Peter Kröger

Stinken



Wirklich, Gruber, wir sind alte Männer, sagt Kress, alte, stinkende Kerle.

Sag was du willst, wir schauen blöde aus dem Fenster und zählen die Tage. Manchmal kommt jemand und sagt verehrter Herr Kress oder lieber Herr Gruber, aber gleich danach ist es wieder still, kein Laut, abgesehen vom Krach der Straße, ich könnte kotzen, wenn ich an den Krach der Straße denke, wer am Fenster sitzt, bekommt ihn ab, von hinten die Stille, von vorne die Straße, sagt Kress, dazwischen alte, stinkende Kerle wie wir, denen keine Dusche mehr hilft, Gruber, darum duschen wir nur noch, wenn es gar nicht anders geht, wenn wir müssen, wenn jemand sagt, verehrter Herr Kress oder lieber Herr Gruber, es wird wieder Zeit, aber uns hilft keine Dusche, nichts hilft mehr, wir bleiben stinkende Kerle, weil wir alt sind, alte, ölige Lederlappen, eingeklemmt zwischen Stille und Lärm. Andererseits, ich sage dir, Gruber, gäbe es den Lärm nicht, man müsste ihn erfinden. Richtig, ich könnte kotzen, wenn ich an knatternde Motoren und Hupkonzerte und all die Angeber in ihren Nuckelpinnen  dort unten denke, aber ohne den Lärm würde ich nur die Stille und deinen rasselnden Atem neben mir hören, Gruber, und das würde mich in den Wahnsinn treiben, sagt Kress, deinen rasselnden Atem im Ohr und dahinter die Stille, dann lieber das  Cabrio dort unten im Stau, schau mal, Gruber, der Fahrer winkt, schau, du schaust ja gar nicht.

Wobei, sagt Kress ohne aufzublicken, wobei mir dein rasselnder Atem egal sein kann, aber du bist ein schlechter Mensch, ein elender Lügner, du hast mich belogen, hinters Licht geführt, mich, Gruber, deinen Freund. Du weißt genau, wovon ich spreche, Schwester Moni hat’s mir gesteckt, zum Glück gibt es Schwester Moni. Ihnen kann ich’s ja sagen, hat sie gesagt, sagt Kress, die Tochter vom Gruber ist längst tot. Die Tochter vom Gruber kann nicht zu Besuch kommen, weil sie jung schon, ganz jung am Krebs verstorben ist, in diesem Alter ist es fast immer Krebs, ein Verkehrsunfall oder ein Freitod, im Falle der Grubertochter war es der Krebs. Da war ich wütend, Gruber, denn die Moni sagt immer die Wahrheit, und du hast mich belogen, ich hab dir geglaubt, wenn du gesagt hast, meine Tochter, Kress, die Klara, kommt nie zu Besuch, weil sie ein Luder ist und böse, ein Luder und böse, all die Jahre hast du es gesagt und ich hab’s geglaubt, Gruber, und nun höre ich: tot, die Klara ist längst tot, Schwester Moni hat’s gesagt, alte Grubersau, deine Tochter, lange tot. Und dein Atem rasselt schon wieder, direkt an meinem Ohr dieses Rasseln, pausenlos, es sollte mir egal sein, aber ich ertrage es nicht, dein Atem stinkt und rasselt, und du lügst, seit gestern weiß ich, dass du lügst, ich stinke auch, aber ich lüge nicht, ich bin keine Sau und lüge, mein Sohn, Gruber, mein Sohn lebt, was gibt es da zu lügen, mein Sohn lebt, trotzdem kommt er nicht, und zwar weil ich stinke,  duschen hilft nicht, also kommt er nicht, so ist es nun einmal, vorn der Straßenlärm und hinten die Stille, dazwischen wir, eingeklemmt, wir sind alte, stinkende Kerle, Gruber, reiß dich zusammen, deine Tochter ist tot, zwanzig Jahre schon, sagt die Moni, halt bitte die Luft an, du Sau, nur für einen Moment, damit das Rasseln aufhört, soll das ewig so weitergeh’n, sagt Kress. Herrgott, Gruber, mein Sohn und deine Tochter, das wäre ein Paar gewesen, aber mein Sohn lebt und deine Tochter ist tot, und wir sind alt und stinken, heute sogar mehr als sonst, alte Grubersau, all die Jahre hast du mich belogen, all die Jahre habe ich deine Lügen geglaubt, bis Schwester Moni mir die Augen geöffnet hat, wir stinken und stinken, wir gammeln vor uns hin, du bist ein lügender Drecksack mit einer toten Tochter, ich bin ein stinkender Drecksack mit einem Sohn, dem der Gestank zu groß ist und der nicht kommt, weil ich stinke. Wir sind im Arsch, Gruber, regelrecht im Eimer, du darfst übrigens wieder atmen, ich will nicht schuld sein, wenn deine Lippen blau werden und Schwester Moni sagt, lieber Herr Gruber, Sie sagen ja gar nichts, von wegen, sagt Kress, ich bin ein stinkender Drecksack, aber das schiebt mir keiner in die Schuhe, ach und in diesem Moment denke ich daran, dass die Moni manchmal auch sehr komisches Zeug redet, den Gruber, sagt sie nämlich eben, sagt Kress, den Gruber gibt es nicht mehr, Herr Kress, der Gruber ist vorige Nacht verstorben. Und dann sagt sie: Sie duschen besser und nehmen eine Tablette, und ich tue es, weil ich muss.
Gruber, nur dir sage ich es, sagt Kress, wir sind alt und stinken, aber wenn einmal alles aufhört, der Lärm und die Stille, der Gestank, dein Rasseln und unser Eingeklemmtsein, wenn das alles vorbei ist, aus und vorbei, fragen wir meinen Sohn, ob er uns abholt mit seinem Cabrio zu einer Spritztour, dorthin, wo es schön ist und unglaublich duftet. Er wird kommen, und deine Tochter kann mit, sagt Kress. Wenn sie stinkt, sitzt sie hinten.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.01.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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