Heinrich Käbberich

Konsequent Vabanque

Eine Kurzgeschichte auf einem Traum basierend

In der Münchener Niederlassung unserer Firma die bundesweit Büro- und Sanitärcontainer für Bau- und Konstruktionsfirmen vermietet, ausstattet, versorgt und wartet, mußte sich der Niederlassungsleiter einer schweren Operation unterziehen und unter Berücksichtigung einer REHA-Maßnahme fiel er für mindestens drei Monate aus.

Ich hatte den Auftrag erhalten als „Feuerwehr“ zu agieren und während seiner Abwesenheit für einen geordneten Geschäftsablauf zu sorgen.

Die Münchner Mannschaft bestand aus zehn Servicetechnikern, die sowohl für das Ausliefern, Aufstellen und die Wartung der Container zuständig waren, zwei Außendienst Mitarbeitern die für den Verkauf unserer Dienstleistung zuständig sind und einer Sachbearbeiterin im Büro.

Einen Teil der Mannschaft kannte ich bereits, weil alle Mitarbeiter bei uns in Düsseldorf die Einführungsschulung und Weiterbildung besuchen.

Nach einigen Tagen fand ich in der Nähe meines Hotels eine angenehme ruhige Eckkneipe, die eine vorzügliche bodenständig-bayrische Küche pflegte, die mir immer mehr zusagt als diese überzogene „moderne“ Sterne-Küche eines Gourmettempels.

Nichts gegen die Qualifikation dieser Köche, aber ich will satt werden und bevorzuge deftige Kost.

Mit der Zeit fiel mir auf, daß täglich so ab dem späten Nachmittag an einem kleinen Tisch am Fenster in der Nähe des Eingangs ein gutaussehender Mann mit intelligenten Gesichtszügen und Augen saß, der ganz untypisch für eine bayrische urige Eckkneipe Weintrinker war.

Seine Augen verbreiteten eine Mischung aus Melancholie, Traurigkeit und einer klaren Distanziertheit zum Rest der Anwesenden.

Wenn man vor ihm die Kneipe betrat, befand sich immer ein „Reserviert“ Schild auf dem Tischchen.

Von dort aus übersah man fast den gesamten Kreuzungsbereich.

Was mir besonders auffiel – immer wenn er ein frisch gefülltes kleines Glas Wein erhielt, hob er es an und prostete dezent – keiner Person – sondern skurriler Weise der Strassenkreuzung zu.

Zunächst amüsierte ich mich über die scheinbare Marotte und hielt ihn für einen harmlosen etwas spleenigen Menschen.

Allerdings passte dies nicht zu seiner sonstigen Ausstrahlung.

Diese Beobachtungen und einige andere Kleinigkeiten mehr in seinem Verhalten und seiner Körpersprache erregten in zunehmenden Maße meine Aufmerksamkeit und mein Interesse an seiner Person.

Gleichzeitig hielten mich seine Augen auf Distanz.

Nach rund sechs Wochen unauffälliger Beobachtung war aber meine Neugier so groß geworden, daß ich kurzentschlossen seinen Tisch ansteuerte und ihn fragte, ob er mir gestatten würde ihm für eine begrenzte Zeit Gesellschaft zu leisten, ich sei nicht auf eine wie immer geartete Kumpanei aus, sondern konfrontierte ihn mit meinen Beobachtungen und schilderte ihm meine Neugier die mich nicht zur Ruhe kommen ließe.

Zu meinem Erstaunen flog über das Gesicht mit den etwas traurigen Augen das erste halbwegs erkennbare Lächeln, daß schon fast den Eindruck bei mir hinterließ, als ob ihn meine Neugier amüsieren würde.

Meine Offenheit über meine Beweggründe schafften es wohl, daß er mich nicht zu gehen bat, sondern daß seine Arme weiter auseinander gingen – was körpersprachlich ein „willkommen – ich bin offen für Sie“ signalisierte.

