Christa Astl

Gedanken und Zwiegespräche mit dem Tod



 
Er ist da, immer ist er da, begleitet mich, steht und geht in meiner Nähe. Er, der Unaussprechliche, der von allen Verdrängte, Totgeschwiegene, dessen Namen nicht gern genannt wird, und der deswegen so viele Namen hat. Sensenmann, Gevatter, Freund Hein, aber auch Mörder oder Erlöser wird er genannt.
Er, der Tod. Er spricht mit mir, stellt mir Fragen, erinnert mich dadurch aufzupassen, auf mein Leben zu achten. Er macht mir das Leben richtig bewusst.
 
Vielleicht habe ich ihn einmal zu sehr herausgefordert, ihn mir zu sehr herbei gewünscht, auch habe ich ihn mittlerweile sehr oft getroffen, wenn ich im Heim Menschen, die im Sterben lagen, besuchte, ein wenig noch Leben spüren ließ, indem ich bei ihnen gesessen bin, aber schon bemerkt habe, wie sie sich langsam entfernen. Oft war es auch so, dass ich mit einem Menschen noch ein schönes Gespräch führen konnte, sogar spazieren war, und die Woche drauf gab es ihn nicht mehr. Vielleicht habe ich dadurch gelernt, mit dem Tod zu leben.
Ja, ich führe oft Zwiesprache mit ihm.
Damals, als ich vom Berg springen wollte, hat er geschwiegen, mich nicht begrüßt, mich nicht aufgenommen. Es war gut so.
 
Nun fragt er mich hin und wieder, was wäre wenn...?
... Wenn du auf der Autobahn links statt zu überholen an die Mittelleitmauer donnern würdest?... Wäre es aus, würde ich als Krüppel weiterleben müssen? ... Oder zu weit nach rechts, über den Pannenstreifen, über die Fahrbahn hinaus, vielleicht in den Fluss? - Nein, das würde gar zu schrecklich sein! ... Oder, was wäre, wenn bei 140 km/h die Bremsen versagten und du vor dir einen langsamen LKW siehst? - -
Nein, nein, lass mich in Ruhe!!! Ich will daran nicht denken, ich darf jetzt nicht daran denken!!! Ich muss mich aufs Fahren konzentrieren, muss schauen, dass ich in meiner Spur bleibe, dass ich nach dem Blinken in die rechte Spur zurück komme, nicht zu weit nach rechts, mit dem nötigen Abstand zum Vordermann.
Erneut taucht er mit seinen Fragen auf: ... Stell dir mal vor, wie wäre das, es ist passiert, du liegst auf der Straße, im Auto eingeklemmt....  – Neiinnn, nicht daran denken!!!  –  ... Du blockierst die Fahrbahn, hast vielleicht andere Fahrer gefährdet, Rettung, Feuerwehr, Polizei sind da, Spuren werden gesichert, um die Unfallursache festzustellen, fragen kann man dich nicht mehr, du spürst nichts mehr.... die Angehörigen.... was werden die sagen...  – Nein, es ist genug!!!
Ich fahre weg von der Autobahn, suche am Waldrand einen Parkplatz, steige aus, freue mich an der Sonne, an den bunten Farben des Herbstwaldes. Für Momente bin ich allein, er hat mich verlassen, sucht vielleicht an der Autobahn andere Opfer... Es ist so schön zu leben!

Immer ist er in meiner Nähe, ich bin mir dessen bewusst. Oft ist er mir Mahner, auf mein Leben aufzupassen, mich nicht unüberlegt in Gefahr zu begeben.
 
Auch beim Bergsteigen besucht er mich, begleitet mich auf schmalen Steigen. Streckt schon die Hände aus, falls ich stolpere oder ins Rutschen komme. Ich konzentriere mich auf jeden Schritt. Noch kriegt er mich nicht. Vielleicht ist er durch seine Nähe mein Beschützer, ein Mahner, auf meine Wege und meine Schritte zu achten?

In manchen stillen, einsamen Stunden, angeschwiegen und vergessen von allen, schleicht er sich wieder ein und fragt: ... Wer braucht dich noch? Mach einfach Schluss, es fragt doch keiner nach dir? ... Wirklich nicht? Ich überlege, wem ich wohl fehlen würde, wem wirklich was an mir läge? Die Kinder sind selbständig, sie brauchen mich nicht, ebenso wenig wie mein Mann. Trauern würden sie aber sicher. Freunde? Habe ich überhaupt welche? Es fallen mir Menschen ein, die ich schon lange kenne, die ich in letzter Zeit kennen gelernt habe, mit denen mich manches verbindet. Sie wären im Moment sicher geschockt, wenn kaum begonnene Freundschaft so schnell beendet wäre, doch auch sie würden mich bald vergessen. Oder vielleicht noch manchmal an mich denken?

Was hält mich noch am Leben? Ganz einfach: das Leben, es in seiner ganzen Fülle zu leben, alles was es bieten kann zu erleben, und dazu kann ein Leben fast zu kurz sein.
 
Ja, Freund Tod, du stehst neben mir, begleitest mich, ich sehe dich nicht als Feind, vielleicht bist du sogar der treueste Freund des Menschen?
Aber warte noch ein wenig, lass mich noch ein wenig hier unter den Lebenden....
 
 
ChA 09.11.14
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.11.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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