Christa Astl

Die blinde Prinzessin


 
 
Vor langer Zeit lebte irgendwo im weiten Land in einem kleinen versteckten Schlösschen im Wald ein Graf mit seinem Jungen. Das Schloss war früher in einem wunderschönen gepflegten Park gestanden, doch als die Mutter des Jungen starb, konnte sich sein Vater über nichts mehr freuen. Er schaute kaum mehr aus dem Fenster, sein ehemals so geliebter Park interessierte ihn nicht mehr und er ließ keine Blumen mehr vor dem Schloss anpflanzen.
So hatten die Samen der Bäume genügend Platz um zu keimen. Statt des Blumenrondells begannen junge Fichten, Föhren und Tannen zu sprießen. Dazwischen öffneten Ahorne ihre Blätter. Und über ein paar Jahre war das Schloss ringsum von einem dichten Wald umgeben.
Der Junge liebte den Wald, und im Herbst wanderte er gerne unter den Bäumen, um Zapfen, Samen und Früchte aufzulesen. Zuhause legte er diese zu einem Bild zusammen. Auch getrocknete Blumen, Blätter, Stängel oder Rindenstückchen arbeitete er dazu ein.
Die Bilder durfte er dann im Schlafzimmer seines Vaters aufhängen, doch sie entlockten ihm nur ein mattes Danke.
Der Junge, der ja keine Spielkameraden hatte, machte immer schönere, buntere Bilder. Bald fand er auch Gräser, die er flechten konnte, sodass schöne Schnüre entstanden. Hübsch geformte Steine, die er am nahen Bach fand und bemalte, befestigte er an diesen Grasschnüren und hängte sie sich als Ketten um. Er schmückte sich selber gerne damit, hätte seine schönen Dinge aber noch lieber weitergeschenkt, um jemandem eine Freude zu machen.
So beschloss er eines Tages, aus dem Wald hinaus zu gehen, der Vater würde ihn ohnehin nicht vermissen. Er packte seine schönsten Bilder und Ketten ein und ging im Morgengrauen los, denn er wusste ja nicht, wie lange er brauchen würde, um aus dem Wald zu kommen.
Er war bereits einige Stunden gewandert, die Sonne stand schon hoch und am blauen Sommerhimmel, als er fröhliche Stimmen hörte. Da kam er zu einer Lichtung, auf welcher einige Mädchen Lieder sangen und dazu tanzten. Er schaute ihnen eine Weile zu, denn das Tanzen war ihm ungewohnt und fremd. Da kamen die Mädchen zu ihm und umringten ihn neugierig. Der Schmuck, den er umhatte, gefiel ihnen über die Maßen und er zeigte ihnen alles, was er noch in seinem Bündel mit sich trug. Ein Mädchen, das schöner als alle anderen gekleidet war, sagte zu einem anderen: "Lauf schnell nach Hause und lass dir vom Schatzmeister ein paar Goldstücke geben, ich will alles kaufen, was dieser Junge hat". Dann hängte das schöne Mädchen jedem eine Kette um und sie sahen alle sehr hübsch aus.
Schmuckstücke und Geld wechselten ihre Besitzer und der Junge lief heim in sein Waldschloss. Immer wieder musste er an dieses Mädchen denken und wollte sie wieder sehen. Er musste neue Sachen machen, denn es freute ihn, dass diese jemandem gefielen. Stundenlang ging er suchend am Ufer herum, um kleine, bunte Steine für ein Mosaik zu finden, in welchem er sein Schloss nachbilden wollte. Die Sonne durfte auf dem Bild nicht fehlen, und dafür presste er Blätter der Butterblume. Der blaue Himmel sollte aus Vergissmeinnicht bestehen. Die Bäume um das Schloss formte er aus echter Rinde und Fichten- oder Föhrennadeln. Es dauerte lange, bis das Bild fertig war, und er wollte es dem hübschen Mädchen schenken. Er fand die Wiese wieder, aber niemand war hier. Traurig und enttäuscht ging er weiter. Der Wald war hier nicht mehr so dicht, und er konnte Mauern einer Burg durchscheinen sehen. War er wieder nach Hause gekommen?
Nein, es war eine andere Burg, nämlich die des Königs, welcher der Vater des schönen Mädchens war.
