Peter Kröger

Fühlen




Fühlen
 
Sagen wir, ich lebe, sagt Ferch. Alle leben wir.
Wenn ich seit ein paar Jahren regelmäßig den Kurfürstendamm abschreite und zwar von Anfang bis Ende, von der Kirche bis Halensee und zurück, dann vor allem, weil ich für die gesamte Wegstrecke ungefähr zwei und eine halbe Stunde benötige, Zeit, um ohne Hast  einen schwierigen Gedanken zu entwickeln, zu formen und zu betasten. Als ich noch schneller dachte, reichte ein Gang von vierzig Minuten, also zum Beispiel zweimal die Hardenbergstraße zwischen Zoo und Ernst-Reuter-Platz, aber mein Scheißhirn läuft lange schon auf Sparflamme und man muss mit der Zeit gehen. So schlage ich auf dem berühmten Boulevard zwei Fliegen mit einer Klappe, wenn ich so sagen darf. Schöne fette Fliegen.
Gelegentlich kehre ich nämlich irgendwo ein, vielleicht Ecke Fasanenstraße, um mithilfe eines Genevers das vertrackt kreuzlahme Denken aus der Deckung zu locken. Man muss sich wundern, sagt Ferch, aber mancher Gedanke widersetzt sich dem Denken mit großer Bockigkeit, mehr noch, er will regelrecht erzwungen und in den Schwitzkasten genommen werden. Und dann ist ein zweiter Genever fällig oder gern auch ein Obstler. Gestern, sagt Ferch, waren es ausnahmsweise sogar zwei gut eingeschenkte Aquavit und ein Brandy. Ich fühlte mich beschwingt und war auf eine Weise ausgelassen, dass ich sogar einen völlig neuen Gedanken beginnen konnte. Meinem Scheißhirn habe ich auf diese Weise einen gehörigen Schrecken eingejagt, glaube ich.
Keine Ahnung, wie ich nach Hause gekommen bin, sagt Ferch, das kenne ich aus meiner Jugend. Aber als ich die Augen öffne, wie Milliarden Menschen jeden Tag die Augen öffnen, denke ich an nichts und bin sehr glücklich.


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.12.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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