Auch sein Gesicht wurde zunehmend „heller“ als wir die ersten „Abtastungen“ machten über das Thema Beruf und die damit verbundenen Tätigkeiten.

Als diese Aufwärmphase erfolgreich hinter uns lag, wollte ich ganz konkret gerne wissen, warum er immer an diesem Tisch sitzt und der Kreuzung so dezent zuprostet und mit keinem Gast kommuniziert.

„Da ich Sie nicht für einen oberflächlichen Menschen halte, der nur nach einem kurzen Unterhaltungsmoment aus ist, will ich Ihnen gerne die Umstände schildern die mich zu meinem für Sie zunächst unverständlichem Handeln bewegen,“ antwortete er mir mit seiner angenehm ruhigen tiefen Tonlage.

„Ich hatte bis vor gut drei Jahren noch einen Lehrstuhl im Fachbereich Landwirtschaft und Forsten hier in München.

Die Verwaltung des Nationalparks Bayrischer Wald beauftragte mich mit einer Studie über die Folgen und Auswirkungen des Verbisses von jungen Bäumen durch Rotwild im Nationalpark.

Mit einer 15-köpfigen Auswahl von Studenten führten wir also in einem Zeitraum von drei Monaten im Frühsommer in den von der Verwaltung festgelegten Planquadraten unsere Exkursion durch und zeichneten die relevanten Daten auf.

Video und Bildaufzeichnungen ergänzten unsere statistischen Erhebungen.

Wir hatten unseren Auftrag erledigt, die Studenten fuhren mit dem Material zurück nach München um die Studienarbeit an der Uni abzuschließen, zu ordnen um sie dann fertig mir vorzulegen, damit ich sie sichten und abzeichnen kann, um sie anschließend der Verwaltung des Nationalparks zu präsentieren.

Da Vorlesungsfreie Zeit war, wollte ich die Zeit nutzen und noch vierzehn Tage allein durch die Wildnis wandern um in der Natur die Kraft zu sammeln, die ich anschließend für die Lehrtätigkeit dringend benötigte.

Nach knapp einer Woche begegnete ich einer kleinen Gruppe Kinder im Alter von neun bis zehn Jahren, die mit einer weiblichen Betreuung auf einer Trekkingtour durch den Nationalpark unterwegs war.

Im Lauf des Gesprächs erfuhr ich, daß sie Schüler eines Gymnasiums in Hamburg seien und jedes Jahr dieser Jahrgang der Klasse 5 zwei Wochen des Schuljahres für eine Exkursion deren Themen von verschiedenen Lehrkräften angeboten werden, absolvieren können, deren Ergebnisse anschließend in verschiedenen Fächern aufgearbeitet und Gegenstand des Unterrichts werden.

Mit einem herzerfrischendem Lächeln erklärte mir ihre Lehrerin, daß diese Exkursionen in kleinen Gruppen ganz nebenbei zu einem bedeutend weniger aggressiven Umgang im Schulalltag führen würde, da sich die Kinder ganz neu erleben und erkennen, daß sie aufeinander angewiesen sind.

Ich kam kaum dazu intensiver mit ihr zu reden, da mich die Kinder regelrecht mit Fragen bombardierten nachdem sie erfahren hatten, daß sie einen „Waldspezialisten“ vor sich hatten, der ihnen nun genau erklärte, warum ich allein im Wald unterwegs und was ich vorher die lange Zeit mit der Gruppe von Studenten hier gearbeitet und gesammelt hatte.

Jede Antwort – wie bei Kindern üblich – provozierte die nächste Frage und nach kurzer Zeit befand ich mich dozierend im „Waldhörsaal der größten Universität der Welt – der Natur“, wieder.

Während ich also mit Freude auf die Fragen der Kinder einging, konnte ich gelegentlich ihre Betreuerin beobachten.

Ihre Körpersprache drückte eine innere Stimmigkeit aus, sie wirkte harmonisch, im Gleichklang mit sich und der Welt.

