Ralf Glüsing

Heroine Nr.1 oder Engel und Teufel

Dies Geschichte handelt von einer Frau, die der „Göttin“ Heroin verfallen war. Ja, ich nenne diese Droge hier tatsächlich „Göttin“, denn wer Menschen kennt, die ihr verfallen sind, weiß, dass sich deren gesamtes Handeln und Denken nur noch um Heroin dreht. Sie beten es an, sie dienen ihm, wohl wissend, dass es sie zerstört.

Aber so weit war es noch nicht. Diese Frau, ich nenne sie hier „Mara“, war damals mit einem guten Freund von mir zusammen. Sie war ein fast zierliches, hübsches Mädchen mit langem, braunem Engelshaar. Und dann diese Augen. Sie hatte wunderschöne große, leuchtende Augen, die ihrem Gesicht ein mädchenhaftes Aussehen verliehen. Sie wusste sehr wohl, welche Anziehungskraft ihre Augen, besonders auf Männer, ausübten. Und sie benutzte ihre Augen dementsprechend. Ein paar Blicke von ihr genügten, um das Herz jedes Mannes dahinschmelzen zu lassen. Es machte ihr Spaß, den Männern den Kopf zu verdrehen und dann mit ihnen zu spielen. Sie genoss es förmlich. Sie konnte eine richtige Teufelin seien. Letztendlich nahm sie die Kerle dann aus. Sie hielten sie aus, kauften ihr dies und das und liehen ihr, die immer pleite war, auch Geld, das sie natürlich nie wieder sahen. War nichts mehr zu holen, warf sie sie weg, wie ein gebrauchtes Taschentuch. Ich habe dieses Spielchen des öfteren beobachten können und ich staune noch heute, wie schnell sich vernunftbegabte Männer in trieb gesteuerte Vollidioten verwandeln können (Sorry Männer, aber ihr wisst, es ist leider so, womit ich mich da nicht ausschließen möchte).

Mit mir trieb sie solche Spielchen jedoch nicht. Nicht, weil ich gegen ihre Blicke immun war, was ich garantiert nicht gewesen wäre, nein sie hatte einen anderen Grund. Es gab neben mir noch ein paar Männer, die sie mit ihren Spielchen verschonte. Auch sie brauchte Freunde, mit denen sie reden konnte. Ihre Freundschaften mit anderen Frauen erschienen mir zwar innig, hielten aber meist nicht lange. Die einzige Konstante in ihren Freundschaften waren Männer. Eben dieser kleine Kreis, von dem ich sprach. Ihre Männerfreundschaften hielten lange und man konnte mit ihr Pferde stehlen, wenn es sein musste.

Vielleicht hätte ich sie hier nicht „Mara“ nennen sollen, sondern „Bonnie“, nach „Bonnie & Clyde“. Dies hätte den Nagel wahrscheinlich auf den Kopf getroffen, wenn auch nicht mit demselben tödlichen Ausgang. Ihren „Clyde“ hatte sie nämlich bereits gefunden, eben meinen Freund K.! Und so waren sie auch unterwegs. Mara hatte vor kurzem einen Jungen auf die Welt gebracht, nicht von K., sondern noch von ihrem Exfreund oder vielleicht besser Exopfer. Ein Betriebsunfall sozusagen. Sie war eine rechte Rabenmutter. Nicht, dass sie ihr Kind nicht geliebt hätte, das tat sie. Ich weiß wohl, wie sehr sie darunter litt, dass sie sich nicht um ihr Kind kümmern konnte. Doch ich will hier nicht voraus greifen. Das Kind, es wuchs dann bei der Großmutter auf, lebte zunächst ja noch bei ihr. Mit ihrem Freund K. lebten sie entweder in seiner Wohnung auf dem Lande oder aber in ihrer in der Stadt.

Dass sie irgendwann dem Heroin verfallen war, ahnten wir, wussten aber nicht, wie sehr diese Droge schon ihr Leben bestimmte. Auch ihrem Freund K. ging es nicht anders. Und dann auch noch das Kind. Es musste Geld her, viel Geld! Denn die „Göttin der Selbstzerstörung“ verlangte mittlerweile alle paar Stunden ihr Opfer. K. war arbeitslos, Mara hatte einen Job in einer Videothek. Da kommt natürlich nicht viel zusammen.

Ein Raubüberfall ala „Bonnie & Clyde“ sollte das benötigte Kleingeld bringen. Diesen begingen diese beiden dann auch tatsächlich, jedoch in ihrem zugedröhnten Zustand derart dumm und dilettantisch, dass es schon fast etwas tragikomisches hatte (sicherlich nicht für die überfallene Mitarbeiterin, die mir diesen Ausdruck verzeihen möchte). Ausgerechnet die Videothek, in der Mara arbeitete, wollten sie überfallen. Da sie keine Waffen hatten, dachten sie sich etwas aus. Jeder füllte eine Einwegspritze mit seinem Blut und die beiden stürmten in den Laden. Sie behaupteten das Blut sei mit Aids verseucht und sie würden damit zustechen, wenn ihnen nicht die Einnahmen ausgehändigt werden. Was genau dann passierte, weiß ich nicht mehr, es ging damals durch die Presse. Jedenfalls wurden sie noch vor Ort verhaftet. Ich weiß auch nicht mehr, wie lange sie dafür einsitzen mussten, zwei Jahre waren es aber allemal, womit sie noch recht gut weggekommen sind, wohl weil sich beide bisher nichts zu Schulden kommen lassen hatten.

