Simon Knopf

Goa II, Dr. Bahn und die vermeintliche Akkupressurausbildung

Nach der Erfahrung mit den Welpen, die mir zeigte, das es Grenzen gab, die ich zur zeit nicht überschreiten konnte, wollte ich mich neuen Dingen zuwenden, auch um diese Schmach besser vergessen zu können. Was schien da geeigneter als mein Vorhaben mit der Massage Ausbildung in Angriff zu nehmen. Immerhin hatte ich schon die Adresse dieses Dr. Bahn.
Als ich dann da auftauchte, war noch ein anderer junger Kerl dort, der wohl Ähnliches im Sinn hatte, wie ich. Allerdings war er schon kurz vor der Abreise. Dr. Bahn zeigte mir mit einem gewissen Stolz gesammelten Zeitungsartikel, die sich mit Ihm befassten. Die Stapel erreichten bestimmt einen Meter. Viele mit Titeln, wie „Healer in Town“ usw. Zu seiner Biographie gehörte der Umstand, dass er in den 70ern zusammen mit dem späteren Baghwan, Osho von einer indischen Uni (ich denke sie war in Bombay) geflogen war; wenn ich mich recht erinnere wegen unwissenschaftlichem Vorgehen. Auf jeden Fall schien der Mann eine Koryphäe, zumindest aber ein Kuriosum zu sein, der vermeintlich einer sehr erfolgreichen Akupunktur und -pressur fähig war.
Meine ersten „Übungen“ bestanden darin, immer wieder einzukaufen, zu kochen und mir ab und zu alte Geschichten anzuhören. Ich konnte mich auch schlecht dagegen erwehren, zumindest in den ersten Tagen, denn der andere Schüler war mittlerweile weg, und Dr. Bahn war immerhin schon um die 80. Immer wollte er Brandy haben und dann habe ich noch Eier und Gemüse gekauft, denn ich musste ja auch was essen. Das ich zunächst fast alles bezahlte, war ein selbstverständlicher Teil meines Lehrgeldes. Ich hatte auch nichts dagegen, denn es ging ja meist nur um Pfennige. Allerdings erinnere ich mich auch daran, dass ich, genau wie der Andere, ein teures chinesisches Buch über Akupunktur usw., auf englisch übersetzt, kaufen sollte. Es wäre unser Lehrbuch. Den extremen Preis von über 100 Dollar, erklärte er umständlich damit, dass das Buch vergriffen sei. Zu einen Zeitpunkt, als der Andere auch noch da war, zeigte ich Ihm, dass auf den hinteren Seiten unseres Buches ein Preis vermerkt war. Er hatte zwar keine Währungszeichen, aber es war klar, das das Buch ursprünglich wesentlich weniger gekostet hatte. Vermutlich um die 30 Dollar. Wir wollten den alten Mann aus Rücksicht und einem gewissen Verständnis nicht darauf ansprechen.
Wenige praktische Übungen vollzog ich nach seinen Anweisungen an Ihm. Ich massierte Ihn mit den Füßen, den Händen usw. ein paar Meridian-punkte, und den Rücken allgemein. Eine große Lehre war das alles aber nicht. Einmal kam ein junger Mann aus dem Dorf und suchte Hilfe. Er beschrieb einige Symptome, die mir wenig sagten. Wieder massierte ich nach Anweisung, diesmal die Füße des jungen Mannes, er war vielleicht 23. Er hatte Turnschuhe ohne Socken an. Vielleicht können sich einige vorstellen, was bei heißem Klima und viel Staub ohne entsprechende Pflege mit Füßen passieren kann. Es war dem jungen Mann auch sehr peinlich. Sicherlich hatte er nicht damit gerechnet, seine Schuhe ausziehen zu müssen. In Kreisen verrieb ich seinen Dreck über den Akupunktur punkten. Niemand sagte etwas, aber alle bemerkten mein verzogenes Gesicht, und die gleichzeitige allgemein Verlegenheit. Wäre ja auch noch schöner, wenn mir das hätte Spaß machen sollen. Dummerweise waren wir alle nicht darauf gekommen, den Mann erst ins Bad zu schicken. Dem Alten würde ich aber auch eine gewisse Schadenfreude zutrauen. Zumindest entging ihm nicht die humorvolle Ironie der Situation.
Als der junge Mann weg war, erzählte mir der Alte, dass er, wie viele in der Umgebung Aids hätte. Auf meine Frage, ob man ihn, zugunsten der Frauen, nicht warnen müsse, ob die Leute Kondome benutzten? Er sagte mit, wie ich damals fand, fataler Abgeklärtheit, Sex sei wie Essen. Beides müssten die Leute einfach. Er meinte wohl, dass sich hier der Sex schwer in so Bahnen lenken ließe, dass die Verbreitung gestoppt, oder vermindert würde. Immerhin wird der Umgang mit den meist teuren Kondomen erschwert, wenn der Sex oft in Heimlichkeit und Schnelle´vollzogen wird. Dass auch noch viel Aberglaube im Zusammenhang mit Krankheit, Ansteckung und Heilung herrschte, machte die Sache auch nicht gerade einfacher. Außerdem störte eine gewisse Tabuisierung des Themas, die offene Diskussion und Information.
Goa ist sehr christlich geprägt, was mir zuerst durch eine gewisse Freiheit der Frau auffiel. Man sah sie Mofas fahren, kurze Hosen oder Röcke tragen. Ich wusste nicht, ob die Leute hier verklemmter waren als in anderen Provinzen. Aber es ist ja auch nicht so, dass gewisse Freizügigkeiten automatisch ein entspanntes Verhältnis zum Sex hervorbringt.