Die halblangen hellblonden Haare hatte sie zu einem kleinen Pferdeschwänzchen gebunden, das bei jedem Schritt lustig wippte.

Auffällig oft begegneten sich unsere Blicke und jedesmal rieselte mir ein wohliger warmer Schauer durch den ganzen Körper. Ihre Blicke drückten eine intensive Herzenswärme aus die mir gut tat.

Es war ganz offensichtlich, daß ihr Interesse sich nicht nur auf meine fachlichen Ausführungen beschränkte...

Da gab es unmißverständlich mehr in diesen Blicken.

Unser erstes gemeinsames Nachtlager schlugen wir am Rande einer weiträumigen Lichtung auf, in der Hoffnung ein paar Tiere in der Dämmerung beobachten zu können.

Erstaunlich für Kinder in dem Alter – sie verhielten sich völlig diszipliniert still, sie waren augenscheinlich gut vorbereitet für diese Tour.

Wir hatten Glück.

Noch bei gutem Licht trat vorsichtig eine stattliche Hirschkuh auf die Lichtung. Man konnte gut erkennen, wie sie versuchte mit allen Sinnen Witterung aufzunehmen um für ihre Herde eine gefahrlose Äsung auf der Lichtung zu haben.

Nach einigem Minuten kamen dann langsam vier weitere Hirschkühe mit Kitzen auf die Lichtung und begannen mit der Äsung.

Die Kinder blieben so lange diszipliniert ruhig, bis die Dunkelheit ein weiteres beobachten unmöglich machte.

Dann erst entfachten wir das kleine vorbereitete Feuer, kochten einen Tee, sangen ein paar Fahrtenlieder bis langsam die Kinder müde wurden.

Alle rückten eng an uns Erwachsene zusammen und bald wurde es ganz still als die Kinder nach dem anstrengenden Tag eingeschlafen waren.

Nun waren wir beide miteinander konfrontiert. Obwohl wir auch recht müde waren, hatten wir keine Ambitionen ohne weiteres einzuschlafen.

Die ständige nonverbale Kommunikation die sich tagsüber abspielte drängte nach oben, suchte Bestätigung.

Wenigstens ein kleines bißchen damit die Seele zur Ruhe fand.

Wir spürten beide eine warme Welle von „Zueinanderkommenwollen“ - und trotzdem wagten wir nicht dieses anzusprechen, weil es uns von der Ratio klar war – sie in Hamburg – ich in München – fast tausend Kilometer Distanz und beide beruflich eingespannt und engagiert.

Wir quälten uns geradezu in die Nacht nur um nicht die Gefühle offen heraus zu lassen.

Irgendwann antwortete sie nicht mehr...der Schlaf hatte sie in seinen gnädigen Armen. Kurz darauf folgte ich ihr.

Am nächsten Morgen erwachten wir alle durch einen gellenden Schrei und nachfolgenden Jammern eines Kindes, was wohl ziemliche Schmerzen haben mußte.

Einer der Jungs wollte während wir noch im Land der Träume waren, Holz für das Feuer sammeln und war mit seinem Fuß in eine felsige Spalte im Boden getreten, wobei sich der Fuß so verkeilte, daß er nicht mehr herauskam.

Vorsichtig wollten wir ihn herausziehen, aber er bewegte sich keinen Zentimeter, dafür schmerzte aber sein Fuß umso heftiger.

Wir mußten versuchen den Spalt zu erweitern.

Eines der Kinder bat ich aus meinem Rucksack die Axt zu holen. Während Anne – so hieß die hübsche begehrenswerte Lehrerin – den Jungen umfaßte, damit er nicht tiefer hineinrutschen konnte, begann ich vorsichtig um den Fuß herum Gesteinsteile abzuschlagen um den Jungen zu befreien.

Endlich gelang es Anne ohne Probleme den Fuß des Jungen herauszuheben. Vor Erleichterung vergaß er sogar zu jammern.

