Ernst Dr. Woll

Katze bestätigte: Das ist die Richtige

Es war in den 1940er Jahren und ich Zehnjähriger fand in unserer Scheune ein junges vielleicht gerade 2 - 3 Wochen altes  Kätzchen. Dessen Mutter war vor unserem Haus überfahren worden. Der Anblick dieses toten Tieres ging mir damals sehr nahe. Ich wollte das nun mutterlos hilflose Tierchen mit in die Wohnung nehmen, aber mein Großvater hatte angeordnet: „Katzen dürfen nicht über die Haustürschwelle  gelassen werden. Sie haben ihre Futterstelle außerhalb des Hauses  und bekommen nur Kuh- oder Ziegenmilch.“ Andere Nahrung, so meinte er außerdem, würde sie nur vom Mäusefangen abhalten und nur dafür wären sie nützlich.
Weil ich wahrscheinlich der jüngste Enkel meines damals bereits 75 Jahre alten Opas war, wurde ich von ihm, einem sonst sehr strengen Erzieher, immer etwas verwöhnt. Er schlug mir selten etwas ab und so konnte ich auch die kleine Katze mit in die Wohnstube nehmen. Ich nannte sie Putzi, weil das junge Tierchen bereits versuchte mit ihren kleinen Pfötchen über den Kopf zu streichen; das sah aus als wollte es sich waschen oder putzen.
In jener Zeit gab es noch keine solch gut funktionierenden Katzenklos wie heute. Aus dem Sandkasten, der  im Flur stand und hierfür Ersatz sein sollte,  roch es schon manchmal ganz unangenehm und ich hatte viel Mühe, ihn stets sauber zu halten; ansonsten wäre Putzi wieder aus der Wohnung verbannt worden. Nach etwa 2 Wochen, als ich wusste, das Tier hat sich an das Wohnungsdasein gewöhnt, ging es freiwillig nach draußen, um das Geschäft zu erledigen. So fein drückten wir uns in jener Zeit nicht aus, auf der Straße unter den Spielgefährten hieß es: „Die Katze scheißt.“ Ich durfte das zu hause nicht sagen, denn meine Oma achtete sehr auf einen anständigen Umgangston und schlechte Wörter waren verpönt.
Es dauerte nicht lange und Putzi wurde Chef im Wohnzimmer und in der Familie, ansonsten lebte sie aber ein artgerechtes Katzendasein. Sie ging nachts nach draußen in Hof und Scheune, nur an ganz eisigen Wintertagen nahm sie eine im Flur hergerichtete Liegestätte an. Das Nachwuchsproblem, das man heute glücklicherweise durch Kastration der Tiere lösen kann, stellte mich damals vor eine fast unlösbare Aufgabe. Putzi brachte jährlich etwa 8 bis 10 Junge zur Welt. Darüber, wie ich es schaffte diese Tierchen in unserer Kleinstadt mit Dorfcharakter, in der Nachbarschaft zu vermitteln, bleibt mir bis heute ein Rätsel. Auf alle Fälle achtete ich streng darauf, dass Putzis Nachwuchs nicht, wie damals üblich, auf grausame Art getötet wurde.
Die Zeit verging für mich damals in der Jugend langsamer als heute im Alter. Ich war keine Ausnahme, denn voller Erwartungen wollte ich ständig Neues erleben und das möglichst schnell und sofort. Putzi schien aber schneller zu altern als ich, denn als sie etwa 9 Jahre alt wurde versiegte nach und  nach ihre große Zuneigung zu den Katern. Ich dagegen kam dann mit 19 Jahren in das Alter, in dem ich ernsthaft auf Brautschau ging. Die Katze hatte sich nach dem Tod meiner Großeltern bei meinen Eltern inzwischen derart durchgesetzt, dass sich Vieles nach ihr richtete. All das zu beschreiben, füllte eine Geschichte für sich. Auf alle Fälle beanspruchte sie im Wohnzimmer ihren Liegeplatz auf einem Stuhl mit weichem Kissen. Auf dem durfte sich auch kein Besuch setzen. Ja, und streicheln ließ sie sich nur von Leuten, die sie mochte, sonst ging sie weg, wenn Fremde kamen.
Ich hatte inzwischen auf einem Maskenball ein junges Mädchen kennengelernt, wobei ich heute behaupten kann, das war Liebe auf den ersten Blick. Wir gingen beide noch zur Oberschule, allerdings in verschiedenen Schulorten. Bei ihren Eltern war ich trotzdem ein Schulkamerad, so wurde ich zumindest behandelt, wenn sie uns zufällig zusammen sahen. Also: Es war noch nichts von enger Freundschaft publik.  
Ostern 1950 hatte ich meinen Eltern dann offenbart, dass ich am 1. Feiertag  nach einem geplanten Osterspaziergang meine Freundin am Nachmittag mit nach Hause zum Kaffeetrinken bringen werde, um sie ihnen vorzustellen. Der Tag blieb in der Familie auch deshalb unvergessen, weil wir beim Spaziergang auf freiem Feld von einem ganz heftigen Regen überrascht wurden und meine Freundin so pudelnass nicht mit zu meinen Eltern gehen wollte. Ich überredete sie mit Erfolg und sie lobt noch heute die fürsorgliche Aufnahme durch meine Mutter, die ihr sehr behilflich war wieder „Trockenheit“ zu erlangen und in sehr freundlicher Art ihr auch das erste Kennenlernen erleichterte.
Nachdem meine Freundin im wahrsten Sinne des Wortes wieder trocken war, begaben wir uns in die Stube. Dort lag Putzi auf ihrem Stuhl und ließ sich sofort von meiner Freundin liebevoll streicheln und oh Wunder, sie ließ die junge Frau sich auf ihren Stuhl setzen – und der Höhepunkt: Sie sprang sich auf deren Schoß! Alle staunten über dieses Ereignis, das natürlich auch in meiner ganzen Verwandtschaft die Runde machte. Später erzählte uns die Schwester meiner Mutter, dass meine Eltern damals sofort gesagt hätten: „Dies ist die richtige Frau für unseren Sohn, denn auch Putzi unsere Katze hat das sogleich gespürt.“
Es zeigte sich auch, dass die sonst oft beschriebene distanzierte Haltung zwischen Schwiegereltern und Schwiegertochter in unserem Falle niemals bestand. Nach 2 Jahren habe ich damals diese meine Freundin geheiratet  und wir sind bis heute 62 Jahre lang ein glückliches Paar. Meine Frau hatte ein ganz ausgezeichnetes liebevolles Verhältnis zu meinen Eltern bis zu deren Tod. Sie pflegte meine Mutter fast ein Jahr  lang aufopferungsvoll während einer sehr schweren unheilbaren Krebserkrankung.
Von Putzis Ende wäre noch zu berichten: Mein Vater kam 1961 – die Katze war 21 Jahre alt geworden  -  schwer krank ins Krankenhaus und zwei Tage vorher war Putzi verschwunden. Er sagte seinerzeit: „Wenn ich nicht mehr nach Hause komme,  bleibt auch das Tier weg.“  So trat es ein – niemand erfuhr, wo Putzi selbst ihre letzte Ruhestätte fand.
Vieles vom Gespür der Tiere bleibt uns unergründlich.
Ernst Woll 2014 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.11.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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