Ralf Glüsing

Ankunft in Dori

Es war schon später Nachmittag, als unser Bus in Dori ankam. Ich reiste mit einem Bus der staatlichen Busgesellschaft. Dieses war in diesem Land die bequemste Art zu reisen. Es wurden nie mehr Fahrscheine verkauft, als es Sitzplätze im Bus gab. Somit standen keine Leute dicht gedrängt auf dem Gang und auch auf dem Dach reiste lediglich das Gepäck mit, freilich abenteuerlich hoch aufgetürmt. Ach ja, und natürlich Ziegen. Irgendwer transportierte immer Ziegen. Diese armen Tiere wurden an ihren Beinen zusammengeschnürt und zwischen die Gepäckstücke gestopft.

Ich ließ mir mein Gepäck herunterreichen, meinen großen Rucksack und einen Packen, den ich für einen Bekannten mitgenommen hatte.

Diesen Packen hatte mir mein Bekannter, Jean Marie, vor der Abfahrt in der Hauptstadt Ouagadougou anvertraut. Sachen, die für seine Frau bestimmt waren, denn Jean Marie stammte aus Dori und seine Frau lebte hier. Ach ja, und dann noch drei Äpfel, die ich sorgsam in meinem Handgepäck verstaut hatte. Jean Marie hatte sie vor der Abfahrt am Busbahnhof von einem Obsthändler gekauft. Hier in Westafrika waren Äpfel so ziemlich die exotischsten Früchte, die man bekommen konnte. Ich musste sie dann auch genau auf ihre Qualität überprüfen und erst als ich sie für tadellos befunden hatte, kaufte sie Jean Marie.

Nun stand ich hier in dieser kleinen Stadt. Mein erster Weg sollte mich zu Jean Marie's Frau führen, damit ich mich des Packens entledigen konnte. Aber wie sollte ich sie finden? Er hatte mir nur ihren Namen auf ein Stück Papier geschrieben. Hier gab es keine Straßennamen und Hausnummern.

Ich erblickte einen Jungen mit einem Eselskarren, der gerade damit beschäftigt war, irgendwelche Waren auf ebendiesen zu verladen. Dieser junge Mann wird sich hier auskennen, dachte ich mir. Ich sprach ihn an und reichte ihm den Zettel mit dem Namen von Jean Marie's Frau. Verständnislos blickte er auf das Stück Papier, zuckte mit den Schultern und gab mir den Zettel zurück. Er konnte nicht lesen. Er rief einen anderen Jungen herbei. Auch er konnte nicht lesen, als las ich ihm den Namen vor. „Oui!“ sagte er und gab mir zu verstehen, dass ich ihm folgen sollte.

Wir trafen am Haus von Jean Marie's Frau ein. Der Junge rief laut ihren Namen und schließlich erschien sie in der Tür. Ich übergab ihr die Sachen, die Jean Marie ihr zugedacht hatte, sowie einen Brief, den er ihr geschrieben hatte. Da ich leider nur sehr bruchstückhaft Französisch sprach, konnte ich mich nicht großartig mit ihr unterhalten. Sie steckte den Brief ein, nahm den Packen entgegen und verschwand im Haus, die Tür hinter sich schließend.

Ich war baff. So unhöflich war ich in Afrika noch nie aufgenommen worden. Nicht einmal den obligatorischen Tee hatte sie mir angeboten. Ich sah zu dem Jungen, der immer noch neben mir stand. Er stand mit offenem Mund da und war ebenso erstaunt über die Reserviertheit dieser Frau, wie ich. Er führte mich zu einem Hotel und ich bezahlte ihm seinen Lohn.

Tage später erfuhr ich, dass Jean Marie deswegen mit seiner Frau einen schweren Streit hatte. Er hatte mit ihr telefoniert und sie angewiesen, mich unverzüglich in sein Haus aufzunehmen. Sichtlich zerknirscht erschien sie im Hotel und bot mir an, in ihrem Haus Unterkunft zu beziehen. Man merkte ihr jedoch ihren Widerwillen an und so lehnte ich dankend ab. Sie war sichtlich erleichtert und ging. Ich wusste wohl, dass sie deswegen von ihrem Mann noch ein Donnerwetter zu erwarten hatte, gilt es doch hier als schwer ehrenrührig, Gastfreundschaft, die einem angeboten wird, auszuschlagen. Und sie hatte nicht einmal versucht, mich umzustimmen.Um so mehr wunderte ich mich über ihr Verhalten. Ich hatte es immer wieder erlebt, dass ich hier regelrecht genötigt wurde, doch wenigstens zum Essen zu bleiben.

Aber Dori war eine kleine Stadt und die Leute kannten sich. Die Geschichte sprach sich herum. Ach Du liebes Lieschen, da hatte ich aber eine Lawine losgetreten. Bald erfuhr ich den wahren Grund dafür, warum Jean Maries Frau mich nicht in ihrem Haus haben wollte. Hinter vorgehaltener Hand steckte man mir, dass sie einen Liebhaber hatte, der ihr die Nächte versüßte. Mir wurde einiges klar. Während Jean Marie im fernen Ouagadougou auf Arbeit war und vielleicht zweimal im Jahr auf Heimaturlaub hierher kam, ließ sich Madame hier die Nächte nicht lang werden. Ich hätte da natürlich gestört.

Nun hatte man in diesem Land ein recht unkompliziertes Verhältnis zur Sexualität, wenn man denn – ein Mann war! Niemand konnte ernsthaft verlangen, dass man monatelang Enthaltsamkeit übte. Dies ging gar nicht und ungesund war es obendrein, wie man mir versicherte. Für Frauen jedoch galten da andere Maßstäbe. Hatte eine Frau das Pech, geschwängert zu werden und ihr Liebhaber ließ sie sitzen, was hier nur all zu oft passierte, so galt sie als gefallenes Mädchen und die Chance, jemals eine ehrbare Ehefrau zu werden, war für immer dahin. Andererseits: „Wenn der Ruf erst ruiniert......!“ (Tatsächlich gabt es hier viele Frauen, die sich eine eigene Existenz, auch ohne die Herren der Schöpfung aufgebaut hatten und damit nicht schlecht fuhren!) Einer verheirateten Frau jedoch wurden Liebschaften nicht verziehen. Mann hätte sie zum Teufel gejagt, ja der Ehre wegen jagen müssen. Die Menschen hier waren mehrheitlich Moslems, was jedoch nicht heißt, dass sie keinen Alkohol getrunken hätten. Auch sah ich nie so viele Schweine die Straßen bevölkern, wie hier. Darauf angesprochen, waren die Leute zwar etwas verlegen, versicherten mir jedoch, dass der Prophet es sicherlich so ernst nicht meinen könne.

Meinem Bekannten Jean Marie habe ich später von all dem natürlich nichts erzählt. Ich gab vor, dass ich wegen meiner Amöbenruhr, die ich mir hier eingefangen hatte, nicht in der Lage war, mich aus dem Hotel fortzubewegen und in seinem Haus Quartier zu nehmen. Das sah auch er ein. Ob er jemals von den Liebschaften seiner Frau in seinem Heimatstädtchen erfahren hat? Ich hoffe es nicht!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.01.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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