Daniela Rabenstein

Die kleine Elfe

Es war einmal eine kleine Elfe, die von allen, die sie kannten, nur Goldlöckchen genannt wurde. Eigentlich war ihr Name ein anderer, aber jeder, der sie sah, war von ihren gelockten Kringelhaaren, die wie Gold in der Sonne glänzten und funkelten, verzaubert. Und so vergaßen alle ihren richtigen Namen und sie wurde zu Goldlöckchen.
 
Goldlöckchen war eine winzige, für uns Menschen kaum sichtbare Elfe. Sie lebte am Waldrand in einem Haus aus einer umgedrehten Walnußschale.
Von außen sah ihr Haus aus wie ein kleiner, brauner Hügel mit vielen Rinnen und Furchen – innen aber hatte unsere kleine Elfe die gemütlichste Kuschelhöhle, die sich eine Elfe nur wünschen kann.
Anstelle eines Teppichs hatte Goldlöckchen den Boden mit weichem Moos ausgelegt, das sie am Fuß der Bäume im Wald gefunden hatte. Ihr Bett bestand aus kleinen Zweigen mit frischen Blättern von den Bäumen als Bettzeug. Auch ihren Tisch und Stuhl hatte sie aus Teilen von Zweigen selbst gebaut.
 
Goldlöckchen wohnte zwar allein in ihrem Walnußschalenhaus; sie war aber ganz und gar nicht einsam. Da sie den Wald und die Natur liebte, waren alle Tiere freundlich zu ihr – selbst der alte brummige Bär, der seine Höhle tief im Waldinneren bewohnte, mochte sie gern. Wann immer Goldlöckchen Hilfe brauchte, waren sofort mehrere Waldbewohner zur Stelle, um sie zu unterstützen.
 
Eines Morgens – es muss im Spätsommer gewesen sein – wurde Goldlöckchen durch ein Kratzen und Krabbeln an ihrem Haus wach. Sie war am Vortag bis spätabends im Wald unterwegs gewesen, um Vorräte für den Herbst und Winter zu sammeln und daher müde ins Bett gefallen und sofort tief und fest eingeschlafen.
 
Im ersten Moment wusste die kleine Elfe nicht, was das für ein Geräusch war, das sie da geweckt hatte. Als jedoch ihr Haus anfing zu wackeln und wanken, saß sie plötzlich aufrecht im Bett. Am liebsten hätte sich Goldlöckchen ihre Blätterdecke bis zur Nase hochgezogen und sich vor dem Schrecken versteckt. Da es hier aber um ihr Haus, um ihre wohlig-gemütliche Kuschelhöhle, ging, nahm sie all ihren Mut zusammen, krabbelte aus dem Bett und schlich vorsichtig zum Hauseingang.
 
Das Wanken und Wackeln hatte kurz aufgehört; dafür war das Kratzen und Krabbeln nun wieder da. Es klang wirklich furchterregend und unserer kleinen Elfe schlug das Herz bis zum Hals. Mutig wie ein tapferer Ritter trat Goldlöckchen aus ihrem Haus und sah   -   Nichts!
Es war noch so früh am Morgen, dass auch die Sonne noch schlief und die Welt um sie herum dunkel war.
Nach einigen Minuten hatten sich Goldlöckchens grüne Elfenäuglein an die Dunkelheit gewöhnt und sie konnte einen Schatten hinter und über ihrem Haus sehen.

Oje – was konnte das nur sein?!
 
Obwohl es die ganze Zeit totenstill gewesen sein musste, hörte die Elfe ihren Herzschlag wie ein dumpfes Pochen in ihren spitzen Ohren und dachte, dass auch der unheimliche Schatten das gehört hatte, denn plötzlich bewegte er sich.
 
Goldlöckchen stand wie versteinert vor ihrem Walnußschalenhaus und sah den Schatten über sich. Ein lautes Schniefen erklang, als der Schatten um die Elfe und ihr Haus herum schnupperte. Unserer Elfenfreundin fiel ein Stein vom Herzen, denn der Schatten war nichts Anderes als ein rotbraunes Eichhörnchen, das Goldlöckchen nun aus kullerrunden, großen Augen musterte.
 
„He!“ Goldlöckchens Stimme klang vom Schreck noch immer ganz piepsig und leise. „Lass‘ das bitte! Das ist mein Haus.“
 
Obwohl das Eichhörnchen versuchte leise zu antworten, kam es der Elfe wie ein tosendes Brüllen vor. „Oh – Entschuldigung! Das wusste ich nicht.“
Das Eichhörnchen merkte wohl, dass die Antwort zu laut gewesen war (Goldlöckchen musste sich die Ohren zuhalten) und fügte flüsternd hinzu: „Ich bin auf der Suche nach Vorräten für den Winter; konnte nicht mehr schlafen ... ich bin übrigens Fussel!“
 
Fussel wollte der Elfe eine Pfote zur Begrüßung reichen, zog diese aber sofort zurück, als er merkte, dass er viel, viel größer als Goldlöckchen war.
 
„Ach so! Aber ... auf diese Nuß musst du leider verzichten. Die ist leer und die Schale sowieso nur zur Hälfte vorhanden.“ Die Elfe klopfte gegen ihr Haus um zu beweisen, dass es wirklich hohl war. „Und außerdem wohne ich da drin – deshalb bitte ich dich, mit dem Wackeln und Kratzen aufzuhören.“
Sie schaute das Eichhörnchen mit ihren Kulleraugen ernst an.
 
Mittlerweile begann auch der Morgen zu dämmern, so dass sich die beiden eingehend betrachten und mustern konnten.
 
Fussel war nur ein mittelgroßes Eichhörnchen, und doch kam er Goldlöckchen wie ein riesiges, wuscheliges Ungetüm vor. Sein Fell stand überall von Körper ab – so als hätte er erst einen starken Regenschauer und sofort danach Wind und Sonne abbekommen. Seine Ohren waren spitz – so wie die Ohren unserer Elfe – und hatten jeweils ein kleines Fellbüschel.
 
Nun, als die Sonne aufging, konnte Goldlöckchen aber das Besondere an Fussel sehen – er hatte ein braunes und ein blaues Auge. Die Elfe staunte.
 
„Frag‘ nicht.“ Fussel kicherte leise. „Ich weiß nicht, wieso das so ist. Meine Augen sehen schon immer so aus.“ Fussels große Zähne blitzten, während er Goldlöckchen angrinste.
 
„Bist du neu hier?“ Goldlöckchen setzte sich auf den Boden vor ihrem Haus. „Woher kommst du?“
 
„Ich komme aus dem Nachbarwald. Dort wollte aber keiner mit mir zu tun haben, weil ich eben anders bin ... und es war auch ziemlich öde und langweilig. Da bin ich auf Wanderschaft gegangen.“
Das Eichhörnchen nagte zwischendrin immer mal wieder an einem dünnen Ast, den es auf dem Boden gefunden hatte. „Tja, und dann bin ich hier gelandet ... und fand es ganz schön ... ich habe mein Nest am Gipfel der großen Eiche dort hinten gebaut. Ich hoffe, das geht in Ordnung.“
 
Goldlöckchen lachte Fussel an. „Solange du dich mit unserem alten Uhu verträgst, wird das gehen. Er wohnt auch dort irgendwo, ist manchmal etwas ruppig und furchtbar schnell beleidigt.“
 
Und so hatte die kleine Elfe an diesem neu erwachten Spätsommertag einen neuen Freund gewonnen.                                                                                                       
 

für Leonie :)Daniela Rabenstein, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.11.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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