Olaf KF

Aufrüstung

Aufrüstung

 

Es ist mir bis heute ein Rätsel warum Spandau, seinerzeit eigentlich eine Hochburg der west-deutschen Punkbewegung, Anfang der 80er Jahre gleichzeitig eine Hochburg rechtsradikaler Skinheads werden konnte. Eigentlich wollten wir nur ein bisschen Spaß. Wollten ein wenig gegen die Spießigkeit der bürgerlichen Gesellschaft protestieren. Nun aber mussten wir mühsam eine zweite Front aufmachen, mussten uns gegen die unerbetenen Besuche brauner Plagegeister wappnen und wehren.

Das tat jeder von uns auf seine Weise. Ich zum Beispiel hatte keine Lust, mir von diesen Rohlingen die Art der Auseinandersetzung diktieren zu lassen. Gegen ein Kräftemessen hatte ich nichts einzuwenden. Aber auf welchem Feld das stattfindet – da wollte ich ein Wörtchen mitreden. So kam es, dass ich immer dann, wenn die Quälgeister bei uns aufkreuzten, mich nicht auf einen Prügel-, sondern auf einen Laufwettkampf einstellte. Ich hatte lange Beine, ich hatte eine gute Kondition. Und sobald sie nah genug waren, begann der Kampf. Ich lief los, so schnell ich konnte, sie liefen hinter mir her. Aber eingeholt haben sie mich verdammt noch mal nie! (Die allermeisten von ihnen waren leider viel zu dumm, um zu merken, wie ich sie damit demütigte.)

Andere von uns hatten andere Methoden. Erik zum Beispiel. Erik war schmächtig. Klein an Wuchs. Dünne Arme. Erik reagierte auf die Gefahr, die uns durch die braunen Lumpen drohte, mit einem individuellen Aufrüstungsprogramm.

So war Erik – zum einen – der erste von uns, der sich eine Wumme zulegte. Keine richtige. Aber eine mit Tränengasmunition (die von einer echten nicht zu unterscheiden war). Etliche Konfliktsituationen konnte er allein dadurch befrieden, dass er seinen Kontrahenten seine Wumme zeigte. Denn: Eine Schlägerei hatte für viele einen hohen Reiz. Auf eine Schießerei aber hatte keiner Lust.

Zum anderen ging Erik irgendwann nie – und zwar wirklich: nie – mehr ohne Rüstung aus dem Haus. Seine Rüstung war seine Lederjacke. Wir wussten ja aus friedvolleren Zeiten, dass er schmächtig war. Aber außer uns wusste das bald niemand mehr. Auch wenn wir uns im Hochsommer bei über 40°C am Kiesteich zum Baden trafen, auch wenn wir bei einem Punk-Konzert vom Pogo so durchgeschwitzt waren, dass man uns hätte auswringen können: Erik war der einzige, der unbeirrt die Lederjacke anbehielt.

Aber wie das mit der Aufrüstung so ist. Sie ist eine Spirale. Eine teuflische Spirale. Immer befürchtet man, man wäre noch nicht gut genug gerüstet. Weitere Schritte wären nötig. Und dann rüstet man nach. Tut dieses und jenes. Und findet weder Ruhe noch Frieden.

Bei Erik war das genau so: Irgendwann begann er, die Lederjacke, die er - wie gesagt - absolut niemals auszog, mit Nieten auszustatten. Angefangen hatte er wohl auf den Schultern, dann die Arme runter, Rücken, Jackenaufschläge – am Ende gab es an der Jacke im Prinzip keine Stelle mehr, an der er keine Nieten untergebracht hätte.

Das hatte Folgen. Zweifelsohne sah seine Jacke mit jeder neuen Niete noch geiler, noch punkiger, noch mehr nach Hardcore aus. Aber irgendwann war die Jacke so schwer geworden, dass sie ihn total behinderte. Wie gesagt: Im Sommer und auf Konzerten war es schon ohne Nieten verdammt hart, immer die Jacke anzubehalten. Nun aber kam noch das Gewicht von mehreren Kilo Blech dazu! Was für ein Kreuz hatte er sich da auferlegt! Denn während wir lustig Pogo tanzten oder im Kiesteich badeten, saß oder stand er schlechtgelaunt in seiner zwar imposanten, aber sauschweren Lederjacke daneben, schwitzte wie blöd und schaute uns finster zu. Der gute Erik – in solchen Augenblicken eine seltsame Mischung aus Punk, Ritter und Gürteltier.

Dann aber kam der Tag, an dem sich Erik aus seiner teuflischen Aufrüstungsdynamik befreien konnte. Es muss im Herbst 1983 gewesen sein, da zog unsere kleine Punk-Clique nach Kreuzberg, weil in irgendeinem düsteren Punk-Club irgendein geiles Konzert stattfinden sollte. Und irgendwie muss die Musik dort tatsächlich so geil gewesen sein, dass Erik an dem Abend das tat, was er sonst nie tat: Er zog seine verdammte, mit zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich mehr als 1.500 Nieten vollgezwickte Lederjacke aus und tanzte mit uns wilden Pogo. Zwar nur ein Lied lang. Aber immerhin. Wir waren gerührt und freuten uns, unseren Erik mal wieder gut gelaunt und ausgelassen zu sehen. Endlich war der alte Dickkopf wieder in unserer Mitte.

Damit hat die Geschichte ein happy-end und könnte zu Ende sein. Sie ist es aber nicht. Denn als Erik zu seiner geilen Jacke zurück kam, war sie weg. Da zieht er das Mist-Ding einmal in fünf Jahren aus – und dann ist sie drei Minuten später nicht mehr zu finden. Natürlich halfen wir bei der Suche, schauten hier und schauten dort – aber es war tatsächlich so: Das Ding blieb unauffindbar. Ein paar Tage später kaufte sich Erik dann gezwungenermaßen eine neue Lederjacke. Auf die hat er, soweit ich mich erinnere, dann keine einzige Niete mehr gezwickt.

(Eine traurige Geschichte ist das übrigens nicht. Im Gegenteil. Denn Erik konnte nun endlich wieder unbeschwert durchs Leben gehen. Der Jacken-Dieb wiederum hat duch den Verkauf von ca. 1500 Nieten sein Taschengeld aufbessern können. Und ich: Ich fühlte mich bestätigt, dass der sportliche Wett-Lauf die wesentlich bessere Methode war, auf die Besuche der braunen Brut zu reagieren...)

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Olaf KF).
Der Beitrag wurde von Olaf KF auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.09.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Olaf KF als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Planet der Isolanten - Ein anderes Märchen von Gabi Mast



Die Menschheit macht kaum noch Schwierigkeiten. Die großen Probleme sind gelöst, als da sind:
Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, Kriege, Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit.
Bis sieben Personen einen darauf trinken...

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Erinnerungen" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Olaf KF

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

It's a punky Faschingsparty von Olaf KF (Erinnerungen)
SPARSAME ZEITEN von Christine Wolny (Erinnerungen)
Das kann ja heiter werden von Siegfried Fischer (Schule)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen