Simon Knopf

Dem Menschen, der sich im Park verbrennen wollte

Der Frau, die sich im berliner Park verbrennen wollte

Eines Abends jener Zeit, in der ich meine Zeit mit den skurrilen und abgestürzten Leuten am Boxhagener Platz verbrachte, tauchte eine weitere Bekannte von uns auf. Sie sprach offene von ihren Selbstmordabsichten. Entschuldigte sich etwas übertrieben und anstrengend bei verschiedenen Leuten; in der Regel für Lappalien. Allerdings gab sie sich auch die Schuld für die Tode ihrer letzten beiden Freunde, Dimiter und Mark. Meine Bekannte werde ich hier Mohna nennen.
Etwa eine Stunde später saß sie auf einer Schaukel, an der ich vorbei kam. Mohna sagte mir, sie sei aus der Psychiatrie abgehauen. Vermutlich stand sie noch unter dem Einfluss des Haloperidols aus der Psychiatrie. Auf jeden Fall aber unter dem von Speed und MTVP.
Auf der Schaukel sitzend, fing sie an die Krankenhauspapiere zu verbrennen. Ich fragte sie noch, weil sie über dem Feuer schaukelte, ob sie sich mit Benzin übergossen hätte. Daraufhin sagte sie nur, dass sie dafür zuviel Angst hätte.
Ich wollte weiter, hörte nach fünf Metern aber ihren Schrei und erblickte sie beim Umdrehen von Oben bis Unten in Flammen stehend. Mit dem Gedanken „Du blöde Kuh, hast du dich doch übergossen“, rannte ich zurück und warf sie zunächst auf den Boden, mit dem Gesicht nach unten, Ich dachte, so könne sie vielleicht atmen. Das Feuer hörte aber natürlich nicht auf zu brennen und vom Atmen-Können war sie weit entfernt. Auch dass ich über ihr lag, half nicht. Es brachte nur mich zusätzlich in Gefahr. Ich sprang nochmal auf, riss mir die Jacke vom Leib und warf mich erneut auf sie; diesmal mit nur etwas mehr Erfolg. Es schien mir, als hätte es ewig gedauert, mich von dieser blöden Jacke zu befreien. Mittlerweile hatten auch Frank und Andere gesehen was los war. Sie rannten ihrerseits herbei und erstickten die Flammen an den Beinen.
Ich erinnere mich noch, dass ich, in der Hoffnung das Feuer sei erloschen, meine Jacke über ihrem Kopf anhob. Sofort quollen jedoch wieder Flammen hervor, also mussten wir das Feuer noch weiter ersticken. Irgendwie veranlasste das Ganze immer mehr Leute dazu, sich auf uns zu werfen. Ich musste mich mühsam von Ihnen befreien, und versuchen den Druck ihres Gewichts nicht nach unten weiterzugeben. Es muss ausgesehen haben wie eine Menschentraube beim Football-Spiel. Nun schienen wir fast wirklich noch zu ersticken, aber diesmal nicht am Feuer. Schließlich merkten es auch die Leute und ließen wieder ab. Wir zogen Mohna hervor und hielten sie fest bis der Notarzt kam. Sie wollte sich in den Gebüschen davon machen; bedeutete der Arzt doch, das sie wieder in die Psychiatrie musste.
Mit verbrannten Hautfetzen, die ihr vom Gesicht hingen wie die nach einem Sonnenbrand, übergaben wir Sie der Feuerwahr. Irritierend schien zunächst, dass die Hautfetzen sich in den noch vorhandenen Bartstoppeln verfangen hatten.
Wie bei allen Menschen, die sich selbst anzünden, stecken ja nicht nur Selbstmordabsichten dahinter, sondern eben auch ein Gewisser Protest, eine Kritik. Bei meiner Bekannten scheint dieser Punkt schwer auszumachen. Kennt man Ihre Geschichte ein wenig, muss man aber leider feststellen, dass Selbstmord sehr häufig der einzige Ausweg für die solchermaßen Betroffenen zu sein scheint. Der Protest richtet sich dabei an die Gesellschaft. Sie ist es, die diese Menschen, meist schon als Baby, in Notlage bringt. Es scheint als wäre gerade die Europäische Gesellschaft nicht in der Lage mit einem „dritten Geschlecht“ umzugehen; gehören sie doch vor allem in Asien aber auch in Südamerika zum normalen Stadtbild.
Das heißt also, dass meine Bekannte, wie angeblich alle Kinder, die in der DDR mit sowohl männlichen als auch weiblichen Merkmalen geboren wurden, zwangsweise zu einer Frau gemacht wurde. Selbst heute noch, muss man unmittelbar nach der Geburt das Geschlecht angeben. Man läßt dem Kind keine Zeit evt. mit beiden Geschlechtern klarzukommen. Es gibt keine Möglichkeit ein 3. Kästchen für nicht eindeutig identifizierbare Babys anzukreuzen. (Seit Frühjahr 2014 ist das nun nicht mehr so.)
Später, als ich sie nach Monaten wieder traf, hatte sie extreme Verbrennungswunden an Ohren, Hals, Brüsten, Beinen usw. Erinnerte an Nicki Lauda. Sie lebte nun in einer betreuten WG. Schlimmerweise erzähle sie mir, dass nun auch ihr letzte Freund, als sie im Koma lag, Selbstmord begangen hatte. Nun könnte Sie sich in schlimmen Momenten, den Tod von 3 Freunden vorwerfen.

Die Beschreibung eines Ereignisses, das ich zunächst nur als verzweifelten Protest verstehen konnte, oder auch wollte.
Das Geschehene wie hier beschrieben zu verstehen, schien mir dem Vorkommnis am ehesten Gerecht zu werden.
Interessanter Weise erfuhr ich Jahre später, das mein Verständnis an der Realität vorbeigegangen war. Der Geschichte ihrer komplexen Sexualität war ich vermutlich nur aufgesessen. Zu gerne nur hatte ich ihre Beschreibungen als bare Münze genommen; boten sie mir doch eine Erklärung für etwas, dass sich dem Verstand so schwer erschließt, wie eben dieser Selbstmordversuch.
Tatsächlich kam ich mit dieser Erklärung der Wahrheit aber nicht näher. Vielmehr spiegelt sich in meiner Erklärung nur mein Wunsch nach logischen Zusammenhängen und einer gewissermaßen verstehbaren Welt wider; der Wunsch die komplexe und widerspruchsvolle Welt in etwas handlichere, greifbarere Formate zu pressen.
Die Geschichte ihrer Geburt und Sexualität, wie sie sie mir erzählt hat, war zwar ein Teil dieser Ereignisse, jedoch anders als ich gedacht hatte. Sie war nicht die Erklärung, sondern vielmehr Teil einer komplexen, vielleicht pathologischen Psyche. Vermutlich glaubte sie zumindest manchmal selbst an ihre Geschichte, aber es war wohl eben nur eine von mehreren Biographien, die sie erzählen konnte.
Zumindest muss ich eingestehen, dass durch dieses evt. Missverständniss, mehr von meiner eigenen Psyche in dieser Beschreibung offenbart wurde, als von der Psyhe meiner Bekannten.
Simon Knopf, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.11.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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