Andreas Dany

Wenn Helden Pflege brauchen ( Männer denken, Frauen auch!)

Wenn Helden Pflege brauchen…



Prolog

Männer sind „ichbezogen“. Nein, nicht egoistisch, denn das hieße ja „nur auf den Eigennutz bedacht“ oder „selbstliebend“. Ich halte es wie die meisten Männer: ich liebe mich nur selbst, wenn es unvermeidbar ist. Außerdem versuche ich auch gerne, es vielen Mitmenschen recht zu machen - um möglichst oft gelobt zu werden. Nur gehe ich dabei immer von mir und meinen Bedürfnissen aus.
Ruft mein Schatz: „Ist noch Kaffee da?“ laufe ich in den Keller, reiße ein neues Paket auf, koche uns eine Tasse, so richtig schön mit Milchschaum, lege eine „Streitpacience“ aus und warte ungeduldig auf das Erscheinen meiner geliebten Gattin.
Nach einer endlos langen halben Minute, in der ich fast still auf der Küchenbank sitze, schallt meine leicht beleidigte Stimme durchs Haus: „Der Kaffe ist fertig–ich warte!“
Dass das nicht die Antwort auf die Frage: „Ist noch Kaffee da?“ ist, vermag selbst ich zu begreifen, aber warum sollte jemand fragen ob noch Kaffee da ist, wenn er oder sie gar keinen trinken möchte?
Meine Frau ist da anders gestrickt: „ Ich schreibe nur gerade auf, was wir einkaufen müssen“, ist ihre Erklärung. Das mache ich auch manchmal, nur gehe ich dazu in den Vorratskeller, da sehe ich ja, was alles fehlt!
An dieser Stelle gibt es für meine Frau zwei Möglichkeiten. Entweder, sie setzt ihre Tätigkeit unbeirrt fort und provoziert damit, dass ich für eine unbestimmte Zeit beleidigt bin. Oder, sie setzt sich zu mir, trinkt ihren Kaffee und spielt eine Partie Karten mit mir. Meistens ist Letzteres der Fall. Wenn sie mich dann noch für meinen guten Einfall lobt, ist der Tag für uns beide gerettet.



Ein äußerst gerissenes Körperteil


Bang!!! Ein lauter, hässlicher Knall lässt mein wohlgeordnetes und (von meiner Frau) gut durchorganisiertes Familienleben zusammenfallen wie ein traumhaftes Soufflé im kalten Luftzug. Nur weiß ich das (zum Glück) zu diesem Zeitpunkt noch nicht!
Ich hätte es auch gar nicht wissen wollen, hatte ich doch im Moment ganz andere Probleme. Eben noch war ich tiefenentspannt aus der Tür meiner äußerst sympathischen Masseurin getreten. Hier hatte ich eine ayurvedische Rückenmassage genossen, die ich von meinen besorgten Nachbarn zum 50. Geburtstag geschenkt bekommen hatte .Ich stelle mich in Zukunft auf Geschenke wie anti-Faltencreme, anti-aging Bier und Gedächtnispillen ein – halt mal, zwei davon habe ich doch schon bekommen, nur welche beiden, habe ich leider vergessen.
Mein Motorrad hatte ich vor der Behandlung etwas schludrig auf dem unbefestigten Seitenstreifen abgestellt. Noch entrückt von den Widrigkeiten des realen Lebens und mit dem energischen Schwung einer sizilianischen Bergziege, will ich die Maschine vom Hauptständer wuchten. Zuerst entgleitet mir mein Yoga-Schüler-Lächeln und sofort danach meine geliebte Maschine.
Aus früheren schmerzlichen Erfahrungen weiß ich, dass sich diese, wenn sie sich erst einmal dazu entschlossen hat, sich meiner Kontrolle zu entziehen, von einem bestimmten Augenblick an nicht mehr aufzuhalten ist. Dieser Augenblick ist definitiv vorüber. Ich springe also ab und greife sofort energisch nach Lenker und Griff, um das Motorrad schnell wieder in die Senkrechte zu bringen. Macht man das nämlich nicht, läuft Benzin auf die Straße. Das ist nicht nur eine riesen Umweltsauerei, sondern verwandelt auch die Stiefelsohlen in eine speckschwartenähnliche Rutschfläche, die jeden Versuch, das Motorrad aufzurichten zum Scheitern verurteilt.
Das schwere Motorrad gegen das recht starke Gefälle der Straße aufzurichten, gestaltet sich schwieriger als ich vermutet hatte.
Bang!!! (Ok, da waren wir ja schon) Ein stechender Schmerz und sofortige, absolute Kraftlosigkeit meines rechten Fußes begleiten dieses hässliche, peitschenknallähnliche Geräusch. Meine Anstrengungen werden abrupt unterbrochen.
Natürlich ist mir sofort klar: da ist was gerissen! Wahrscheinlich würde ich noch heute an dieser Stelle in Bergedorf stehen, das Motorrad auf dem linken Oberschenkel haltend und nicht wissend, wie ich mich aus dieser Situation bringen kann. Aber zu meinem großen Glück, nochmals vielen Dank an meinen freundlichen Retter, spricht eine Stimme zu mir (nein, kein Engel des Herrn, aber einer seiner freundlichen Stellvertreter auf Erden): „Kann ich helfen? Ich hab auch ein Motorrad–und wenn die erst mal liegen…“.
Gemeinsam wuchten wir meinen Traum auf zwei Rädern wieder auf dieselben. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“.
„Ja gerne. Wenn Sie noch kurz die Maschine halten.“
Wahrscheinlich denkt mein Retter,„soll sich der alte Knacker doch ein leichteres Motorrad oder lieber gleich ein Dreirad kaufen“. Aber er hilft mir, und so kann ich aufsteigen, mich bedanken und losfahren.
Der nun folgende Teil kann straf-und verkehrsrechtlich nicht gegen mich verwendet werden, da ich im Nachhinein alles Folgende als „frei erfunden“ und meine Beteiligung an diesen Aktionen als „reine Fiktion“ bezeichnen werde.
Der stolze Besitzer eines Motorrades mag meine Gedankengänge nachvollziehen. Wer möchte denn sein umsorgtes Schmuckstück schon in einer fremden Gegend ganz allein und ungeschützt dem Zugriff schrecklicher Gestalten der Dunkelheit aussetzen? Außerdem will ich natürlich so weit wie möglich in die Nähe meines schützenden Heimes kommen. Das minimiert jeglichen späteren Aufwand!
Eigentlich ist das Fahren gar nicht so schlimm wie ich befürchtet hatte. Der Motorradstiefel stützt den Fuß leidlich (Danke Hein G.) und der Helm dämpft meine lauten Flüche und Schmerzenslaute (Danke Detlef L.). Nur anhalten darf ich jetzt besser nicht!
Leider führt mein Weg über die Autobahn. Die ist wegen Bauarbeiten aber mal wieder halbseitig gesperrt. Der daraus resultierende Stau würde mich mehrfach zum Anhalten zwingen. Das kann ich mit meinem lahmen Bein aber nicht.
Stolz prangt der Name dieser Firma an fast jedem Verkehrshindernis in unserem Landkreis. Viele beeindruckende Straßenbaumaschinen können während der langen Wartezeit von den Verkehrsteilnehmern bewundert werden. Bauarbeiter sieht man weniger. Ich werde den Namen dieses Tiefbauunternehmens in einer meiner Geschichten für einen ganz fiesen Bösewicht verwenden!
Meine Fahrspur ist nur durch eine einfache Pylonenreihe von der Gegenfahrbahn getrennt. Eine Lücke im Gegenverkehr verführt mich zu einer nicht näher beschriebenen strafbaren Handlung, die ich, wie bereits erwähnt auch abstreiten würde. Uff, geschafft! Das wäre mein Führerschein gewesen! Jedenfalls kann ich meine Fahrt jetzt fortsetzen, wenn auch in entgegengesetzter Richtung. Erfreulicherweise erweist sich die nun gewählte Nebenstrecke als Glücksgriff.
Leider nehmen die Schmerzen nun wieder zu. Ich erinnere mich an einen alten Pfadfindertrick,indianische Gesänge: „Heya, Heya, Heya, Heya…. (der Text ist ganz einfach!)
Der an- und abschwellende Singsang lenkt vom Schmerz ab und fokussiert die Gedanken auf das Wesentliche. Von den schallschluckenden Eigenschaften meines Schuberth Helmes habe ich ja schon berichtet.
Unterwegs mache ich mir über mein Ziel Gedanken. Mittwoch–da ist der Arzt meines Vertrauens am Nachmittag nicht zu erreichen. Mist, gerade dieser Mann zeigt, trotz seiner stattlichen Größe von über zwei Metern und seiner Catcher- Figur eine erstaunliche Feinfühligkeit. Und in der Beurteilung von Verletzungen ist er unschlagbar! Aber, Mittwoch, also-leider keine Option.
Städtisches Krankenhaus? Nur wenn ich Lust auf eine mindestens vierstündige Wartezeit habe,also-erst recht keine Option.
Chirurgische Ambulanz? Zentral, freundlich, kompetent!-„ Sie haben ihr Ziel gefunden“, sagt das Navi in meinem Kopf.
Diese Praxis hat den unbestreitbaren Vorteil, verkehrstechnisch sehr günstig an der Umgehungsstraße zu liegen. Außerdem hat meine Lieblingsstraßenbaufirma, die wohl sämtliche Aufträge zum Jahresende ergattert hat und nun, ohne jede Hemmung, alle möglichen Straßen zeitgleich aufreißt, sich zu meinem übergroßen Glück entschlossen, diese Straße erst zwei Kilometer hinter meiner Ausfahrt zu bearbeiten.
Also, indianische Gesänge einstellen,- sonst rufen die gleich bei der Psychiatrie an, langsam und vorsichtig anhalten und auf dem linken Bein abstützen. Problem – wie soll ich mit dem Bein, auf dem ich mich abstütze den Seitenständer heraus klappen?
„Hallo?!“, ein junger Mann auf dem Parkplatz dreht sich zu mir um. Komisch, die Anzahl der „jungen Männer“ in meiner Umgebung nimmt laufend zu.
„Können Sie mir bitte kurz helfen?“ Ob ich mir diesen Satz ab jetzt in meinen Wortschatz tätowieren muss? Der Angesprochene ist nett und klappt, nach meinen Anweisungen, den Seitenständer der BMW heraus.
„Vielen Dank!“ Ich verstaue Helm und Handschuhe am Motorrad und hüpfe unter den ungläubigen Blicken meines Helfers auf einem Bein in die rettende Praxis.
Als ich durch das, zum Glück ebenerdige,Wartezimmer hopse, begleiten mich die Blicke der wartenden Patienten. Nein, das ist keine neue Trendsportart! Wenn jetzt einer lacht… Aber ich sehe mit meinem leicht schmerzverzerrten Gesicht wohl eher zum fürchten als lustig aus. Das jedenfalls ist aus dem starren Gesichtsausdruck der freundlichen Arzthelferinnen in der Aufnahme zu entnehmen. Die schauen mich mit großen erwartungsvollen Augen an, als wäre ich mit einer entsicherten Handgranate in die Praxis gestürmt.
„Mir ist am Fuß etwas gerissen“, stoße ich leicht gepresst hervor. Ich stützte mich auf die Theke und wartete geduldig auf irgendeine Reaktion. Die kommt auch. Wenn auch anders als von mir, in meiner grenzenlosen Leichtgläubigkeit erwartet.
„Haben Sie Ihre Krankenversichertenkarte dabei?“,ich glaube es nicht. Was, wenn ich mir die Hände abgesägt hätte? Müsste ich die Karte dann mit den Zähnen aus der blutverschmierten Tasche ziehen?
„Und dann bitte noch die 10 Euro Praxisgebühr–oder haben Sie eine Überweisung von ihrem Hausarzt?“
„Nein, Entschuldigung, ich hatte diese Verletzung dummerweise erst für morgen eingeplant. Darum bin ich nicht ganz so gut vorbereitet. Nur einen kurzen Moment, bitte!“
Ich bin natürlich reichlich verärgert.
Erst später würde ich diese Situation anders bewerten. Bei unerwarteten Ereignissen neigt der Mensch dazu, sich auf ein eingeübtes Verhaltensmuster zurückzuziehen, um seine Sicherheit und die Fassung wiederzugewinnen.
So ist es sicher auch bei den armen Arzthelferinnen, die ich bei allen folgenden Besuchen, und das waren einige, nur als freundlich und zuvorkommend kennengelernt habe (War das jetzt geschleimt? Egal, ich will da schließlich wieder hingehen).
Umständlich krame ich, mich seitlich auf den Tresen stützend, in meiner Lederkombi. Eine besonders reaktionsschnelle Helferin kommt mit einem Rollstuhl „Möchten sie sich vielleicht setzen?“
„Gerne, aber zuerst das Wichtigste!“. Ich ziehe triumphierend die Versichertenkarte und im Anschluss daran auch noch einen 10-Euro-Schein hervor und verwandele mich innerhalb eines halben Augenblicks von einem Nichts in einen Patienten. Eine wunderbare Verwandlung und das ganz ohne Magie! Zum Glück bin ich nur ein Kassenpatient, als Privatpatient wäre ich an dem Schock sicher gestorben.
Vorsichtig lasse ich mich in den angebotenen Rollstuhl sinken. Das wäre erst mal geschafft! Natürlich kommt kein Schmerzenslaut über meine zusammengepressten Lippen, ich verziehe aber mein Gesicht deutlich genug, um den anwesenden Damen deutlich zu signalisieren, welche Pein mir ihre Frage nach der Versichertenkarte bereitet hat. Wenn ich leide, soll das gefälligst auch jeder mitbekommen!
„Könnte ich bitte ein Glas Wasser bekommen?“
Auch dieser Bitte wird sofort entsprochen. Vielleicht können die netten Damen ja auch die vielen kleinen Sternchen sehen, die sich auf meinem persönlichen Bildschirm befinden?
Nach dem Wasser geht es mir deutlich besser. Vorsichtig beuge ich mich zum Fuß herunter und öffne den Klettverschluss des Stiefels. Jetzt lässt sich der Schaft auseinanderziehen. Eine meiner Samariterinnen kauert sich zu meinen Füssen nieder und zieht, mich ängstlich anblickend, zaghaft am Stiefel. Dabei ist sie so vorsichtig, als hätte ich messerscharfe Sporen an meinem Schuhwerk.
„Den Stiefel schneiden wir wohl besser auf!“,konstatiert sie.
„Moment, das kostet doch alles Geld!“,mein Geiz ist mal wieder stärker als die Schmerzen.
Behutsam umfasse ich durch den Stiefelschaft hindurch meine Ferse (das geht - wer`s nicht glaubt–ab zum Schuhschrank und ausprobieren!).
„Jetzt ziehen!“, rufe ich gepresst.
Spätestens jetzt hätte ich an Stelle des Praxispersonals schon mal vorsichtig nach einer versteckten Kamera gesucht. Meine guten Feen aber schieben mich stattdessen gleich in den Röntgenraum. Unnachgiebig bei der Einforderung von Versicherungskarten, aber butterweich, wenn es um das Patientenwohl geht.
