Ob unser Nachbar tatsächlich den Vornamen Jan trägt, ist nicht erwiesen. Dafür kenne ich ihn nicht gut genug. Wie gut kenne ich ihn überhaupt? Diese Frage wird in urbaner Umgebung nur selten gestellt. Man kennt kaum sich selbst. Aber ich sollte die Geschichte am Anfang beginnen lassen.
Irgendwann nähert sich das Jahresende mit Riesenschritten. Gehören die hohen kirchlichen Feiertage erst einmal der Vergangenheit an, dann gibt es kein Halten mehr und Silvester steht vor der Tür, ebenso die alljährliche Knallerei zum Jahreswechsel. Ich erwerbe seit vielen Jahren schon keine Raketen oder ähnliche Pyrotechnik mehr. Warum auch, denn die Nachbarn kaufen das Zeug in Massen. Für mich reicht das preiswertere Zuschauen vollkommen.
Bereits vor 16 Uhr fiel ich fast aus dem Sessel. Drei mächtige Schläge ließen mich hochfahren. Eine bläuliche Wolke Qualms war durch das Fenster sichtbar. Mein Kater war vom Lärmpegel völlig überrascht und verharrte für einen Moment regungslos. Stand er vor einem Herz-Klabaster? Der sprichwörtlich geölte Blitz rannte aus dem Zimmer. Kater haben keine Herztropfen, die sie einnehmen können. So zielte sein Lauf nicht auf den Medizinschrank ab, sondern auf den geschützten Platz unter dem Bett. Das neue Jahr musste erst einige Stunden altern, damit er daraus wieder hervorkroch. Es folgten noch ein paar Kanonenschläge in unregelmäßigen Abständen, was mir auf die Nerven ging. Mit tiefer werdender Dunkelheit hörte dieser Krawall auf.
Wenige Stunden später setzte das alte Jahr zum Abschied an, um in das neue überzugehen. Der Countdown lief. Niemand sollte / wollte den entscheidenden Augenblick verpassen. Als ob danach alles anders würde. 5, 4, 3, 2, 1 – Prosit Neujahr! Das Klirren der Sektgläser, die guten Wünsche für das neue Jahr. Ich wünsche dann immer, entgegen der üblichen Gepflogenheit, kein frohes, sondern ein Gesundes Neues Jahr. Froh kann ein neues Jahr ohne Gesundheit gar nicht sein. Ist man hingegen gesund und bleibt es, dann kann man sich das Jahr selbst froh machen. Guten Vorsätzen sei Dank.
Nun aber, ab auf den Balkon, um das Silvesterfeuerwerk der Nachbarn in Augenschein zu nehmen. Raketen steigen in den schwarzen Himmel, farbiger Feuerregen, das wird bestimmt schön. Von wegen!
Raketen stiegen auf, den farbigen Feuerregen gab‘s auch, aber gleichfalls jede Menge Qualm. Batterien, die große Mengen Pyrotechnik in kürzester Zeit abfeuern, waren der Renner. Parallel zum Qualm, ein infernalischer Lärm. Feuerwerk soll ja böse Geister vertreiben. Aber so? Musste man gegen die Geister Krieg führen? Scheinbar. Eine Batterie nach der anderen wurde abgebrannt. Viele der Nachbarn hatten das Zeug angeschafft. Made in China? Man fühlte sich an alte Filmausschnitte aus dem 2. Weltkrieg und die sogenannten Stalin-Orgeln erinnert.
Was ich davon hielt? Natürlich nichts! Gegen ein schönes Feuerwerk ist nichts einzuwenden. Es sollte Frieden auf den Straßen und in den Köpfen herrschen. Die Art der Pyrotechnik war kein Friedenszeichen. So war’s nur Böllerwahn mit Böller-Jan. Die kläglichen Reste dieses Wahns verschmutzten obendrein Straßen und Plätze.
Die letzten Reste etwaiger Feiertagsbesinnlichkeit erstarben in den Böllerschüssen eines Jahreswechsels. Alles wird anders und alles ist vergessen, gute Vorsätze sowieso.
© BPa / 01-2015
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.01.2015.
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