Irene Beddies

Der Kommentar



Welche eine Wut!
Welch eine Demütigung hatte sie hinnehmen müssen!
Tinki fühlte ihren Puls steigen und ihren Magen sich zusammenkrampfen. Wie konnte der nur! So ein Schuft!
 
Im  Dichterforum hatte ein ihr nicht vom Namen her geläufiger Mitstreiter einen Kommentar zu ihrem so zarten Rosengedicht auf dem Hintergrund eines Fotos von einer gelben Rose geschickt mit den Worten:
„Wer solchen Kitsch veranstaltet, sollte aus dem Forum geworfen werden.“
Ihr Rosengedicht Kitsch? Wo alle sie doch immer so lobten!
 
Tinki rief sofort ihren Musenfreund an und schrie ihm fast ins Ohr, was geschehen war. Er pflichtete ihr bei, dass das eine Unverschämtheit sei und sie darauf geharnischt, am besten mit einem Gedicht, antworten müsse, damit alle im Forum von ihrer Kränkung erfahren könnten.
 
Als ihre Mutter, wie üblich montags, zu Besuch kam, fand sie ihre Tochter aufgelöst und puterrot am Computer.
„Kind, was ist geschehen?“, fragte sie ängstlich. Schluchzend stürzte sich Tinki in ihre Arme. Die Mutter streichelte ihr stumm den Rücken. Sie kannte ihre Tochter. Worte waren zunächst sinnlos.
Als Tinki sich ein wenig beruhigt hatte, überstürzten sich ihre Worte bei dem Bericht, was vorgefallen war.
„Du fühlst dich also beleidigt, in deiner Ehre gekränkt?“, fing die Mutter an.
„Aber warum denn? Manche Menschen haben eben eine andere Einstellung zu Bildern mit Texten darauf.“
„Aber das brauchen sie dann doch nicht zu schreiben!“, empörte sich Tinki, „sie ruinieren doch meinen Ruf!“
„Kind, Kind, beruhige dich doch. Einen Weltuntergang bedeutet das doch nicht, wenn einer seine ehrliche Meinung schreibt. Du bist zu empfindlich.“
Da war wieder diese Anklage, sie sei ein Mimöschen. Und das von ihrer Mutter!
Tinki schluckte eine Antwort hinunter. Die Mutter lächelte:
„So, wie du eben tapfer deine Antwort heruntergeschluckt hast..“.
Die Tochter wurde rot. War sie so leicht zu durchschauen? Mütter eben, die konnten das.
„…so könntest du doch auch eine Antwort auf den Kommentar herunterschlucken und nichts sagen oder schreiben.“
„Aber das geht doch nicht! Das fänden andere sicher nicht gut. Das ist im Forum nicht üblich. Und die, die nicht antworten, werden nicht geachtet.“
„Gibt es keine andere Möglichkeit in eurem komischen Forum?“
„Ja, man kann einen Kommentar löschen….“
„Dann tu das, mein Kind. Das wird den Kommentator sicherlich ärgern….wenn er überhaupt noch an den Kommentar denkt.“
„Das tut er bestimmt, und viele werden seine schrecklichen Worte längst gelesen haben. Da kann ich jetzt nichts löschen. Ich  m u s s  antworten!“
„Dann unterlauf doch den Sinn seiner Äußerungen mit besonders freundlichen und Verständnis heuchelnden Worten.“
Ungläubig schaute Tinki ihre Mutter an.
„Wie macht man das? Hilfst du mir dabei?“
„Ja gern. Du musst offenbar im Leben  noch so einiges lernen. Menschen, die es vielleicht böse meinen, kann man den Wind aus den Segeln nehmen, indem man ihnen zunächst zustimmt und den Sinn ihrer Worte nicht ganz zu verstehen scheint. Wer diese Kunst beherrscht, unaufgeregt auf alles zu reagieren, der hat die Oberhand gewonnen. Alle werden dich bewundern wegen deiner Freundlichkeit, Friedfertigkeit, Nachsicht und den verurteilen, der harsche, beleidigende oder ungerechte Worte an dich richtet. Verlass dich drauf.“
 
Und so verfassten Mutter und Tochter einen harmlos klingenden, zustimmenden Text auf die erste Hälfte seines Satzes über den Kitsch. Auf die zweite Hälfte gingen sie nicht weiter ein.
 
Ein paar Tage später bekam Tinki eine e-mail mit einer Entschuldigung und der Genugtuung des Schreibers, dass sie ihn, den Kitsch betreffend, so gut verstanden habe.
 
© I. Beddies

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.11.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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