Heinrich Soucha

Der Tag als Dmitri Schostakowitsch einfach verschwand;



Bomben fielen an diesem 17. September. Aber das war nichts Neues.

Flaks feuerten kurze, bellend-blinde Antworten, in den undurchdringlichen Nachthimmel.

Leningrad, von der deutschen Wehrmacht eingeschlossen, brannte.

Den Häuserruinen entstiegen fette, schwarze Rauchwolken, begleitet vom ständigen Ächzen, Knacken und Stöhnen,
zersplitternder Holzbohlen, dem Bersten von malträtierten Dachstühlen dieser Stadt, die weithin, ihre Botschaft des Sterbens,
in einem nach oben geschlossenen Himmelskamin trugen.

Hitze und fetter Ruß der brennenden Häuser, stieg nach oben und wurde von der Eiseskälte der Nacht,
in giftig, schwarzen Rauchschwaden zurück in die Straßen der Stadt geworfen.

Es roch nach verbrannten Altöl und geselchten - was auch immer. Auf der Straße und den Plätzen herrschte Panik. 

Eine Promenadenmischung, völlig verstört  und außer sich, laut bellend, auf der mit Bombentrichtern übersäten Straße
und kaum 50 Meter entfernt, ein Mann mit Stiefeln, Mantel, Pelzmütze, der sich jetzt rasch mit gezogener Tokarev dem Tier näherte.

Wer die Stadt verlassen wollte starb. Wer in der Stadt blieb verhungerte. Zig tausende die in der Stadt verharrten,
waren einfach verhungert und es würden noch mehr werden. Hund, Katze, Ratte, standen auf der Speisekarte.

Doch die jäh aus der Nacht geborene, in dunkle Tücher eingehüllte, grazile Gestalt war schneller, als der Mann mit der Pistole.

Mit eleganter Schnelligkeit nahm sie  den Hund auf und dieser drückte sich dankbar, zitternd an sie.
Die beiden Gestalten verschmolzen miteinander und verschwanden jäh in der Schwärze der gegenüberliegenden Hauseinfahrt.

Der Mann, der in seiner rechten Hand noch immer die Dokarev Pistole trug, fluchte. Abrupt und verärgert kehrte er um 
und ging in die Richtung aus der er gekommen war.

Schostakowitsch saß  wieder an seinem Schreibtisch und fieberte. Sein Körper befand sich in den kleinen Raum,
den er seine Behausung nannte. Drei Schritte maß sein Zimmerchen zur Mitte. An der Wand gegenüber, befand sich ein alter,
stark gebrauchter, aber voll funktionsfähiger Flügel, auf dessen dunkler, glatt-glänzender Oberfläche, sich ungeordnete
und eilig beschriebene, cremefarbene Notenblätter befanden. Davor stand ein unpassender, aber dennoch bequemer, brauner Walnusshocker.

Dmitris Körper und Geist, hatten sich mit dem Chaos das in der Stadt herrschte abgefunden.

Die kleinen kaputten Fensterscheiben, waren zur Straße mit schwarzen Tuch verhangen, doch die unmittelbare,
sich Zutritt verschaffende Nachtluft, drang ungebührlich in den kleinen Raum und brachten neben dem Gestank der Straße,
das am Schreibtisch seiner Mutter stehende Petroleum Licht bedenklich zum Flackern.

Stunden vergingen so und er wusste nicht mehr, wie lange er, ohne Nahrung zu sich zu nehmen, an seinem Schreibtisch saß
und am 2. Satz seiner 7. Symphonie arbeitete. Gefangen zwischen zwei Welten und seit mehr als acht Stunden, in dem kleinen Zimmerchen,
in das er sich vor fast genau einem Jahr eingemietet hatte.

Jetzt wollte er sich keine Unterbrechung mehr gönnen. Wie ein Getriebener, führte ihn die Eingebung, kratzte die Feder über das Papier
und führte ihn durch wogende Wellen, die bis zum Himmel reichten.

Sich Verlieren und Aufgehen in seiner Sache schienen eins. Und so kam es, dass Dmitri einfach aus dem kleinen Zimmerchen,
seiner Stadt und damit, aus seiner ihm so irreal erscheinenden Welt verschwand, ohne diese Welt des Hasses, des Wahnsinns
und der Schmerzen zu vermissen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.09.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Mit dem Schreiben und Dichten, ist das so eine Sache.So war ich oft der Meinung, nur lyrisch Schreiben zu können, falls ich mich in einem annähernd, seelischen Gleichgewicht befände, erkannte aber bald die Unrichtigkeit dieser Hypothese.Wichtig allein, war der Mut des Eintauchens.Das Eins werden mit dem kollektiven Fluss des Ganzen. Meine Gedanken, zärtlich zu Papier gebrachten Gefühle,schöpfte ich stets aus diesem Fluss.

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