Stefan Patzschke

Unterwegs auf dem Radweg zwischen Erfurt und Weimar

Aus der Ferne grüßt das Buchenwald-Denkmal. Ende November bin ich noch mal die asphaltierte Bahntrasse von Rothenberga nach Kölleda gefahren. Außer ein paar Fußgängern, die meine Fahrradklingel nicht hören konnten, weil sie mit anderen Dingen beschäftigt waren, hat mich niemand genervt. Kein Radfahrer, der auf dem engen und nassen Radweg bei Gegenverkehr weiter Vollgas gegeben hätte. Hinter Kölleda habe ich versucht, mich auf einem Landwirtschaftsweg Richtung ICE-Neubaustrecke durchzuschlagen, bin aber im Schlamm versunken. Wer im Herbst Rad fahren will, soll gefälligst Landes- oder Bundesstraßen benutzen. Ich werde demnächst anfangen, Krimis zu schreiben. Meine erste Erzählung wird in einem der vielen Tunnel auf der neu gebauten ICE-Trasse von Leipzig nach Nürnberg spielen bzw. dort seinen Kulminationspunkt  erleben. Auf einem der Streckenabschnitte, wo man einen parallel verlaufenden asphaltierten Landwirtschaftsweg vergebens sucht. Arbeitstitel: "Vergewaltigung im Intercity-Express". Nein, Blödsinn. Wenn ein ICE in der Stunde 300 Kilometer fährt, durchquert er einen sechs Kilometer langen Tunnel in etwas mehr als einer Minute. Allerdings folgen Bibratunnel und Finnetunnel kurz aufeinander.

In der Nähe von Vieselbach muss durch ich einen Wassergraben waten und bekomme nasse Füße, weil ich einen mehrere Kilometer langen Umweg nicht in Kauf nehmen will. Kalte Luft nimmt kaum Feuchtigkeit auf, aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich fahre vier Stunden mit nassen Füßen, ehe ich um acht bei fünf Grad Außentemperatur in Naumburg in den Zug steige. Ich habe mich höchstens deshalb nicht erkältet, weil ich an keiner Immunschwäche-Krankheit leide.

Der November ist der März des Herbstes. Auf den Feldern das frische Grün des Winterweizens. Die Bauern bringen die Zuckerrübenernte ein, damit die Süßwarenhersteller keinen Mangel an Nachschub leiden und sich die Leute weiter dick und fett fressen können. In Weimar wird gerade der Weihnachtsmarkt aufgebaut. Der Ortsname Weimar bedeutet "heiliger See", das Wort Weihnacht "heilige Nacht". Vgl. Wörter wie "einweihen" und Gotisch: "Wîhnai nama thîn." - "Geheiligt werde dein Name." Dass mit der Eröffnung nirgendwo bis zum Ersten Advent gewartet wird, ist eines der großen Sakrilegien unserer modernen Gesellschaft. Die Stadt scheint in diesem Jahr wieder zu viel Geld in kulturelle Highlights investiert zu haben. Jedenfalls ist der Ilmradweg zwischen Goethe- und Schillerarchiv und dem historischen Klärwerk immer noch nicht asphaltiert. Wenn die Leute weniger Auto und ganzjährig Fahrrad fahren sollen, müssen Radwege auch an regnerischen Herbsttagen passierbar sein. Die Menschen sind bequem geworden. Viele benutzen lieber ihr Kraftfahrzeug, als sich bei Schmuddelwetter mit dem Fahrrad durch Schlamm und Matsch zu kämpfen.

Im Zug von Naumburg sitzt ein vielleicht 150 kg schwerer, freundlich-resigniert wirkender junger Mann, dem ich empfehle, sich ein Spezialfahrrad anfertigen zu lassen und mehr Kalorien zu verbrennen, als er zu sich nimmt. Scheiß Frustessen. Bzw. die dämlichen Diäten, nach denen man oft mehr wiegt als vorher. Abnehmen ist keine Kunst. Zum Abnehmen reicht die Willenskraft oder Gefallsucht der Menschen meist aus. Wenn die ersten Pfunde gepurzelt sind, wachsen sie, vom Anfangserfolg beflügelt, oft über sich hinaus, bis sie eines Tages beim Öffnen des Kühlschranks doch wieder schwach werden und sich einer Fressattacke hingeben. Nur wenige kriegen dann die Kurve, bei den meisten siegt der wiedergewonnene Spaß am Essen über die guten Vorsätze.

 

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