Peter Somma

Späte Liebe

Manfred hatte nichts an sich, das ihn unter anderen hervorstechen ließ. Er war weder hässlich, noch war er ein schöner Mann, er war weder groß, noch war er klein. Er war unauffällig und man übersah ihn, nahm ihn einfach nicht wahr, er war sozusagen unsichtbar. Manfred war eben Durchschnitt. Das war schon so, als er in der Schule in seiner Bank saß und aufzeigte, auf sich aufmerksam machen wollte, übersah ihn seine Lehrerin und nahm ihn nicht dran, beachtete ihn nicht, ignorierte ihn.


Diese Durchschnittlichkeit, diese Bedeutungslosigkeit war auch sein Schicksal, als er in das Alter kam, in dem er sich für Mädchen zu interessieren begann. Alle Freunde hatten schon ihre festen Freundinnen, nur er lief noch unbeweibt durchs Leben, denn die Mädchen sahen ihn nicht, sahen einfach an ihm vorbei, nahmen ihn nicht zur Kenntnis und er blieb dabei immer allein.

Später hatte er wohl die eine oder andere Frau kennen gelernt, aber seine Bekanntschaften waren immer Freundschaften geblieben und hatten sich nicht zu Verhältnissen entwickelt. Nie hatte ihm eine Frau die Gelegenheit geboten, die Liebe mit ihr in vollen Zügen zu genießen und so war er auch mehr oder weniger allein geblieben.

Er war nun zweiundvierzig, hatte sich durch Fleiß eine schöne, große Wohnung erwirtschaftet und verbrachte dort, notgedrungen, seine Abende, seine Freizeit immer allein und wenn er einmal ausging, in der Hoffnung jemanden kennen zu lernen, kam er meist wieder enttäuscht nach Hause. Das wollte er nun ändern, denn er war mit seinem Leben, so wie es war, nicht zufrieden, wollte nicht so weiterleben, wollte sein Heim mit einer Partnerin teilen, wollte eine Frau lieben, mit ihr leben. Deshalb beschloss er, als letzten Ausweg aus seiner Einsamkeit, aus seinem Alleinsein zu ändern, die Dienste eines Heiratsinstituts in Anspruch zu nehmen.

Das war ihm nicht leicht gefallen, aber schließlich war er doch dort hin gegangen, saß jetzt doch in seinem besten Anzug auf einem gepolsterten Stuhl des Instituts, wirkte nervös und man merkte ihm an, dass er sich hier nicht wohl fühlte. Der Raum, der die Klientel beruhigen sollte, erweckte den Eindruck eines gemütlichen Wohnzimmers und hatte nicht das Aussehen eines Geschäftsraumes, dennoch schüchterte er ihn aber ein, denn einige Ordner und eine Reihe von Videokassetten in einem Büroschrank sowie ein Notebook, das geöffnet auf dem breiten Schreibtisch stand, erweckten in ihm den Eindruck eines Besprechungsraumes einer Bank, bei der man wegen eines Kredites vorstellig wäre.

Eine Dame mittleren Alters empfing ihn mit einem kleinen Lächeln hinter dem Schreibtisch aus schwerer Eiche sitzend, der Zuverlässigkeit ausstrahlen sollte, der aber auf ihn eher einschüchternd wirkte, denn er fühlte sich klein vor diesem mächtigen Möbel.

Ein Kärtchen, das vor ihr auf dem Tisch stand, informierte ihn, dass die Dame Frau Herzig hieß. Sie trug unter einem dunkelgrauen Kostüm eine im Farbton harmonierende Bluse, ihre Frisur wirkte streng und nur weniger aber wertvoller Schmuck ergänzte ihr, ganz auf Gediegenheit ausgelegtes Aussehen. Ihre Aufmachung ließ ihre Absicht erkennen, auf ihren Besucher den Anschein absoluter Seriosität zu erwecken, aber auf ihn wirkte sie, als er jetzt vor ihr saß, als säße er wieder in der Schule vor seiner Lehrerin.

Nach einigen Minuten, in denen sie ihn zu mustern schien und seine Verlegenheit fast schon zu spüren war, richtete sie an ihn die Frage, was sie für ihn tun könne und lächelte ihn dabei aufmunternd an. Eigentlich war diese Frage ja völlig überflüssig, denn schließlich wusste sie ja nur zu gut, dass ihre Kunden nur aus einem einzigen Grund zu ihr kamen, aber irgendwie musste sie ja dieses Gespräch beginnen. Bei ihm bewirkte diese Frage aber wieder jenes Gefühl der Bedeutungslosigkeit, das ihn sein bisheriges Leben begleitet hatte, aber dann fasste er sich und sagte, er sei hierher gekommen, weil er schon lange eine Frau suche und es ihm bisher nicht gelungen sei, die Richtige zu finden.

