Nathalie Schugt

Schuldgefühle

Krankenhaus. Ich finde mich an seinem Bett wieder. Intensivstation. Er ist an lauter Maschinen angeschlossen. Beatmungsgerät, Vitaldatenmonitor, Infusionssystem.
Ich erkenne ihn kaum wieder, er sieht so verändert aus. Es ist meine Schuld, nur wegen mir liegt er jetzt hier.
Vor wenigen Tagen war es passiert. Er war mit seinem besten Freund in einen Autounfall verwickelt. Ich war zu Besuch bei einer Freundin und er wollte mich mit einem spontanen Besuch überraschen.
Per Telefon sagte er mir kurz Bescheid. Ich schickte ihm die Adresse und da geschah es auch schon. Das Handy fiel ihm in den Fußraum des Beifahrers.
Er beugte sich runter, versuchte sein Handy zu greifen. Sein Freund half ihm nicht. Währenddessen kam er auf die linke Fahrspur. Durch große, runde und helle Scheinwerfer wurde er geblendet.
Hektisch und erschrocken zog er das Lenkrad nach rechts. Er verlor die totale Kontrolle des Fahrzeugs und kam von der Fahrspur ab. Das Auto überschlug sich, mehrfach.
Bewusstlos, verletzt und eingequetscht lagen sie in dem demolierten Auto. An der Unfallstelle mehrmals reanimiert und viel Blut verloren. Nun liegt er hier. In den Händen von Ärzten, an den Maschinen
und um sein Leben kämpfend.
Das ist alles nur meine Schuld.
Wäre ich nicht gewesen, wäre es niemals dazu gekommen.
Die Polizei weiß bereits wie der Unfall abgelaufen ist. Ich wäre es nicht schuld gewesen, sagten sie. Ich solle mir keine Vorwürfe machen, sagten sie.
Aber ... aber wie soll das nur funktionieren?
Ich stehe noch immer wie versteinert an seinem Bett und starre ihn an. Gedankenverloren. Er sieht so friedlich aus. Ich setze mich neben ihn, auf einen Stuhl. Nehme seine Hand, und halte sie ganz fest
und lausche den Herztönen des Überwachungsmonitors.
Plötzlich überkommt mich ein mulmiges Gefühl. Ich spüre einen Atem im Nacken. Eiseskälte. Hände die meine Schultern schützend umklammern. Schauder. "Vergiss mich nicht!", haucht jemand in mein Ohr.
Schock. Ich drehe mich um, doch sehe ich niemanden. Er ... er ist hier. In der Zwischenwelt. Panik.
Dann höre ich einen monotonen Piepton und sehe die Nulllinie, auf dem Monitor. Ärzte und Krankenschwestern kommen hereingeschossen und schicken mich raus. Ich höre den Defibrillator und die Bemühungen
des Teams. Doch jeder Versuch ihn zu reanimieren ist umsonst. Er hat und verlassen. Sein Leben aufgegeben. Mich aufgegeben.
Es ist vorbei.
Die Polizei und alle anderen können sagen was sie wollen.
Es steht fest.
Ich habe einen Menschen auf dem Gewissen. NEIN. Nicht einen Menschen. Es ist ein Mensch den ich aus der Tiefe meines Herzens liebe, mein Freund.
Kurzschlussreaktion. Ich finde mich am Bahnhof wieder. Grelle Lichter kommen auf mich zu. Hat er sich auch so gefühlt? Was soll ich bloß machen? Was?
Ich wollte nicht dass es soweit kommt. Doch kann ich nicht mit dieser Last leben. Schuldgefühle. Ich will bei ihm sein. Nähe. Es zerreißt mir das Herz. Höllenschmerz. Ich liebe ihn doch. Gefühle.
Er hätte es nicht gewollt. Er hätte gewollt das ich lebe und wieder glücklich werden. Doch hat er sein Leben einfach hingeschmissen. Wollte nicht mehr weiter kämpfen.
Wieso darf ich das dann nicht auch?
Im Moment empfinde ich nur große Leere.
Unerwartet sehe ich ihn vor mir. Klar und deutlich. Er kommt auf mich zu, nimmt mich in den Arm. "Mach es nicht, bitte.", sagt er. Da war er auch schon wieder fort.
Die grellen und wunderschönen Lichter kommen immer näher. Sie funkeln wie Diamanten. Ich muss mich entscheiden. JETZT. Welchen Weg soll ich nur einschlagen?
Verzweiflungsvolle Hoffnung.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.10.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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