Rudolf Kowalleck

Das gebrochene Herz


 
Da war keine Freude mehr in ihr. Da war nur noch Kälte in ihrem Herzen.
 
Oft lag sie nachts stundenlang wach und fand nicht in den Schlaf. Aber noch unerträglicher war, neben sich ins Leere zu greifen.
 
In ihrem Haus lachte niemand mehr und wenn jemand sprach, war sie es.
 
Der Doktor hatte ihr Tabletten verschrieben, aber die machten so schläfrig, dass sie nichts mehr im Haushalt schaffte.  Vor allem alleine einkaufen zu gehen, fiel ihr schwer – früher hatte ja ihr Rüdiger die Taschen getragen.
 
Jeden Tag merkte sie mehr, wie sehr er ihr fehlte. Da war kein Mensch mehr, der ihr zuhörte, der sich für sie interessierte, der sie liebte. Sie war vollkommen allein.
 
Oft deckte sie den Tisch noch für zwei Personen, einfach so, aus alter Gewohnheit, weil sie es immer gemacht hatte und dann saß sie alleine beim Frühstück, sprach mit dem leeren Stuhl ihr gegenüber und schob den Teller mit dem Brot wieder fort, weil sie keinen Bisschen hinunter bekam.
 
Jeden Morgen nach dem Frühstück besuchte sie sein Grab, denn die Grabpflege war ihr als einzige Beschäftigung geblieben.. Auch an diesem Tag machte sie sich auf den Weg zum Friedhof.
 
Sie entdeckte die Bescherung schon von weitem.  Irgendwelche Vandalen hatten sich am Grab ihres Mannes zu schaffen gemacht. Blumen waren aus dem Beet gerissen und achtlos fortgeworfen worden und das Grablicht zerstört.
 
„Was sind das bloß für Menschen?“, sagte sie zu sich selbst.
 
Dabei fiel es ihr immer schwerer, das Grab zu pflegen. Das viele Bücken machte sich schmerzhaft im Rücken bemerkbar, und jetzt das.
 
Als Rüdiger damals geahnt hatte, dass es mit ihm zu Ende ging, hatten sie offen darüber gesprochen. Er war kein Mann gewesen, der den Tatsachen nicht ins Auge blicken wollte.
 
Eines Morgen hatte er ihr gesagt, dass er verbrannt werden wollte.
 
„Wer soll sich denn um die Pflege kümmern?“, hatte er sie gefragt. „Du mit deinem Rheuma vielleicht?“
 
Aber Maria hatte das abgelehnt. Dieses neumodische Verbrennen, Verscharren und Vergessen kam für sie nicht in Frage. Eine menschenwürdige Bestattung sollte er bekommen, mit allem, was dazugehörte, inklusive eines Grabsteins, der diesen Namen auch verdiente.
 
Am Ende hatte er nachgegeben. „Wenn du meinst“, hatte er gesagt und danach hatte sie nie wieder über dieses Thema gesprochen.
 
Sie musste zugeben, dass alles gleich so teuer werden würde, hätte sie auch nicht gedacht.
 
An diesem Tag hatte Maria keine Kraft mehr, das Chaos zu beseitigen. Müde setzte sie ich auf eine Bank in der Nähe. Sie schloss die Augen und dachte an damals, als sie noch glücklich waren.
 
Seltsam, dachte sie. Ab einem gewissen Alter lebt der Mensch offensichtlich nur noch nach rückwärts gewandt.  Warum, wusste sie auch nicht. Vielleicht lag es daran, dass die bereits zurück gelegte Strecke weit größer ist, als die noch vor ihm liegende.
 
 „Ach könntest du noch bei mir sein“, flüsterte sie.
 
 „Hallo, mein Schatz“, sagte eine Männerstimme.
 
Maria erschrak. Die Stimme ihres Mannes hatte sie sofort wiedererkannt.
 
„Oh, habe ich dich erschreckt? Entschuldige, das wollte ich nicht.“
 
„Aber, du bist,  du bist….“, stotterte Maria.
 
„Tot?“, fragte Rüdiger und lächelte.
 
Erst jetzt fiel Maria auf, dass er so jung aussah wie damals. Seine Haare waren wieder schwarz und die Spuren, die diese verdammte Krankheit tief in sein Gesicht geritzt hatte, waren wie weggeweht. Er reichte ihr seinen Arm.
 
„Darf ich bitten?“
 
Auf einmal ertönte eine Walzermelodie. Sie befanden sich in einem Park. Im nahe gelegenen Pavillon spielte ein kleines Orchester. Wie ihn Trance ließ sie sich von ihm im Takt der Musik wiegen.
 
Um sie herum waren andere Paare wie aus dem Nichts aufgetaucht und tanzten ebenfalls. Alle trugen festliche Kleider wie auf einem Ball.
 
Maria sah sich um und entdeckte nur bekannte Gesichter. Da war Ihre Schwester, die schon vor Jahren gestorben war, ihre Eltern und Großeltern,  Onkel und Tanten, die ganze Familie und sogar ihre alte Schulfreundin Hilde. Sie spürte ein unglaubliches Gefühl von Frieden in sich.
 
„Wohin gehen wir?“, fragte sie und Rüdiger antwortete sanft: „Ins Licht. Wohin denn sonst?“
 
Robert Sander betrat die Küche, stellte die Einkäufe gab und gab seiner Frau Susanne einen Kuss, die bereits zu kochen angefangen hatte.
 
„Das riecht aber gut“, sagte er.
 
Susanne sah zu ihren Mann an.
 
„Was ist?“, fragte sie. „Du siehst irgendwie so nachdenklich aus.“
 
„Stell dir vor. Beim Bäcker haben sie erzählt, dass die alte Frau Reinders gestorben ist. Sie saß tot auf einer Bank ganz in der Nähe von dem Grab ihre Mannes. Der Friedhofsgärtner hat sie gefunden. Sie soll ganz friedlich eingeschlafen sein, heißt es. Sie soll sogar noch gelächelt haben.“
 
„Vielleicht hätten wir uns doch ein wenig mehr um sie kümmern sollen?“
 
Robert nahm Susanne in den Arm.
 
„Du musst kein schlechtes Gewissen haben“, tröstete er sie. „Wir haben getan, was wir konnten und wir haben wahrlich genug mit unseren eigenen Sorgen zu tun.“
 
Wirklich beruhigen konnte er sie mit seinen Worte nicht.
 
„Du kannst schon mal den Tisch decken“, sagte sie. „Das Essen ist fertig.“
 
 
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Rudolf Kowalleck).
Der Beitrag wurde von Rudolf Kowalleck auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.09.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Rudolf Kowalleck als Lieblingsautor markieren

Buch von Rudolf Kowalleck:

cover

Unternehmen Wampenschmelze: Hartmann macht Diät (Das Leben ist Hartmann) von Rudolf Kowalleck



Eine bissige Satire auf den Schönheits- und Schlankheitswahn in unserer Zeit.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (2)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Besinnliches" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Rudolf Kowalleck

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Hände meines Vaters von Rudolf Kowalleck (Besinnliches)
Der alte Mann und der Hund von Engelbert Blabsreiter (Besinnliches)
Nacht am Meer von Rainer Tiemann (Leidenschaft)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen