Das intime Treppenhaus

Man wohnt im Haus mit den Geräuschen, man hat sich arrangiert: Wenn ich
einen heissen, blechernen Pfannendeckel in der Küche aus der Hand verliere,
dann ist mir voll bewusst, dass der laute Vorgang des Aufprallens des Pfannendeckels
auf dem Steinboden der Küche alle Menschen im Haus akustisch mitkriegen:
Nach dem ersten "Peng !" macht der Deckel durch eine rhythmische Verlagerung
der Aufprallenergie noch eine längere Zeit ein lästiges "Waulwaulwuwuwuwuwu!"
das dann mit einem entschlossenem "Klack!" endet.
Ich warte dann immer auf ein wütendes Klopfen der Nachbarn unter mir und wenn das
fehlt, dann habe ich ein schlechtes Gewissen, denn mein Missgeschick ist somit
nicht gerächt und bleibt psychologisch im Haus hängen, weil ich dann denke,
man hat mir meinen Lärm nicht verziehen.
Eine bleiche, stille Nachbarin steht seit Jahren tagsüber bis in die Nacht hinein mit
geschlossenen Augen auf der  engen Treppe des  dunklen Treppenhauses.
Bei meinem täglichen, schüchternen Vorbeigehen mit eingekauftem Wein und Nahrungsmitteln, muss ich immer einen kleinen Bogen um sie herum machen, damit sie nicht plötzlich die Augen aufmacht und mich dann vielleicht anschreit.
Als ich den alten, leisen Nachbarn unter mir fragte, warum seine Frau immer die Augen zu hat,
sagte er mir, dass sie die geschlossenen Wimpern und Augenlieder nur so
auf die Wangen gemalt hat, mit Tusche,Tinte oder so und dass sie in
Wirklichkeit mich mit weit aufgerissenen, wasserhellen Augen anstarrt.

Nun gut, ich muss halt jetzt aufpassen, dass ich, wenn ich meine Wohnung verlasse, den
Hemdkragen anständig schliesse und den Verschluss im Schritt nicht vergesse zuzumachen....
Vielleicht sollte ich in Zukunft im Treppenhaus eine Krawatte tragen ?

***

c/G.E.

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