Vorsichtig untersuchten wir den Fuß, der bereits sehr angeschwollen und ganz sicher gebrochen war.

Die nächste Ansiedlung war gut 30 Kilometer entfernt – sollte ein Erwachsener mit einem Teil der Kinder so schnell wie möglich dorthin um Hilfe zu holen – Mobiltelefone waren noch nicht in Mode – oder sollten wir uns gemeinsam auf den Weg machen?

Die einhellige Meinung war – wir machen uns gemeinsam auf den Weg!

Mit einigen kräftigen Jungs baute ich eine Trage nach Indianerart mit zwei Hauptstangen und einem Mittelgeflecht von Ästen, am oberen Ende konnten wir zwei Erwachsene jeweils eine Stange in die Hand nehmen, die hinteren schleiften auf dem Boden. Die Fläche wurde mit dünnen Tannenzweigen gepolstert, der verletzte Junge in seinen Schlafsack „eingemummelt“ und auf das Gestell gelegt und fixiert.

So setzte sich unsere kleine Karawane in Bewegung.

Während der ganzen Rettungsaktion und dem langen Marsch unter erschwerten Bedingungen suchten wir instinktiv unsere Nähe, obwohl wir ja nebeneinander gingen – und doch entsagten wir jeglicher wie immer gearteten Annäherung da wir uns unserer Verantwortung dem verletzten Jungen und den anderen Kindern gegenüber sehr bewußt waren – es gab keinen Raum für uns und unsere Gefühle.

Ja, diese Fürsorge wurde geradezu zum Surrogat dieses Triebes und dadurch bekam er eine noch größere Intensität als es im Alltag in entspannter Situation möglich gewesen wäre.

Wir brauchten uns unsere Zuneigung nicht verbal zu bestätigen, sie war greif- und fühlbar ohne jeden körperlichen Kontakt und Formulierung, wir sendeten und empfingen auf der gleichen intensiven Frequenz.

Es wurde zum Fakt ohne aktives handeln.

Jeder zufällige oder gesuchte Blick rief förmlich - „Ja...sei mir gut, ich will Dir nahe sein...“

Wir spürten dadurch keine körperliche Anstrengung, die Seele war so in Aufruhr und beschäftigt da gab es keinen Raum für Erschöpfung.

Die Kinder brachten eine tadellose Haltung an den Tag. Wenn einer am jammern war, weil die Füße weh taten oder ein Wadenkrampf peinigte, sofort waren die anderen Kinder bereit zu helfen und aufzumuntern.

Am späten Nachmittag erreichten wir endlich das kleine Dörfchen und konnten für den Jungen professionelle Hilfe holen. Zunächst konnte der Junge in Begleitung von Anne in der nächsten Klinik Erstversorgt werden.

Von dort aus wurden die Eltern informiert und der Vater des Jungen als ADAC-Mitglied organisierte den Krankenrücktransport über Nacht aus dem Bayrischen in die Hansestadt.

Inzwischen hatte ich mit den Kindern Quartier im kleinen Gasthof des Ortes bezogen, endlich konnten die Kinder duschen, entspannen und eine deftige Mahlzeit einnehmen.

Sehr früh gingen diese freiwillig ins Bett, denn der Gewaltmarsch steckte in ihren Knochen, sie waren erschöpft und müde.

Anne kam mit einem Taxi gegen 21:30h zurück, auch völlig ausgepumpt.

Wortlos fielen wir uns im Zimmer in die Arme. Diese Umarmung war so normal nach all den nervlichen Anspannungen und den körperlichen Anstrengungen. In dem Moment konnten wir unsere Verantwortung einfach einmal gehen lassen.

Unsere Lippen fanden sich ohne zögern, wir küssten uns leidenschaftlich als wären wir längst ein Paar.

Noch während wir uns küssten zerrten wir uns die Kleider vom Leib als würden sie brennen.