Ich lebte mittlerweile in BS. Ein gemeinsamer Freund von mir und Mara rief an. Mara hätte einen Tag Ausgang. Sie hat ihn gefragt, ob er sie nicht abholen könnte. Alleine hatte er darauf überhaupt keinen Bock. Also willigte ich ein, ihn zu begleiten. Ich wurde abgeholt. Als wir zum Auto kamen, erkannte ich auf dem Rücksitz einen von Maras Junkie- Kollegen. „Was will der hier, der ist ja völlig zugedröhnt!“ sagte ich. „Mara hat darauf bestanden, dass er mitkommt!“ sagte mein Freund B. Tatsächlich lag dieser Typ dann den kompletten Tag hinten im Wagen, entweder schlafend oder im Halbkoma. Von Mara jedenfalls hat er die ganze Zeit nicht viel mitbekommen.

Wir fuhren also los, nach Vechta, wo sich der berüchtigte Frauenknast befindet. B ging hinein um Mara abzuholen, ich wartete am Auto, von dem aus ich einen Blick auf das Anstaltsgebäude hatte.

Ich beobachtete die vergitterten Fenster. Ein Fenster öffnete sich und hinter den Gitterstäben erkannte ich das Gesicht von V., auch sie eine Freundin von Mara. Als sie mich erblickte rief sie laut: „Hey, da ist ja Glü! Mädels guckt doch mal!“ Weitere Fenster wurden geöffnet und ich erkannte noch zwei mir wohlvertraute Gesichter. Auch diese hatte das Heroin schließlich an diesen Ort geführt. Es entbehrte nicht einer gewissen Komik, wie sie hier eine neben der anderen aus dem Fenster schauten und ich musste unwillkürlich lachen. Die Mädels waren sichtlich erfreut über diese Abwechslung und warfen mir Kusshände zu. Der Aufruhr an den Fenstern war wohl auch in der Anstalt nicht unbemerkt geblieben, jedenfalls schlossen sich die Fenster nacheinander wieder.

B. kam mit Mara zum Auto zurück. Wir umarmten uns und ich dachte: „Mensch Mädchen, am Essen scheint es Dir jedenfalls nicht zu fehlen!“ Sie sagte, dass sie weg vom Heroin sei und so war es wohl auch. Anscheinend hatte sie nun Essen zu ihrer Ersatzbefriedigung gemacht. Das Essen von Süßigkeiten und anderem ungesunden Zeug.

Nun mussten wir uns nur noch einigen, was wir denn nun unternehmen. B. wollte nach Wilhelmshaven. Er war Aquarianer und wollte unbedingt das neue Meerwasseraquarium sehen. Mara war davon nicht begeistert. Sie wollte eine Knastkollegin besuchen, die vor einiger Zeit frei gekommen war und irgendwo bei Cloppenburg (ganz sicher weiß ich es nicht mehr) wohnte. Nach einigem hin und her einigten wir uns darauf, zuerst nach Wilhelmshaven und dann zu besagter Freundin zu fahren. Nach dem Besuch des Aquariums wollten wir essen. Ich und B. wollten in ein Restaurant, Mara jedoch bestand darauf, die örtliche Filiale einer Schnellimbisskette zu besuchen. Wir gaben nach und erlebten, wie Mara ganze Berge von Burgern, Pommes und dergleichen, man muss schon sagen „fraß“.

Wir besuchten dann auch noch Maras Freundin und ohne weitere Zwischenfälle lieferten wir sie abends wieder im Gefängnis ab. Auf der Rückfahrt fragte ich dann B.: „Was hätten wir bloß gemacht, wenn sie uns weggelaufen wäre?“ „Das habe ich in der Anstalt auch gefragt!“ entgegnete er. „Laufen lassen und bei der nächsten Polizeistation melden, haben die mir gesagt!“ Aber unsere Freundin Mara hat uns glücklicherweise nicht in diese Verlegenheit gebracht.

Ich blieb mit ihr in Briefkontakt. Sie schrieb mir lange, sehr bewegende Briefe, die tief in ihre Seele blicken ließen. Irgendwann schrieb sie dann, sie hätte ein paar Tage Freigang, ob sie bei mir übernachten könnte? Ich willigte ein. Irgendwann stand sie dann vor der Tür und ich sah sofort, dass sie wieder voll drauf war. Sie lud einen ganzen Sack voller Kleidungsstücke in meinem Zimmer ab und schickte sich an, sich dort einen Druck zu setzen. Ich konnte es ja letztendlich doch nicht ändern, also ließ ich sie machen. Ich ging in die Küche, um es mir nicht mit ansehen zu müssen. Ich hatte Angst vor Spritzen und selbst heute noch bricht mir der Schweiß aus, wenn ich beim Zahnarzt eine Spritze bekomme. Als ich in mein Zimmer zurückkam, war Mara nicht ansprechbar. Da sie mich aber diesbezüglich vorgewarnt hatte, machte ich mir keine weiteren Gedanken darüber. Die Spritze steckte noch im Arm und ich zog sie heraus, was mich einige Überwindung kostete.