Viele Menschen standen und liefen auf dem Vorplatz des Schlosses herum, sie schienen in großer Aufregung zu sein. Der Junge mit seinem Bild kam näher um zu hören, was hier geschehen sein könnte. Soeben schritten ein paar ältere Männer, fein gekleidet, mit großen Hüten auf dem Kopf und schweren Taschen in der Hand, zum Tor heraus. "Konnte man ihr helfen?", rief einer der neugierig Wartenden. Der älteste der Männer blieb stehen, schaute traurig in die Menge und begann zu sprechen: "Nein, leider kann niemand mehr der Königstochter ihr Augenlicht, das sie durch ihre Krankheit verloren hat, zurück geben. Sie wird wohl ständig und für ihr ganzes Leben blind sein." Ein Jammern und Klagen ging durch die Menge. Der Junge fragte ein Mädchen, das neben ihm stand, um wen es sich denn handle. Sie schaute ihn an und sagte: "Wir kennen uns doch? Du hast doch den Schmuck gemacht, der meiner Herrin so gut gefiel, ich bin heim um das Geld zu holen. Ja, meiner Herrin, der lieben Prinzessin, geht es sehr schlecht. Sie ist durch ein böses Fieber erblindet. Traurig sitzt sie nun in ihrer Finsternis und hat solche Sehnsucht nach dem Wald und dem Bächlein mit seinen glatten schönen Steinen."
Der Junge sah auf sein Bild, auf welchem Steine, Teile von Blumen und Bäumen zu sehen waren. Er strich mit der Hand darüber, da konnte er die Rinde, die Föhrennadeln, die Blütenblätter und die Steine spüren! Er zeigte das Bild dem Mädchen neben sich und fragte, ob er nicht zur Prinzessin hinein dürfte. Das Mädchen musste aber erst einen der Ärzte, die sie gerade noch erwischen konnte, fragen. Er war von der Idee beeindruckt und erlaubte es gerne.
Etwas beklommen kam der Junge in das große Schloss, stieg langsam die breite Treppe hinauf und sein Herz klopfte noch lauter als seine Schuhe auf dem blanken Marmorboden.
Die Prinzessin saß auf einem Stuhl, die Sonne lachte durchs Fenster zu ihr herein, aber sie schien es nicht wahrzunehmen. "Wer ist hier"?, fragte sie, da sie die fremden Schritte vernommen hatte. "Ich bin es, der Junge vom Wald, der dir damals den Grasschmuck gegeben hat." - "Und was willst du, weißt du nicht, dass ich nie mehr in den Wald komme, und dass ich nie mehr seine Schönheit sehen werde?" Und die Tränen rannen aus ihren blinden Augen.
Da ging der Junge auf sie zu, reichte ihr sein Naturbild und führte ihre Finger über das Schloss aus den kleinen Steinchen, die Sonne aus Blütenblättern und die Bäume, die aus echten Baumteilen gelegt waren. Erstaunt tastete die Prinzessin über all die ihr bekannten Materialien, immer wieder glitten ihre Finger darüber, immer mehr erhellte sich ihr Gesichtchen. Dann wandte sie ihm ihre blicklose Augen zu und lächelte ihn an. "Das schenke ich dir!", sagte der Junge und legt ihr seine Hand auf den Arm. Sie ergriff die Hand, tastete seinenen Arm entlang und umarmte schließlich den Jungen und sagte: "Danke! Jetzt hast du mir den Wald nach Hause gebracht!" - "Ich will dir gerne noch mehr bringen, in ein paar Tagen komme ich wieder!"
Zu Hause angekommen, lief der Junge schnurstracks zu seinem Vater und erzählte sein Erlebnis. Der Vater hörte erst gleichmütig, dann aber immer aufmerksamer zu. Schließlich stand er auf von seinem Bett, zog die Vorhänge zurück und erkannte plötzlich dankbar, wie schön draußen die Sonne schien. "Ich werde mit dir in den Wald gehen und dir helfen, schöne Sachen zu finden", versprach er seinem Sohn. Er half auch beim Zusammenstellen des Bildes und ging dann mit durch den Wald und zu der blinden Prinzessin. Beide wurden freundlich aufgenommen und durften im Königsschloss wohnen und die Prinzessin saß dabei, wenn der Junge neue Bilder für sie machte. Sie lernte bald, die geeigneten Sachen zu ertasten, die er an der richtigen Stelle einpasste. Der Vater des Jungen wurde ein guter Freund und Berater des Königs.
 
 
 
ChA 30.08.14
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.09.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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