Ihre kräftigen Brüste bohrten sich mit den steil aufstehenden festen Warzen fest an meine Brust, selten war ich so erregt wie jetzt in dem Augenblick, ihre Augen glänzten während wir gemeinsam unter die Dusche gingen.

Unsere Hände erkundeten jeden Quadratzentimeter des anderen während wir mit dem Schaum gegenseitig unsere verschwitzten Körper reinigten.

Diese Intimität kam uns so völlig vertraut vor, als hätten wir noch nie etwas anderes miteinander getan.

Abtrocknen war Luxus den wir nicht brauchten. Es gab nur noch die alles bestimmende orgiastische Sehnsucht nach dem „Einssein“, dem Abbau des aufgestauten Gefühls.

Es wurde eine leidenschaftliche Nacht ohne jede Unterbrechung durch Schlaf bis wir im Morgengrauen völlig ausgepumpt aber selig aneinandergekuschelt lagen und uns klar wurde, daß dies nur eine einzige wunderschöne Nacht bleiben würde.

Wir wollten stark bleiben und trotzdem, als wir uns verabschiedeten, Anne mit den Kindern am Bahnhof der Kreisstadt stand, da lief uns beiden das Wasser aus den Augen.

Die Kinder waren ganz still dabei.

Da fuhr sie dahin mit den tollen Kindern die auch über sich selbst in den letzten Tagen hinausgewachsen waren und ich fühlte mich als sie außer Sichtweite waren grauenhaft leer.

Wochen, ja Monate später, es war Spätsommer fast Herbst, das neue Semester hatte begonnen, der Hörsaal wie immer proppenvoll, beendete ich meine Vorlesung des Tages und packte meine Materialien ein während die Studenten den Hörsaal räumten.

Ich sah auf – da stand Anne mit zwei Koffern in der Hand. Sie ließ die Koffer los. Kam zu mir ihre Augen voller Wärme. Küßte mich und sagte einfach: „Ich konnte nur noch an Dich denken, ich habe alle Brücken in Hamburg abgebrochen – meinen sicheren Job gekündigt, meine Wohnung aufgelöst – ich habe beschlossen mit Dir alt zu werden und wenn Du magst dann möchte ich gern die Mutter unserer zukünftigen Kinder sein – ich kann nicht anders, denn ich liebe Dich!“

Wenn ich noch niemals Herzrhythmusstörungen hatte – in dem Augenblick hatte ich sie...

Mir blieb die Luft weg, da stand die mutigste Frau meines Lebens vor mir, die bereit war alles auf eine Karte zu setzen, weil sie sicher war diesen Kerl weit weg in München zu lieben.

Als ich das erstemal wieder Luft bekam, konnte ich nur noch sagen – „die Antwort heißt JA!“

In dieser verrückten wunderbaren Situation fiel mir ein Songtext von Heinz Rudolf Kunze ein, einer seiner großen Hits -

„Dein ist mein ganzes Herz“ :

>>Wir haben uns auf Teufel komm raus geliebt

dann kam er und wir wußten nicht mehr weiter

Du machtest Dich nicht gut als sterbender Schwan

ich hab versagt als finsterer Reiter.

Statt Pech und Schwefel plötzlich nur noch Gletscher und Geröll

wir haben so viel Glück auf dem Gewissen.

Ich brauche jeden Morgen Deinen Nachtgeruch

und keine falschen Wimpern auf dem Kissen.

Dein ist mein ganzes Herz Du bist mein Reim auf Schmerz,

wir werden wie Riesen sein uns wird die Welt zu klein!

Was sind das bloß für Menschen die Beziehungen haben,

betrachten die sich denn als Staaten?

Die verführen sich nicht, die entführen sich höchstens,

die enden wie Diplomaten.

Wo Du nicht bist, kann ich nicht sein,

ich möchte gar nichts andres ausprobieren,

wir sind wie alle andern denn wir möchten heim,

es ist fast nie zu spät das zu kapieren.