Da sei er, sagte die elegante Dame, bei ihr ja genau an der richtigen Adresse, denn sie könne auf Hunderte glückliche Vermittlungen verweisen und das wiederum verdanke sie einem wissenschaftlich entwickelten System, mit dem es gelinge, aus Hunderten Karteien jene zwei Menschen zusammenzuführen, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für einander bestimmt seien. Dann langte sie mit einem Griff unter ihren Schreibtisch, zog einen Packen Formulare hervor, die sie dem verdutzten Mann in die Hand drückte und forderte ihn auf, diese zu Hause möglichst wahrheitsgemäß auszufüllen. Dazu legte sie noch einen Zahlschein und nannte eine nicht unerhebliche Summe. Anschließend machte sie mit ihm noch ein Videoband, auf dem er sich vorstellen sollte, diverse Fragen zu seiner Person beantworten und in wenigen Worten ein Wenig über sich erzählen sollte.

Wenn er ihr die Formulare ausgefüllt zurückbringe, werde sie diese, zusammen mit dem aufgenommenen Video in den Computer füttern, worauf dieser ihr drei Damen aus der Kartei auswähle, aus denen Manfred sicher die Richtige herausfinden werde.

Nachdem er, zu Hause angekommen, die vielen Formulare, deren Fragen auch die intimste Bereiche nicht ausließen, ausgefüllt hatte, und den geforderten, nicht gerade geringen Betrag eingezahlt hatte, fand er sich wieder in dem Empfangsraum der Firma „Glückliche Zukunft“ ein. Die freundliche Dame im grauen Kostüm empfing ihn mit ihrem berufsmäßigen Lächeln, fragte zunächst nach der Quittung der eingezahlten Gebühr und nahm die ausgefüllten Formulare entgegen.

Das Ergebnis der Bemühungen Frau Herzigs, das er nach wenigen Tagen in Händen hielt, bestand aus drei Mappen, auf deren Deckel sich jeweils ein Foto befand und im Inneren fand er dann auf einem Formular die Eigenschaften der jeweiligen Damen aufgelistet. Manfred studierte die Unterlagen, konnte sich dennoch nicht entscheiden und verließ sich letztendlich auf das Aussehen der Fotos auf den Mappen.

Unter den drei Fotos der Frauen fand er eine, deren Lächeln sofort sympathisch auf ihn wirkte. Aus den Unterlagen entnahm er dann, dass sie ungefähr in selben Alter war wie er und er entschloss sich, es als erstes mit ihr zu versuchen. Er unterrichtete Frau Herzig von seinem Entschluss und erhielt im Gegenzug darauf eine Telefonnummer.

Er wählte ihre Nummer und verabredete sich mit ihr in einem kleinen, gemütlichen und soliden Cafè. Die Dame, die Lena hieß, war in einem hellen, freundlich wirkenden Kleid gekommen, das sie jünger aussehen ließ. Sie erzählte dass sie schon zwei längere Beziehungen hinter sich hatte, die aber beide scheiterten. Ihr wäre an einer Beziehung gelegen, die von gegenseitigem Verständnis und freundschaftlichen Gefühlen getragen würde, die sie aber bisher nicht gefunden habe. Das waren Worte, die nach Manfreds Geschmack waren, denn auch er suchte nach Geborgenheit und Zuneigung. Es schien, als ob er auf Anhieb die Richtige gefunden hätte. Noch lange saßen sie in dem heimeligen Lokal und vereinbarten weitere Treffen.

Manfred und Lena verbrachten nun viel Zeit miteinander und nach einigen Wochen lud Lena Manfred zu sich zu einem Abendessen. Sie war eine gute Köchin und Manfred, der nur Gasthausessen kannte oder mit seinen mageren Kochkünsten vorlieb nehmen musste, genoss das gemeinsame Essen und fühlte sich wohl bei Lena.

Nach dem Essen saßen sie mit einem Fläschchen Wein noch lange miteinander auf der Couch. Manfred hatte seine Schüchternheit abgelegt und eine entspannte, heitere Stimmung machte sich breit. Er war nicht sehr erfahren im Umgang mit der holden Weiblichkeit und es war ein recht ungeschickter Kuss, den er ihr bald auf die Lippen drückte. Er schämte sich, dass er in seinem Alter nicht besser umgehen konnte mit Zärtlichkeit, aber Lena ließ sich nichts anmerken und er lernte sehr schnell.

„Komm lass uns ins Bett gehen“ sagte sie schließlich. Manfred war im ersten Moment ein Wenig überrascht, ja geschockt von dem nicht so schnell erwarteten Ansinnen, denn er war schon lange mit keiner Frau zusammen gewesen, aber Lena war offenbar entschlossen die Sache auf den Punkt zu bringen und Manfred war durchaus bereit die unverhoffte Gelegenheit beim Schopf zu packen.

Lena war eine zärtliche und erfahrene Lehrerin, die es ihm leicht machte, diese Liebesnacht mit ihr zu genießen.

Manfred machte keinen Gebrauch mehr von den übrigen Angeboten der Frau Herzig, denn er hatte endlich gefunden, was er lange gesucht hatte. Er hatte auf diesem ungewöhnlichen Weg eine Frau gefunden, die ihm Gefährtin, Freundin und Geliebte wurde.

Ihn hatte die Liebe verändert. Er trug jetzt Kleidung, in der ihn niemand mehr übersehen konnte und die Frauen, die ihn früher nie beachtet hatten, drehten sich nun auf der Straße nach ihm um, aber er hatte nur mehr Augen für seine Lena, mit der er spät aber doch die Liebe kennen gelernt hatte.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.01.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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