vor ihr hatte er keine andere Beziehung gehabt und er war davon überzeugt, dass sie für ihn bestimmt sei.

Sie war nicht gerade ein Ausbund von weiblicher Schönheit, ihre Gestalt war, jetzt mit Achtzehn, zart, ja fast männlich. Ihr fehlten jene Formen, die sie später zu einer reifen Frau hätten machen können und die Gesichtszüge waren hart und man hätte glauben können, dass sich dahinter ein unverträgliches, streitsüchtiges Gemüt verstecken könnte.

Und trotzdem glaubte Rudolf, dass es keine andere Frau gäbe die für ihn in Frage käme, dass es keine andere geben könnte, die er lieben könnte, denn Rudolf liebte sie nun einmal und man wird annehmen müssen, dass er dafür gute Gründe hatte, die den anderen verborgen geblieben waren. Jedenfalls hatten er die Absicht gehabt, mit ihr beisammen zubleiben „bis der Tod sie geschieden hätte.“

Als Rudolf sich mit ihr zusammen tat, war er ein einfacher, anspruchsloser junger Mann, und war mit dem, was Friederike ihm bot zufrieden. Aber je länger sie zusammen waren, desto mehr fehlte ihm bei Friedericke Temperament, nicht nur im Schlafzimmer, wo bald Stillstand herrschte, und er langweilte sich mit ihr. Da hatte er dann die eine oder andere Affäre auswärts gesucht und hatte sich schließlich scheiden lassen von ihr und war allein geblieben.

Bis er Pauline traf. Pauline war damals nahe der Dreißig und zu einer voll erblühten Frau geworden. Ihr Gesicht hatte die alte Frische der Jugend erhalten, ihr Körper war üppig, und ihr Wesen war freundlich und heiter. Auch sie hatte in der vergangenen Zeit einige Erfahrungen mit Männern gemacht, aber hatte dabei nicht den richtigen gefunden. Rudolf, der lange genug mit der Teilnahmslosigkeit Friedericke gelebt hatte, blühte auf mit ihr, erlebte mit Paula das große Glück, das er mit Friederike ersehnt hatte und lebte mit ihr viele Jahre glücklich zusammen.

Irgendwann aber traf Rudolf eine Frau, der er nicht widerstehen konnte und er betrog Paula. Er ließ sich auf ein Verhältnis mit dieser Frau ein und glaubte, es vor Paula verborgen halten zu können, aber Paula kam ihm auf die Schliche. Sie war nicht so leicht aus der Fassung zu bringen, aber ein Verhältnis mit dieser, oder jeder anderen Frau hätte sie nicht geduldet. So ein Verhältnis hätte sie gekränkt und beleidigt. Deshalb ließ sie ließ sich scheiden und lebte fortan allein.

Sie war nun schon nahe den Sechzigern, wollte sich kein zweites Mal binden und musste das Altern alleine erleben und verstarb vereinsamt mit achtzig.

Friederike, die von Georg geschieden war, lernte Martin kennen, heiratete ihn nach kurzer Zeit, aber sie konnte nie glücklich werden mit ihm. Sie trennte sich sehr bald von ihm, lebte nun in der Liebe vagabundierend, erlebte dabei Dinge, von denen sie bisher keine Ahnung gehabt hatte und hätte wohl weiter so gelebt, wenn sie nicht wieder auf Georg gestoßen wäre.

Friederike war nun nicht mehr das hässliche, ahnungslose Entlein und war in der Zwischenzeit geistig und körperlich gereift. Ihr Körper hatte, trotz ihres Alters, immer noch eine mädchenhafte Gestalt, an der aber nun deutliche Rundungen zu erkennen waren. Ihr Gesicht, das keine Runzeln bekommen hatte, wirkte nun herb aber zugänglich. Die Erfahrungen, die sie in den vergangenen Jahren gemacht hatte, hatten ihrem Aussehen nicht geschadet, sondern ließen sie nun erfahren und gereift wirken.

Georg, der seine Jugendliebe nie vergessen hatte und sie nun im positiven Sinne verändert wieder sah, entflammte nun erneut für diese Frau, wusste dass er sie, so wie er sie jetzt sah und erlebte, mit ihr leben und alt werden wollte. Er verbrachte nun mit ihr zusammen, die Zeit, die ihnen noch geschenkt war, ohne zu heirateten, denn so wie sie, wusste jetzt auch er, dass er sie nie mehr verlassen würde und er erlebte mit ihr ein gemeinsames, glückliches Altern.

Ich, der ein stiller Beobachter der Ereignisse war, frage mich heute: Waren nun Friederike und Georg von allem Anfang an für einander bestimmt, war das Zwischenspiel mit Paula vom Schicksal vorgesehen, oder hatte es keine Bedeutung? Hätte Georg Friedericke nie kennen gelernt, wäre er dann mit Paula glücklich geworden? Oder war Paulas Schönheit für einen anderen bestimmt, den sie nie kennen gelernt hatte oder war es ihr vorbestimmt, nach einer kurzen Zeit der Liebe, allein zu bleiben und im Alter zu vereinsamen? Oder hätte sie sich dagegen wehren können, hätte sie Georg an sich fesseln müssen, hätte sie das gekonnt? Hätten alle Beteiligten anders handeln können, war dieses Geschehen das Ergebnis des freien Willens der Beteiligten, oder war es Bestimmung, längst festgelegt von einer höheren Macht? Längst vorgesehen und festgelegt in einem Buch des Schicksals, von dem wir keine Ahnung haben? Ich weiß es nicht.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.08.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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