Elke Lüder

Windgespräche Zentralfriedhof Friedrichsfelde

 

Der Sozialistenfriedhof

Sozialistenfriedhof – es klingt so abschätzig in dieser Gesellschaft und doch wird er so genannt.
Berechtigt.
Nicht weit von mir entfernt und doch war ich noch nie dort. Meine Windgespräche-Partnerin lädt mich ein und ich weiß, ihre Vorschläge sind etwas Besonderes.

Ein Herbsttag im Oktober. Trüber Himmel über der Stadt und nur fahl scheint die Sonne, doch es ist warm. Zu warm für Oktober“, sagt der Wetterbericht. Passend“, finde ich, während ich ein paar purpurfarbene Eichenblätter auf dem Weg zum Treffpunkt, aufsammle. Mitbringsel. Erinnerungen. Herbstdekoration. 
Ich warte vor dem Eingangstor, nachdem ich mir, aus einem vor der Friedhofsverwaltung stehendem Regal, einige Broschüren genommen habe um die Blätter gesichert nach Hause zu bekommen. Wozu brauchen wir Jesus?“ ist gerade groß genug um die schönen Eichenlaubblätter gut zu verwahren. Jesus und Sozialisten.

So, so!

Ich bin gespannt was mich empfangen wird in diesem riesigen Areal. Hab nur die Infos, die man jährlich zweimal in Zeitungen und TV erlebt, wenn Rosa und Karl geehrt werden. Das Mahnmal ist im Kopf dadurch präsent. Ein großer Stein. Und viele Kränze.
Meine Begleiterin biegt mit ihrem kleinen Auto um die Ecke, parkt und nach einer Begrüßung geht es los. Das hier „ausgelagerte“ Gräber sind, hatte ich gelesen, als ich mich über den Alten Matthäus Friedhof informiert hatte. Frau S gibt mir noch einige Infos und ich merke ihr an, dass sie diesen Friedhof hier mag.

Mich verwundert die große, breite Straße, der man recht weit mit dem Auge, vom Eingang aus, ins Gelände folgen kann. Der Beton passt nicht unter die großen, alten Bäume. Ja, sie hemmt mich nahe zu, ein Gefühl von Naturverbundenheit zu empfinden. Doch als wir weiter laufen und mir die Größe des Friedhofs bewusst wird, wird mir auch bewusst das dieser Betonweg hier nötig ist. Wir verlassen den Hauptweg, lassen das Mahnmal noch unbeachtet rechts liegen und spazieren unter den alten Bäumen an den verschiedensten Gräbern entlang. Mir fehlt irgendetwas. Vielleicht ist es nur die Sonne unter den noch dicht belaubten Bäumen?! 
Ein Wald mit Wildwuchs und unpersönlichen Gräbern. So wirken sie, im Gegensatz zum Matthäusfriedhof und Invalidenfriedhof, auf mich. Mir fehlt hier die Liebe, die auf den anderen Friedhöfen von den Grabstellen strahlt.
Sterilität umfängt mich, als wir die umgebetteten Gräber sehen.
Stein für Stein für Stein.
Ja, hier fehlt die persönliche Note. Die Gräber sehen alle gleich aus.
Kälte.
Ihnen fehlt ihre angestammte „Heimat“.
Umgebettet, bleibt ihnen fast nichts.
Anonymität, trotz all der Namen und Zahlen.
Keine Ehrung, kein Blümchen, keine Skulpturen.
Einheitssteine. Abstoßend und anziehend zugleich.
Doch hier gibt es niemanden mehr der sie ehrt.

Ein wenig orientierungslos drehen wir noch eine Runde durch den riesigen parkähnlichen Zentralfriedhof. Entdecken alte Gräber. Große imposante Grabmale. Sogar Baumgrabstellen. Künstlergräber und kleine unscheinbare, aber liebevoll geschmückte Grabstellen. Baum oder Stralau“, denke ich und „ach, nach mir die Sintflut! Nur einen kunterbunten Sarg mit aufgemalten Botschaften meiner Lieben!“

An der Kapelle stehen Trauernde, deren Trauer sich äußerlich nur durch die Kleidung zeigt. Fröhlich begrüßen sie sich. 
Begeistert stehen wir vor einer Mauer mit rotem Weinlaub und großen Kübeln mit Agaven. Auf der anderen Seite blühen noch die Engelstrompeten. Ein schöner Kontrast. Nachdem die Trauernden in die Kapelle gerufen wurden, mache ich einige Aufnahmen. Die bunten Glasornamente in den Fenstern der Kapelle erinnern an Hammer und Zirkel im Ährenkranz. Zumindest sehr an die Ähren.

Unbemerkt ist die Zeit verstrichen und so langsam müssen wir unseren Spaziergang beenden. Doch am Mahnmal für die Sozialisten wollen wir noch vorbei schauen. 
Ehrfurcht zwischen den Steinen der halbrunden Steinmauer.
Ehrfürchtig auch wir.
Plötzlich stehe ich vor dem Stein für Ernst Thälmann … und mich füllen Erinnerungen an Kindertage. Bilder in meinem Kopf, die sich explosionsartig ausbreiten. Ein bezauberndes Buch über Thälmann´s Leben mit wunderschönen Zeichnungen.Ich hab sie immer bewundert. Schulzeit, Pionierzeit und so viel mehr. Ein Stein, ein Name und tiefe Berührungen. Eine einzelne Nelke …. ROT
Überwältigt. Ja – ich fühle mich in diesem Moment völlig überwältigt.

Ich will gehen!

Und ich weiß, ich komme noch einmal wieder. All das zu erkunden, was wir heute, bei unserem Spaziergang nur angerissen haben. Ich habe keine Notizen gemacht, möchte aber mehr wissen. Um noch einmal zu den kühlen Steinen zu gehen. Denen, die umgebettet wurden, einen Besuch abstatten. Und ganz allein jenen zu „begegnen“ die hier ruhen. Ihre Geschichte erkunden - ein Stück ihres Lebens. 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.10.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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