Irgendwann wurde es Zeit Schlafen zu gehen. Wir hatten ein Gästebett auf dem Flur, aber Mara bestand darauf, bei mir zu schlafen. „Ich kann nicht alleine schlafen!“ sagte sie. „Warum denn das nicht?“ fragte ich. „Weißt Du, ich fange manchmal an zu Schnarchen und kriege dann Atemaussetzer. Ich habe Angst, dass ich dann ersticke.“ „Na gut.“ sagte ich. Sie entgegnete: „Wenn das passiert, musst Du mich wecken!“ „In Ordnung,“ beruhigte ich sie. Tatsächlich fing sie dann an zu schnarchen und auch die Atemaussetzer blieben nicht aus, so dass ich sie mehrmals wecken musste. Sie machte dann kurz die Augen auf und schlief gleich wieder ein. Ich jedoch konnte an Schlaf nicht denken.

Am nächsten Morgen eröffnete sie mir, dass sie nach Hannover müsse. „Was willst Du da?“ fragte ich sie, obwohl ich mir denken konnte, was sie dort hin trieb. „Na, ich brauche Geld!“ sagte sie, womit sie mich dann doch überraschte. „Ach, und das liegt da auf der Straße rum?“ fragte ich. „Mensch Glü, tu nicht so, als würdest Du nichts begreifen! Ich gehe anschaffen!“ entgegnete sie mir. „Soll ich Dir irgendeinen Quatsch erzählen, es ist nun mal so! Ja, ich lasse mich für Geld bumsen!“ rief sie. „Na, wem es gefällt!“ sagte ich. Sie sah mich ärgerlich an, beruhigte sich aber wieder. „Kannst Du mir 30 Mark leihen?“ fragte sie plötzlich. „Wofür?“ „Na für die Bahnfahrkarte! Irgendwie muss ich ja hinkommen!“

Sie fuhr also nach Hannover. Ein paar Tage hörte ich nichts von ihr. Ihr Hafturlaub war längst abgelaufen. Ich machte mir meine Gedanken, was wohl geschehen sein konnte, denn eigentlich wollte sie längst wieder zurück sein. Dann stand sie wieder vor meiner Tür. Auf meine Frage, ob sie nicht längst zurück im Knast sein müsste, sagte sie, dass sie sich zum Wochenende stellen würde, bis dahin wäre sie halt flüchtig.

Sie übernachtete noch einmal bei mir. Als wir im Bett lagen erzählte sie mir all die unappetitlichen Dinge, die ihre Freier von ihr verlangt hatten, wie auch die ganzen Tricks, die man beherrschen musste, wenn man in diesem Milieu sein Geld verdienen musste. „Hör auf Mara, mir ist schon ganz schlecht!“ sagte ich schließlich. „Siehst Du, alles Schweine, diese Typen! Jemandem muss ich es doch erzählen! Wem, wenn nicht Dir?“ rief sie. „Na gut, erzähl weiter, dann hast Du wenigstens keine Atemaussetzer und ich schlafe vielleicht doch noch ein.“ Sie boxte mich leicht, grinste und erzählte weiter. Ich schlief zum Glück ein.

Am nächsten Morgen wollte sie los. Ich sagte: „Mara, was ist mit meinen 30 Mark?“ „Nimmst du auch 'nen Ledermantel?“ fragte sie und zog aus ihrem Packen einen braunen Wildledermantel. Ich besah mir den Mantel und befand, dass er, obwohl gebraucht, allemal 30 Mark wert war und da ich sowieso einen neuen Mantel brauchte, nahm ich ihn. „Hast Du hoffentlich nicht irgendwo geklaut?“ fragte ich. „Ich schwöre, habe ich nicht.“

Mara ging dann auch tatsächlich in den Knast zurück und wurde ein paar Monate später entlassen. Sie zog nach Hannover. Ich hörte noch ein paar mal von ihr, dann schlief unser Kontakt ein.

Was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht und ehrlich gesagt, ich will es auch gar nicht wissen. Obwohl, jedes mal, wenn ich in Hannover bin und vom Bahnsteig in Richtung Hinterausgang des Bahnhofes blicke, frage ich mich, ob sie hier wohl nachts immer noch steht?

P.S. - Auch mein Freund K. wurde irgendwann entlassen. Als ich ihn wiedertraf trug ich den erwähnten Ledermantel. „Hey Mann, genau so einen Mantel hatte ich auch mal!“ sagte er, „nur meiner hatte hinten ein kleines Loch!“ Ich drehte mich um und sagte: „So wie dieser?“ K. lachte: „Typisch Mara, ich hab es mir schon fast gedacht, behalte ihn ruhig!“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.01.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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