Diese Hilfsbereitschaft schamlos ausnutzend, bitte ich die Damen, meine Frau zu Hause anzurufen. Schließlich soll die Herrin meines Herzens ihren gefallenen Helden hier einsammeln! Das ist aber ein schwerer Fehler, wie sich später herausstellt.
Nach den Aufnahmen schieben mich zwei freundliche junge Damen in ein kleines Untersuchungszimmer. Das erinnert mich in Zuschnitt und Größe sehr stark an mein erstes, eigenes Kinderzimmer–kurz gesagt, ein begehbarer Besenschrank.
Den Arzt, der kurze Zeit später erscheint, kenne ich bereits. Ein etwas unterkühlt wirkender Vollprofi, zu dem ich aber vollstes Vertrauen habe. Außerdem bezeichne ich als Rheinländer über 80 Prozent aller Norddeutschen als „unterkühlt“.
Dieser Arzt hat in der Vergangenheit bereits zwei kleinere chirurgische Eingriffe an mir zu meiner vollsten Zufriedenheit vorgenommen. Merkwürdig, die Anzahl der mir bekannten Ärzte steigt proportional zu meinem fortschreitenden Alter-erschreckend!
Nach kurzer Begutachtung der Ferse sagt er, ohne auch nur einen Blick auf das Röntgen-Bild werfen zu müssen, in einem ebenso teilnahmslosen Tonfall, als würde er gerade ein paar Bockwürstchen bestellen: „Tja, die Achillessehne ist sauber abgerissen, das werden wir gleich morgen früh nähen! “Laut in den Raum hinein ruft er: „Kann hier mal jemand kommen?!“
Eines der hilfsbereiten Wesen erscheint, ungeachtet des recht barschen Tonfalls, wie aus dem Nichts und mit einem zarten Lächeln auf den Lippen.
„Christina, rufen sie den Anästhesisten an und machen Sie einen zusätzlichen Termin für eine Achillessehne so zwischen acht und, sagen wir, zehn Uhr.“
Zu mir gewandt sagt er: „Das ist eigentlich sehr selten. Bei uns gibt es so etwas höchstens drei bis fünfmal im Jahr, aber wir hatten gerade letzten Mittwoch schon eine.“.
Er meint wohl die gerissene Sehne, denn Arzthelferinnen gibt es in dieser Praxis deutlich mehr als eine.
„Klasse, dann sind Sie ja noch gut in Übung!“, denke ich laut. Er schaut mich zwar leicht irritiert an, geht aber weiter nicht darauf ein. Christina kommt mit der Information zurück, dass mich der Anästhesist gleich morgens um acht Uhr gedenkt, ins Nirwana zu schicken.
„Schön, dann sind ja alle noch frisch!“, freue ich mich.
Ich bekomme noch ein Rezept für eine Orthese, die ich mir gleich besorgen und anlegen soll, und die obligatorischen Verhaltensregeln für die bevorstehende Operation. Das Angebot, mir ein Schmerzmittel zu verschreiben, kann ich dankend ablehnen, da ich aufgrund eines Schulterleidens noch so starke Mittel zu Hause habe, dass ich ein potentielles Einbruchsziel für jeden Drogensüchtigen darstelle.
So für den morgigen Tag gewappnet, werde ich wieder in den Wartebereich geschoben, wo ich ja jeden Augenblick mit meiner treu sorgenden Ehefrau rechne. An dieser Stelle möchte ich noch kurz erwähnen, dass ich mich eigentlich nicht für einen Hypochonder halte.
Ich warte fast eine Stunde. Von Zeit zu Zeit schauen die Arzthelferinnen mitleidig zu mir herüber. Langsam werde ich mürrisch und ungehalten.