Dein ist mein ganzes Herz Du bist mein Reim auf Schmerz,

wir werden wie Riesen sein uns wird die Welt zu klein! <<

 

 

Die Koffer verstauten wir in meinem Wagen und fuhren zu meiner Wohnung.

Anne sagte zu mir - „Ich habe eben hundert Meter von Deiner Wohnung gegenüber einen Supermarkt gesehen, ich gehe mal eben dorthin und suche uns einen guten Tropfen aus damit wir unser Wiedersehen feiern können...“

Kurz darauf hörte ich durch die offenen Fenster einen heftigen Krach, die typischen Unfallgeräusche.

Im selben Moment gellte mir die sich überschlagende Stimme einer hysterisch schreienden Frauenstimme in die Ohren.

Ich sah hinaus und traute meinen Augen nicht, stand wie unter zehntausend Volt – was dort in einer riesigen Blutlache zuckend am Boden lag war ANNE!

Ich rannte aus der Wohnung über die Strasse und kniete in ihrem Blut, hob sanft ihren Kopf an, sie lächelte mich an und bewegte die Lippen es kam aber kein Laut aus ihrem Mund.

Die hysterisch schreiende Frau stand ein paar Meter entfernt, hielt sich den Kopf und wollte nicht aufhören zu schreien.

Akustisch nahm ich das nicht mehr wahr nur visuell. Dafür hörte ich den Notarztwagen kommen.

In dem Augenblick als sich unsere Augen wieder trafen sah ich diese Glut voller Hingabe wie damals im Wald ohne Worte, nur jetzt unvergleichlich intensiver.

Und dann brachen ihre Augen, ich wußte ihre Seele verläßt jetzt diese Welt.

Ich stand auf, sah nach oben und winkte.

Mancher der üblichen Gaffer muß mich gewiß für völlig verrückt gehalten haben, aber ich war mir sicher sie sieht mich von oben...ich warf ihr eine Kußhand zu und murmelte - „warte auf mich, ich will Dich!“

In meiner Brust saß ein Riese der mein Herz mit beiden Händen auseinander riß. Ich bestand wochenlang danach nur aus Schmerz.

Meine Tätigkeit an der Uni konnte ich nicht mehr ausüben, ich ertrug nicht mehr die Unbekümmertheit meiner Studenten.

Heute arbeite ich als Waldarbeiter das reicht um mich zu ernähren. Ich habe keine Ansprüche mehr an dieses Leben und ich hoffe daß der „Große Geist“ ein Einsehen hat und mich früh sterben läßt – sie soll nicht so lange warten müssen...

Sehen Sie das kleine Holzkreuz neben dem Bürgersteig auf der Rasenfläche?

Dorthin wurde ihr Körper von dem betrunkenen Autofahrer geschleudert und genau dort konnte ich das letztemal die Liebe in ihren Augen sehen.

Nun wissen Sie, warum ich bei jedem neuen Glas dezent hinüber grüße!“

Daraufhin schwieg er. Sagen konnte ich nichts.

Ich drückte ihm einfach fest die Hand und ging.

Die kleine Kneipe betrat ich nie wieder, wäre ich dort wieder hingegangen, hätte ich mich wie ein Verräter gefühlt. Dieser gebildete Mann war gebrochen und doch trug er etwas wertvolles ganz tief in sich.

Jede weitere Begegnung wäre mir wie ein Einbruch in diese Intimität die er mir offenbarte von mir empfunden worden.

 

April 2012 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese Kurzgeschichte entstand im April 2012 als ich im Klinikum Kassel mit einer Lungenentzündung lag. Ich habe bis Dato nur Gedichte, politische Kommentare und Aphorismen geschrieben.
Dieser Traum aber war derartig beeindruckend und blieb auch nach dem Erwachen so plastisch vor meinen Augen, daß ich noch im Bett den Kugelschreiber und einen Block nahm, um das eben geträumte zu fixieren.
Zuhause habe ich dann den "Rahmen" und die Feinheiten "gestrickt".
Heinrich Käbberich, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.10.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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