Ein Bekannter, den ich zum Alten brachte, war auf Heroin ungünstig eingeschlafen und hatte nun einen lahmen Arm. Ich hatte die Hoffnung, dass der Alte ihm helfen könne, aber er machte nicht viel und so erlangte der Bekannte auch erstmal keine Besserung. In der Tat schien mir das in den Fällen, die ich beobachten konnte, sowieso nicht wirklich der Fall zu sein. So pfiffig der Alte auch war, so legte er dennoch eher eine Art Halbherzigkeit an den Tag. Mir schienen die Therapien, die er verordnete meist auch sehr aufwendig zu sein und viel Disziplin, sowie Routine zu erfordern. Wenn der Patient die Disziplin nicht selber aufbrachte, hätte eine Umfassende Betreuung die Möglichkeiten eines alten Mannes überschritten. Ich vermutete, dass seine besten Tage vorbei waren.
So vergingen einige Tage. Einmal saß ich mit ihm einer Strandbar und es war mir sehr peinlich, dass Leute denken könnten, ich sei sein Anhänger. Dieser Eindruck konnte dadurch geweckt werden, dass Dr. Bahn nunmal den Ruf eines tantrischen Guru hatte, und sich auch gerne so gab. Seine Bekleidung bestand, wie die der Saddhus, aus einem orangenem Ganzköperhemd, und er nötigte mich an einem jungen Mädchen die Füße zu massieren. Dabei sprach er vergnügt und angeberisch davon, dass jeder einen Orgasmus bekommen würde, wenn man nur den richtigen Punkt träfe. Er versuchte mich offen zu diesem Punkt zu dirigieren. Zum Glück bekam die Touristin nicht wirklich einen Orgasmus. Allerdings wollte sie zur Nacht bei mir schlafen. Ich sagte auch, dass wäre kein Problem, ich hätte 2 Betten. Es war jedoch deutlich, dass das zweite Bett nicht ganz Ihren Erwartungen entgegen kam; dafür aber meinen. Sie wälzte sich leicht stöhnend die ganze Nacht. Wieviel das mit der Fußmassage zu tun hatte, soll mal dahingestellt bleiben.
Als eine alte Freundin mit ihrem damaligen Mann etwa einen Monat später nach Goa kam, und den Alten kennenlernte, machte sie sich in Ihrer oberflächlichen Arroganz beinahe offen, über den guten Mann lustig. Ich wurde mal wieder sauer auf sie, denn ihr fielen keinen besseren Kritikpunkte ein, als seine dicke Brille und der stark abstehende Bauchnabel. Das sah man hier öfter mal. Es war oft ein Zeichen für eine häusliche Geburt, bei der großzügig abgenabelt wurde. Mir war das nicht mal richtig aufgefallen, aber in S's Welt, in der es vorwiegend Dörfler und Aristokraten gab, war ihr dann gleich klar, wo sie den Alten hinzustecken hatte.
Da S. und S. auf Heroin waren, verdächtigte mich der Alte vor ein paar interessierten Touristen, das ich auch drauf sei. Dass er so eine Anschuldigung grinsend vor anderen und verzerrt darstellend, ansprach,; nur um mich zu diskreditieren, enttäuschte mich und machte mich wütend. Ich sagte, wie sehr es mich doch wundern würde, dass der angeblich mit so viel Menschenkenntnis begabte, nicht in der Lage war, zu erkennen, ob jemand auf Heroin ist, oder nicht. Dann ging ich. Das zeigte mir mal wieder, dass es gute Gründe gegeben hatte, nicht zu viel auf ihn zu geben. Das war mir aber auch vor S's Ankunft schon klar, und rechtfertigte in meinen Augen keine Herablassung. Im Gegensatz zu ihr war ich aber auch nie auf der Suche nach Heiligen.
Da ich in vielleicht 1 1/2 Monaten, in denen ich immer wieder mal den Alten besucht hatte, anfangs fast täglich, nicht wirklich viel über Massage gelernt hatte, entschloss ich mich für ein anderes Vorgehen. Ich wollte zwar weiterhin wie abgemacht eine Art Zertifikat, dass ich auch bekam. Allerdings eines, an dem auch Laien die Fälschung erkennen konnten. Ich erwartete dort nichts mehr, und wandte mich an einen einfachen Strandmasseur, den ich schon eine Weile beobachtet hatte. Er war erkennbar in der Lage, seinen Anvertrauten eine entspannende halbe Stunde zu bieten, nach der sich die Leute auch merklich besser fühlten. Dieser Masseur stellte keine Heilungen in Aussicht, war bescheiden, relativ still, wesentlich jünger und bereit meinen Bitten entgegen zu kommen.
Wir vereinbarten, dass er mich ausgiebig massierte, mir dabei alles was er tat, erklärte, und mich am Ende ihn auf möglichst gleiche Weise massieren ließ. Das diente dem verinnerlichendem Training und dem Ausgleich evt. Fehler. Ich gab ihm dafür eine leicht erhöhte Gebühr, und nach 1 ½ Stunden hatte ich wesentlich mehr gelernt, als in der Zeit bei dem Alten. Natürlich nur in Bezug auf die Massage. Ansonsten war und bin ich sehr froh, dass ich diesen interessanten Mann kennenlernte. Erfahrungen konnte ich einige sammeln und in der Zeit eröffneten sich auch Pfade, auf denen ich sozusagen immer noch wandle. Z.B. erzählte mir ein anderer neuer Bekannter, der ebenfalls Bahn besuchte, das sein Zimmer in Berlin noch etwa ein halbes Jahr leer stünde. Tatsächlich nahm ich das einen Monat später zum Anlass, Frankfurt zu verlassen. Es war Frühjahr '97 als ich in der WG im Prenzlauerberg ankam.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.12.2014. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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