Irene Beddies

Das Lied von der Bürste




Die Familie war längst aus den Ferien im Allgäu zurück. Paolo und Mira gingen wieder zur Schule und Berta in den Kindergarten.
Heute war ihr besonderer Tag: sie hatte Geburtstag. Drei Jahre war sie nun alt.
 
Wie immer an den Wochentagen, war morgens nicht viel Zeit, alles ging etwas in Hetze vonstatten. Paolo konnte sein Rechtschreibheft nicht finden, Mara wollte unbedingt Zöpfe geflochten haben. Und Papa Klaus wusste sich nicht zu entscheiden, ob zu der heutigen Besprechung in der Firma eine Krawatte angesagt war oder nicht.
Als die Familie endlich um den Frühstückstisch saß, zündete Grete die drei Kerzen auf dem Geburtstagskuchen an. Alle gratulierten dem jüngsten Mitglied der Familie. Berta durfte einen Blick auf den Geburtstagstisch im Wohnzimmer werfen. Auf ihm lag ein Haufen schön eingewickelter Geschenke, die Berta am Nachmittag auspacken durfte – aber jetzt noch nicht, dazu war die Zeit zu knapp.
Klaus verließ das Haus zuerst, um pünktlich in der Firma zu sein.
Paolo und Mira folgten wenig später. Sie gingen immer etwas zu früh, um auf dem Weg mit den Schulkameraden noch ein ausführliches Schwätzchen halten zu können.
Greta legte den schon fertig eingewickelten Kuchen in ihren Korb, fügte noch zwei Tüten Chips hinzu und die Kanister mit Saft.
Auf dem Weg zum Kindergarten hüpfte Berta an der Hand ihrer Mama fröhlich und summte das Lied von den kleinen Entchen vor sich hin.
 
Im Kindergarten war sie heute Mittelpunkt in ihrer Gruppe. Frau Meier hielt eine kleine Rede, gratulierte ihr und versprach, dass Berta im Januar zu den „Großen“ wechseln würde. Sie drückte Berta ein weiches Päckchen in die Hand. Berta sah sie erstaunt an: „Darf ich das jetzt auspacken?“.
Sie durfte und riss einfach voller Freude das Seidenpapier auf.
„O, wie schön! O, wie schön!“, rief sie ein ums andere Mal und drückte etwas Braunes, Weiches an ihre Brust.
„Zeig mal!“, forderten die anderen kleinen Geister sie auf. Berta hielt einen plüschigen Hasen in die Luft, der eine blaue Schleife um den Hals trug.
„Und jetzt darfst du dir noch ein Geburtstagsliedchen wünschen.“
Berta dachte angestrengt nach und verkündete: „Ich wünsch mir das von der Bürste“.
Frau Meier guckte erstaunt. „Ich kenne kein Lied von der Bürste“, gestand sie, „was meinst du?“
„Bei den Großen singt ihr doch immer das Lied. Helmut hat es mir neulich vorgesungen, er fand es schön.“
„Gut“, schlug Frau Meier vor, „warte einen Augenblick, ich gehe mich erkundigen“. Sie ging in den Nebenraum und fragte dort die Praktikantin nach dem Lied. Die brach in schallendes Gelächter aus. „Dasselbe Lied sollten wir neulich singen“, kicherte sie. „Kinder hören offenbar nicht richtig zu. Es ist das alte englische Lied <Happy Birthday>.  Ich möchte mal wissen, was sie sich darunter vorstellen, wenn sie es auf eine Bürste beziehen.“
 
Frau Meier kam grinsend wieder in ihren Gruppenraum und brachte gleich ein paar Jungen und Mädchen mit, die schon um die sechs Jahre alt waren und das Lied kannten. Gemeinsam sangen erst die Großen und dann alle zusammen: Das Lied von der Bürste.
 
 
© I. Beddies
 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.11.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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