Mein Haus liegt etwa zehn Autominuten von der Praxis entfernt. Selbst bei großer Behinderung durch den örtlichen Straßenbau (man merkt, dass ich die Messer geschliffen habe, nicht wahr?) ist eine Fahrzeit von mehr als einer Viertelstunde illusorisch.
Es gibt Dinge die ich sehr gut kann. Zum Beispiel, Dinge aller Art reparieren.Wohl deshalb, weil ich Dinge aller Art häufig kaputt mache. Geschichten erzählen, nicht nur die, die mit „Liebling im Büro ist es heute wieder später geworden…“, beginnen, und mit Kindern spielen, wobei die Kinder, nach Aussage meiner Frau, meistens die Vernünftigeren sind.
Es gibt aber auch Dinge (wenn ich ehrlich bin sind das zahlenmäßig sogar viel mehr), die ich überhaupt nicht kann. Dazu gehören die Funktion des Beifahrers und jegliche Form von Geduld, besonders beim Warten auf andere, und da, leider, ganz besonders, beim Warten auf Familienangehörige. Es ist also gut möglich, dass mich die Sprechstundenhilfen deshalb so merkwürdig anblicken, weil kleine schwarze Rauchwölkchen über meinem grauen Haupthaar schweben.
Ich setze mir ein Zeitziel, nach dessen Verstreichen ich mich unwiderruflich allein auf den Weg machen werde. Streng nach dem Motto: „Da ist die Mama aber selber schuld, wenn mir die Hände frieren, warum gibt sie mir keine Handschuhe mit!“.
Meine Frau erscheint Sekunden vor diesem Zeitpunkt. Also nochmal Glück gehabt. Wer, lasse ich offen. Ich hatte mir schon überlegt, ob ich einfach den Rollstuhl mitnehmen, oder mich wieder auf das Motorrad setzen sollte. Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass nicht jede meiner Handlungen zwangsläufig vernünftig sein muss?
„Das Motorrad sieht doch noch ganz heil aus!“
Meine Frau findet immer die passenden, tröstenden Worte.
„Papa, hattest du wirklich einen schweren Unfall? Mama wollte gar nicht losfahren, sie hatte ganz dolle Angst um dich!“, meine zehnjährige Tochter ist als weibliche Unterstützung bei der Bergung des Bruchpiloten gleich mit angereist.
„Wieso Unfall? Mir ist die Achillessehne gerissen, ich hatte keinen Unfall!“
Da hat man den Schaden, kämpft sich unter Schmerzen wieder aus den feindlichen Linien zurück in die Heimat und dann diese beleidigenden Unterstellungen. Frauen können so herzlos sein!
„Am Telefon hörte es sich aber an, als ob ich hier nur noch deine zerschmetterten Überreste abholen kann!“
„Mama musste sich erst mal beruhigen“, beeilt sich meine Tochter, mir unsensiblem Menschen zu erklären.
Ich verbiete mir das Empfinden von jeglichen Schuldgefühlen und frage ärgerlich: „ Eine geschlagene Stunde, dann seid ihr jetzt ja ruhig genug,um mich mit nach Hause zu nehmen. Ich hoffe, dass der Orthopäde noch geöffnet hat, wir müssen noch so eine Art Stützschiene für mich besorgen!“
Ich habe zwar keine Lobeshymnen für meinen Ritt nach Hause erwartet, aber etwas Mitleid halte ich doch für angebracht.
Tapfer ziehe ich mich in unser Auto, kein Laut dringt über meine Lippen(ich verziehe nur leicht mein Gesicht).
„Tut`s denn sehr weh, Schatz?“ (Siehste, geht doch!).
„Schon OK!“, antworte ich meiner Frau, allerdings etwas gepresst, damit auch nicht der geringste Zweifel an den Schmerzen besteht, die ich so mannhaft ertrage. Ihre mitfühlenden Worte sind aber Balsam für meine Seele.
