Jakob Barz

Der einzige Moment Leben

Es war 10 Uhr abends. Vielleicht war es auch ein paar Minuten später oder früher. Ich weiß es nicht mehr genau. Aber wie kann ich ohnehin überhaupt noch etwas mit Sicherheit wissen. Ohne Bestätigung der eigenen Gedanken und Thesen stellt es sich als äußerst schwierig heraus einen festen Wissensschatz, auf den man sich verlassen kann, auszubauen. An diesen Punkt bin ich schon häufig bei meinen Überlegungen angelangt, doch dann frage ich mich ob man denn überhaupt etwas mit wirklicher Sicherheit wissen kann. Ich glaube nicht, ich habe es noch nie geglaubt, die Vollkommenheit und auch die Absolutheit erscheinen mir ein wenig zu unrealistisch. Ich glaube an die fast Vollkommenheit und die fast Absolutheit. Aber genug der Verwirrung, vielleicht später noch ein wenig dazu. Ich schweife wieder einmal ab. Dies passiert mir nur all zu häufig. Ich weiß nicht, ob dies immer schon so war, oder ob es in letzter Zeit schlimmer geworden ist, wahrscheinlich liegt es an der fehlenden Konversation und Kommunikation in meinem Leben. Einen roten Faden bei einer Geschichte oder manchmal auch schon bei einem etwas in die Länge gezogenen Satz einzuhalten bereitet mir solche Mühe, dass ich allzu häufig darauf verzichte und mich wahrscheinlich selbst bald für verrückt erklären muss.
Also zurück zu meiner Geschichte. Es war also abends, an einem Freitag oder Samstag, auf jeden Fall an einem Abend am Wochenende. Ich war mit meinem Motorrad auf der Landstraße unterwegs zurück zu meinem Elternhaus. Ich war für dieses Wochenende wieder einmal in die Heimatstadt gefahren, um für ein Geburtstag oder ähnliches Fest, ich kann mich wirklich nicht mehr genau daran erinnern, meine Erinnerung fühlt sich mittlerweile nur noch wie ein weicher schaumiger Schwamm an. Schon wieder ist es passiert, womit habe ich meinen letzten Satz begonnen. Ich weiß es nicht, und wahrscheinlich habe ich ihn nicht einmal beendet. Wenn ich doch nur etwas tun könnte gegen diese Vergesslichkeit, ich würde alles dafür geben, nun ja, das ist leicht gesagt, was habe ich noch zu geben, ich glaube nur noch mein Leben. Selbst davon kann ich jedoch nicht behaupten es noch das eigene zu nennen und schon gar nicht bin ich mir sicher, ob ich überhaupt noch am Leben bin. Woran macht man fest, dass man lebt. In den allermeisten Fällen macht man die Augen auf, schaut sich um, atmet tief ein und weiß, ja, man ist am Leben. All dies kann ich jedoch nicht mehr machen. Ob mich das traurig macht. Mit Sicherheit, aber hätte es mir wirklich geholfen herauszufinden, ob ich lebe, wenn ich mich einmal gründlich umgeschaut hätte? Ich glaube nicht. Denn auch wenn ich Häuser und Bäume sehen könnte, mein Umfeld ertasten den Duft der Natur riechen könnte, wer garantiert mir dabei denn, dass es nicht nur ein großer Betrug ist, dass ich nicht schon lange tot bin und alles nur ein Traum oder etwas Ähnliches, von keinem lebenden Menschen jemals für möglich gehaltener Zustand. Da bin ich aber wieder bei meinem Lieblingsthema der Absolutheit und dem vollkommen sicheren Wissen, immer wieder das Ziel meiner unstrukturierten Gedankengänge.

Ich war also auf der Landstraße, eine klarer Abend, schon etwas kühl, ich merkte genau, das der Herbst herein zog. Ein heller Mond, es war kein Vollmond, aber ein zunehmender großer Mond, der am Himmel stand und diesen Abend angenehm hell ausleuchtete. Zuvor war ich bei einem alten Jugendfreund, einen dieser die man aus der Schulzeit kennt, sich dann aber aus den Augen verloren hat. Aus den Augen verloren, nicht, weil man sich nicht mehr mochte oder einen Streit gehabt hat, sondern einfach, weil es manchmal der Lauf der Zeit so will. Wir hatten uns an diesem Abend nach einigen Jahren wiedergesehen. Und uns lange unterhalten. Wir haben ein oder zwei alkoholfreie Biere getrunken und einen Zigarillo geraucht und uns lange unterhalten. Alkoholfrei, weil ich noch fahren musste und ich habe nie auch nur einen Schluck Alkohol getrunken, wenn ich danach noch Auto gefahren oder aufs Motorrad gestiegen bin. Es war ein guter Abend gewesen und ich bin mit einem belebenden Gefühl durch diese klare, märchenhafte Nacht gefahren. Mein Zustand war schon fast euphorisch, ich kann nicht genau sagen, warum ich so gut gelaunt war, aber ich halte diese Information für ziemlich wichtig, da sie in der Geschichte eher paradox erscheinen wird.

Ich war sehr selten einfach mal glücklich und lächelte wahrscheinlich noch seltener. Und ich wusste, dass dieser Moment nicht lange anhalten würde und ich wollte, ich musste ihn auskosten und festhalten. Das war auch der Grund für mein völlig irrationales, für Außenstehende dummes und ungesunde Verhalten. Ich merkte nach einiger Zeit, dass ich meine Gedanken nicht mehr unter Kontrolle halten konnte und wieder anfing mir Sorgen zu machen, mich über den kommenden Abend mit der Familie und dem ewigen Streit der Eltern zu ärgern. Für mich war es völlig klar, dass ich etwas dagegen unternehmen musste. Ich kann mir mein Verhalten wirklich nicht erklären, aber es war damals einfach die einzige Option, schlechte Wortwahl, es war keine Option, da es keine Alternative gab.
Ich hielt am Straßenrand, nahm meinen Helm ab, legte ihn auf den Boden, atmete tief durch genoss, die frische Luft dort draußen auf dem Land, setzte mich auf mein Motorrad, stellte das Licht aus. Bereits in diesem Moment schoss mir das Adrenalin durch den Körper und ich mich überkam ein Gefühl, welches ich noch nie erlebt hatte. Es war der beste Moment meines Lebens, nein, es war der einzige Moment meines Lebens, ich hatte vor- und nachher nie gelebt. Deswegen fällt es mir auch schwer Reue zu empfinden. Ich gab ruckartig Gas und wusste, dass es kein zurück mehr geben kann und das alles so sein muss, wie es passiert. Ich atmete noch einmal tief ein, dann war ich auch schon jenseits der Hundert und das Tacho schnellte unbarmherzig weiter in die Höhe.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.10.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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