Der Orthopäde passt mir eine Orthese an. Bis dato kannte ich das Wort noch gar nicht. Außerdem gibt er mir noch ein paar Tipps: „ Sie bekommen noch eine Schuherhöhung für die linke Seite verschrieben, bringen Sie mir am besten einen nicht ganz so teuren, aber bequemen Schuh vorbei. Ich mach Ihnen den dann gleich fertig.“.
Oh prima, Plateauschuhe hatte ich das letzte Mal als ich fünfzehn war, die hatten dann aber auch eine schicke Schnalle.
„Zum Glück ist es bei Ihnen ja der rechte Fuß, da könnten Sie ja zur Not noch mit dem Motorrad fahren. Schalten geht nämlich mit dem Ding ganz schlecht!“
Meine Frau hat die Augen erschreckt aufgerissen, als wollte sie sagen: „Hier gehst du mir nicht mehr hin!“,sagt dann aber lieber nichts. Toll, endlich mal ein Mann nach meinem Gusto.
„Ihr Arzt hat ihnen gar keine Unterarmstützen aufgeschrieben, aber warten Sie, ich habe noch ein Paar in der Werkstatt.
Er kommt mit einem Paar entzückenden, roten Krücken wieder: „ Nicht schön, aber zweckmäßig“, stellt er fest und stellt die Länge der Stützen ein.
Ich weiß, warum mir mein Arzt keine Stützen verschrieben hat. Der kluge Mann ist sich bewusst, dass ich nicht lange still sitzen kann. Diese Überlegung behalte ich natürlich für mich, sonst habe ich die längste Zeit Krücken gehabt – meine Frau kann da sehr rigoros sein. Mit den neuen Stützen und der Beinschiene geht es schon besser. Ich schleppe mich zum Auto, während meine Frau den fälligen Eigenanteil für meine Ersatzteile bezahlt.
„Könntest du bitte blinken?“, frage ich meine Frau.
„Möchtest du lieber laufen?“, erwidert sie ungerührt (ich erwähnte meine Abneigung gegen den rechten Autositz bereits?).
Meine Frau gehört zu den Autofahrern, die aus der Absicht, die Fahrtrichtung zu ändern, immer ein Geheimnis machen. Ich gehöre zu den Beifahrern, die ihren Mund nicht halten können. Beides zusammen ergibt eine äußerst explosive Mischung!
„Irgendwann fährt dir mal einer ins Auto“, zicke ich sie an.
„Da war doch gar keiner hinter mir!“, verteidigt sie sich.
„Bis auf die schwarze A-Klasse“, entgegne ich.
„Das war ein dunkelgrauer Ford!“. OK, ich weiß, wann ich verloren habe. Jetzt halte ich besser meinen Mund, sonst muss ich doch noch nach Hause humpeln.
Meine Tochter hatte sich die ganze Zeit merkwürdiger Weise, zurückgehalten. Das ist sonst nicht ihre Art. Normalerweise redet oder singt sie, wenn sie nicht gerade schläft. Sie hat allerdings auch schon im Schlaf gesungen. Wahrscheinlich merkt das kluge Kind, dass sie jedes Wort in dieser aufgeladenen Atmosphäre zum Ziel unseres Unwillens machen könnte.
Vorsichtig erkundige ich mich nach ihrem Befinden: „Na, hast du dir in der Lotterie ein kleines „Sprachlos“ gekauft?“.
Ich ernte nur ein müdes und vorwurfsvolles :„ Papa…“, von ihr.
Meine Frau allerdings bemerkt spitz: „ Na, dir geht es wieder besser?“.
Ich beschließe, meinen momentanen Status der Hilfsbedürftigkeit nicht durch derartige Albernheiten zu gefährden – und schweige. Was mir, zugegebenermaßen, sehr schwer fällt. Schließlich bin ich ein gefürchteter Wortverdreher und Dauerredner.

 

Fotsetzung folgt....




 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.10.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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